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# taz.de -- Mit Flutlicht gegen Verbrechen: Wer hat Angst vor dunklen Ecken?
> Im Hamburger Schanzenpark und am Bremer Bahnhof sollen mit Licht vermutet
> kriminelle Elemente vertrieben werden – wegen des „Sicherheitsgefühls“.
Bild: Wild romantisch, aber viel zu gefährlich: der Hamburger Schanzenpark mit…
Hamburg taz | Man muss nicht gleich von einem Schill-Effekt sprechen. Aber
wenn irgendwo im Norden die Angst umgehen dürfte vor zu viel Angst – der in
den Köpfen und Herzen der sogenannt ganz normalen Leute –, dann in der
Hamburger SPD. Die musste 2001 die Macht aus der Hand geben, nach knapp
viereinhalb Jahrzehnten.
Es folgte eine bürgerliche Regierungskoalition der postmodernen Art mit Ole
von Beust als großstädtisch-liberalem CDU-Bürgermeister von
rechtspopulistischen Gnaden. Die Mehrheit nämlich beschaffte der eingangs
genannte Ex-Richter Ronald B. Schill mit seiner „Partei Rechtsstaatlicher
Offensive“.
Wesentlich für den Erfolg dieses Polit-Hasardeurs war, wie gut er die
Klaviatur kleinbürgerlichen Unbehagens zu bespielen wusste: Mal mehr, mal
weniger von der Wirklichkeit gedeckt, beschwor er einen drohenden Kollaps
von Recht und Ordnung, bemühte mal mehr, mal weniger wahre
Kriminalitätszahlen und kitzelte unbekümmert die Angstlust eines auf dem
Boulevard in Autoritätsglauben geschulten Publikums.
Die vielleicht allzu lange allzu selbstgefällig der Macht sich sicher
wähnende SPD kam daran nicht mal vorbei, indem sie auf den letzten
Wahlkampfmetern noch einen neuen Innensenator installierte, einen roten
Gegen-Hardliner sozusagen – einen gewissen Olaf Scholz. Der 1995 vom Briten
Tony Blair geprägte Ausspruch, Recht und Ordnung, das sei Sache seiner
Labour Party, verfing nicht mal mehr im sich so anglophil vorkommenden
Hamburg.
## Polit-Hasardeure im Laternenschein
All das mag den SPD-Granden im Kurt-Schumacher-Haus – der örtlichen
Parteizentrale – kürzlich wieder sehr aktuell erschienen sein: Im Frühjahr
erschien, erst mal eine Nummer kleiner, wieder so ein betont
politikapparatsfremd sich gebender Jurist auf der Bildfläche. Und setzte
auf ein Thema, das auch Schill schon zu melken verstanden hatte: Den
angeblich eskalierenden Drogenhandel im Schanzenpark solle die Politik
beenden, forderte nun also dieser Rechtsanwalt – andernfalls werde er per
Bürgerbegehren den Volkszorn von der Kette lassen.
Der taz sage er jetzt, man habe ihn bloß missverstanden, und wenn auch
längst nicht alles, was ihm vorschwebte, am Ende Widerhall gefunden hat, so
kann der Mann doch einen Erfolg verbuchen: Zumindest die heutigen
Oppositionsparteien – die einst mit Schill im ausschließlich
sprichwörtlichen Bett lagen – machten sich seine Ideen zu eigen. Und die
tatsächlich Verantwortlichen nahmen, nach anfänglichem Drucksen und Zögern
und Hinweisen auf diese und jene Technikalität, dann doch ein bisschen Geld
in die Hand – gerade erst bewilligte man die Mittel für etwas mehr Licht
wider die ach so dunklen Geschäfte im Park.
Das aber ist ein echter Klassiker unter den pseudo-einleuchtenden (!),
zuallererst dann aber doch symbolischen Moves konjunkturgetriebener
Politikschaffender, längst nicht nur in Hamburg oder Bremen. Dass mehr
Licht unerwünschtem Treiben ein Ende setzt, es zumindest verringert oder
auch bloß aus der öffentlichen Wahrnehmung vertreibt: So plausibel das
klingt, so wenig ist es auch belegt.
Mindestens seit dem 19. Jahrhundert aber lässt sich der Glaube an einen
Zusammenhang von Licht und Sicherheit nachweisen, da kann empirische
Sozialforschung noch so oft ihre Zweifel anmelden; [1][2015 erst kamen
britische Wissenschaftler einmal mehr zu dem Schluss]: Aus Kostengründen
gedimmte, in ihrer Anzahl reduzierte oder gleich ganz eingesparte
Straßenlaternen haben keine eindeutigen Auswirkungen auf die
Verkehrssicherheit, geschweige denn die Kriminalität.
Freilich sind Tatsachen – wie etwa auch die regelmäßigen
Kriminalitätsstatistiken – das Eine, die gefühlte Wirklichkeit aber ist ein
Anderes. Einen Zusammenhang von „Unsicherheitsgefühlen im öffentlichen
Raum“ und „Dunkelheit und Verlassenheit“, den gibt es eben doch, schreiben
etwa Diana Ziegleder, Dominic Kudlacek und Thomas Fischer 2011 [2][in der
Schriftenreihe] des interdisziplinären „Forschungsforums Öffentliche
Sicherheit“ der FU Berlin – allerdings unter Hinweis auch auf ganz andere
Faktoren: „Mit zunehmendem Alter steigt bei männlichen Befragten die
Häufigkeit vermeidender Schutzmaßnahmen, was – ebenso wie bei älteren
Frauen – auch mit Entfremdungsprozessen und Ressentiments gegenüber dem
sozialen Wandel in Zusammenhang steht.“
## Ein paar Lumen mehr sind auch keine Lösung
Ist der Hamburger Park mit dem markanten, zum Hotel gemachten alten
Wasserturm darin nun zum „Angstraum“ geworden, wie es mancher wahrnimmt –
in auffälliger Anlehnung an entsprechende Diskussionen um den Görlitzer
Park in Berlin-Kreuzberg?
Nehmen wir mal an, es ist so: Muss dann nicht auch gesprochen werden von
anderen Parallelen zwischen den beiden einst als alternativ gelesenen
Quartieren um diese Grünanlagen herum, von Veränderung und Verdrängung, von
Touristenströmen und Betongeld-Investitions-Hype? Von Verunsicherungen
also, die ihrerseits Angst machen – und denen sich nicht einfach beikommen
lässt mit ein paar Lumen mehr.
Den ganzen Schwerpunkt der taz nord zum Thema Kriminalitätsbekämpfung mit
Licht lesen Sie in der taz am Wochenende am Kiosk oder [3][hier].
30 Nov 2018
## LINKS
[1] https://jech.bmj.com/content/69/11/1118
[2] https://www.sicherheit-forschung.de/forschungsforum/schriftenreihe_neu/sr_v…
[3] /e-kiosk/!114771/
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Kriminalität
Drogenhandel
Licht
Sicherheitsgefühl
Polizei Bremen
Racial Profiling
Hamburg
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