# taz.de -- Koalition berät über Einwanderungsgesetz: Wer kommen und wer blei… | |
> Die Große Koalition einigt sich auf Eckpunkte für Zuwanderung. Unklar | |
> ist, wie viele Menschen dann tatsächlich kommen dürfen. | |
Bild: Im kommenden Jahr soll das Fachkräftezuwanderungsgesetz im Bundestag bes… | |
BERLIN taz | Seit 14 Jahren lebt Immaculate Adet in Deutschland. Die | |
Uganderin spricht fließend Deutsch, arbeitet als Referentin für | |
verschiedene Organisationen und engagiert sich ehrenamtlich in Bayreuth in | |
einem Nähprojekt für Flüchtlinge. Das heißt, sie engagierte sich. Denn seit | |
Ende August sitzt Adet in Abschiebehaft, sie soll nach Uganda ausgewiesen | |
werden. Fast 25.000 Menschen haben eine Petition unterschrieben und | |
fordern, dass sie bleibt. | |
Vielleicht dachte Innenminister Horst Seehofer, CSU, an Immaculate Adet, | |
deren Fall der bayerische Flüchtlingsrat im Netz dokumentiert hat, als er | |
am Dienstag in Berlin die Eckpunkte für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz | |
vorstellte. Da nahm er nämlich Bezug auf eine Frau, die seit 14 Jahren hier | |
lebe, gut integriert sei und abgeschoben werden solle. „Das geht an der | |
Lebenswirklichkeit vorbei“, meinte Seehofer und pries das nun geplante | |
Einwanderungszuwanderungsgesetz als „pragmatische und lebensnahe Lösung.“ | |
Das ließ aufhorchen, nicht nur weil man solche Töne von Seehofer in der | |
Ausländerpolitik nicht gewohnt ist, sondern auch weil der CSU-Vorsitzende | |
sich am Dienstag ausnahmsweise mal einig mit den Kollegen von SPD und CDU, | |
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundeswirtschaftsminister Peter | |
Altmaier war. Die drei Herren klopften sich in der Bundespressekonferenz | |
rhetorisch gegenseitig auf die Schultern, man habe „recht pragmatisch | |
zusammengearbeitet“, so der Bundesarbeitsminister. | |
Was hatte der Koalitionsausschuss also in der Nacht von Montag zu Dienstag | |
in punkto Einwanderung beschlossen? Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder | |
-zuwanderungsgesetz wie Seehofer sagt, basiert auf mehreren Säulen. | |
Zum einen sollen gut integrierte Menschen mit einer Duldung, die ihren | |
Lebensunterhalt selbst verdienen einen wie es im Papier heißt | |
„verlässlichen Aufenthaltsstatus“ wechseln. Damit sei im Grunde die | |
Aufenthaltserlaubnis gemeint, wie es aus der Fachabteilung im BMI heißt. | |
## Der „Spurwechsel“ heißt nicht mehr so | |
Damit würden die Betreffenden vom Asylverfahren in die | |
Fachkräfteeinwanderung wechseln, also genau jenen Spurwechsel vollziehen, | |
den die SPD gefordert hat. Aber damit die SPD nicht zu sehr triumphiert hat | |
sich die Große Koalition nun darauf geeinigt, den Begriff „Spurwechsel“ | |
nicht mehr zu verwenden: man wolle keine semantischen Diskussionen führen. | |
In Deutschland leben derzeit über 170.000 Geduldete, die meisten von ihnen, | |
rund 100.000, sind abgelehnte Asylbewerber. Nach welchen Kriterien die | |
Menschen vom Status Duldung in die Aufenthaltserlaubnis wechseln dürfen, | |
wird jedoch noch ausgehandelt, unklar ist also, wie viele davon profitieren | |
können. Für Immaculate Adet bleibt es also offen, ob sie auf diesem Weg | |
tatsächlich auf Dauer in Deutschland bleiben kann. | |
Ein weiterer Punkt auf den sich die Große Koalition geeinigt hat ist, dass | |
künftig Menschen mit qualifizierter Berufsausbildung aus Ländern, die nicht | |
der EU angehören, nach Deutschland kommen und sich hier auf Jobsuche | |
begeben können. Sechs Monate haben sie dafür Zeit und müssen ihren | |
Lebensunterhalt währenddessen aus eigener Tasche bestreiten. Bisher galt | |
diese Regelung nur für Hochschulabsolventen, die in Deutschland studiert | |
hatten, neu ist, dass nun auch Menschen ohne Hochschulabschluss in den | |
Arbeitsmarkt einwandern können. | |
## Vorrangprüfung für Einheimische | |
Der Haken: sie müssen bereits Deutsch sprechen und natürlich will die | |
Regierung auch keine unwillkommene Konkurrenz. Das heißt, die | |
Vorrangprüfung – Deutsche zuerst – die laut Eckpunkten eigentlich | |
