| # taz.de -- Hambacher Forst von Polizei geräumt: Der Hambach-Atlas | |
| > Der Wald ist zum Ort des Widerstands gegen die Kohle geworden. Antworten | |
| > auf die wichtigsten Fragen. | |
| Bild: Die Polizei unterstützt die RWE-Mitarbeiter im Hambacher Forst | |
| Der Forst | |
| Der Hambacher Wald war einst der größte Wald des Rheinlands und einer der | |
| größten Mischwälder Europas. Obwohl er auch immer wirtschaftlich genutzt | |
| wurde, hat er ein einzigartiges Ökosystem. Die Baumstruktur ist von | |
| Hainbuchen und Stieleichen geprägt, manche von ihnen sind bis zu 350 Jahren | |
| alt. Es gibt nur Reste von Nutzwegen, auf dem Waldboden wachsen | |
| Maiglöckchen, Narzissen und Orchideen. Von den ursprünglich rund 5.500 | |
| Hektar sind heute noch etwa 1.000 vorhanden. | |
| Der Wald hat eine mehrere Jahrtausende alte Geschichte, er existiert seit | |
| der jüngsten Eiszeit vor 12.000 Jahren. Die meiste Zeit hieß er Bürgewald, | |
| erst mit der Entstehung des Tagebaus bürgerte sich die Bezeichnung | |
| Hambacher Forst ein. Vor Aufschluss des Tagebaus Hambach 1978 verkauften | |
| die umliegenden Gemeinden ihre Anteile am Wald an die Rheinbraun AG, den | |
| heutigen Energiekonzern RWE. Jedes Jahr hat RWE die Erlaubnis, 70 Hektar | |
| Wald zu roden. Die Rodungsarbeiten dürfen nur von Oktober bis März | |
| stattfinden. | |
| Im Wald leben über 140 geschützte Tierarten, darunter zum Beispiel die | |
| Bechsteinfledermaus, die in den alten Eichen lebt, die Haselmaus und die | |
| Rote Waldameise. Viele