abgeschafft werden soll, kann, so heißt es im selben Absatz, in | |
„Arbeitsmarktregionen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit“ | |
beibehalten oder wieder eingeführt werden. | |
Im Jahr 2019 will das Kabinett zudem eine gezielte Fachkräftestrategie | |
beschließen, um dringend benötigte Fachkräfte etwa Bäcker oder | |
Elektroingenieurinnen aus anderen Ländern, nun ja, abzuwerben. Nach Angaben | |
des Bundeswirtschaftsministeriums sind derzeit 400.000 Stellen vakant und | |
können mangels Bewerbungen nicht besetzt werden. Die Anerkennung von | |
ausländischen Berufsabschlüssen und die Möglichkeiten im Ausland Deutsch zu | |
lernen will die Bundesregierung gemeinsam mit den Außenhandelskammern und | |
Konsulaten verbessern. | |
Laut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, wird das Gesetz vor | |
allem für mittelständische Unternehmen wirken. Er wie auch sein Kollege | |
Heil erklären nun eine jahrelange, ideologisch geführte Debatte für | |
beendet. Es scheint tatsächlich, als ob der Ausspruch des damaligen | |
CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer vom „fußballspielenden, | |
ministrierenden Senegalesen, der seit drei Jahren in Deutschland lebe und | |
den man nie wieder los“ werde, sich ins Gegenteil verkehrt hat. Nun will | |
man genau diese Leute halten. | |
## Nur „nützliche“ Einwanderung | |
Für Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat bleiben dagegen viele | |
Fragen offen. Das Papier enthalte doch viel „Geschwurbel“, meint Thal | |
gegenüber der taz. Unklar bliebe etwa, was die Menschen erwarte, die eine | |
Integrationsklasse absolviert hätten und nun auf die Genehmigung für eine | |
Ausbildung warteten. Allein in Bayern steckten bis zu 20.000 Absolventen | |
von Integrationsklassen fest, weil die Ausländerbehörden ihnen | |
verweigerten, eine Ausbildung zu beginnen, so Thal. | |
Zu ihnen gehört demnach auch Immaculate Adet. Laut Flüchtlingsrat studierte | |
sie zuletzt Wirtschaft, weil ihr beharrlich jede Arbeits- oder | |
Ausbildungserlaubnis verweigert worden sei. Auch einen Job als Näherin habe | |
ihr die Ausländerbehörde der Stadt Bayreuth nicht genehmigt. | |
Thal vom Flüchtlingsrat fordert stattdessen: „Wer hier lebt, darf arbeiten | |
und wer eine Ausbildung schafft, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis. Das | |
heißt für uns Klarheit schaffen.“ | |
Filiz Polat, Sprecherin für Migrationspolitik der Grünen im Bundestag | |
schwant jedoch, dass alles viel komplizierter wird. „Es ist zu befürchten, | |
dass der Gesetzentwurf statt Vereinfachungen und Erleichterungen für | |
Geflüchtete und Arbeitgeberinnen und -arbeitgeber ein Mehr an Bürokratie | |
und undurchsichtigen Regelungen schafft“, schreibt sie in einer | |
Stellungnahme. Einerseits solle ein „Spurwechsel“ kommen, andererseits aber | |
am Grundsatz der Trennung von Asyl und Erwerbsmigration festgehalten | |
werden. Die Vorrangprüfung solle abgeschafft werden, weiterhin solle sie | |
eine Option bleiben. „Es scheint ganz, als wisse die Regierung selbst | |
nicht, welches Ziel sie mit ihrer Gesetzgebung verfolgen möchte“, meint | |
Polat. | |
Für die migrationspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag Gökay | |
Akbulut, ist das Ziel hingegen klar: „Es geht in dem Papier der Großen | |
Koalition nicht um die individuellen Rechte von Migrantinnen und Migranten, | |
sondern um Arbeitsmigration, die man steuern möchte.“ Eine solche | |
Einwanderungs- und Integrationspolitik aber, die Rechte danach vergibt, ob | |
Menschen für Unternehmen als „nützlich“ gelten, lehne sie ab. | |
Das Bundesinnenministerium will bis zum Oktober einen Gesetzentwurf | |
erarbeiten, der dann zwischen den Ressorts abgestimmt wird. Im kommenden | |
Jahr soll das Fachkräftezuwanderungsgesetz im Bundestag beschlossen werden. | |
Für Immaculate Adet vielleicht noch rechtzeitig. Für die Menschen, deren | |
Abschiebung vom Flughafen München nach Afghanistan am Dienstag angesetzt | |
war, wahrscheinlich zu spät. | |
2 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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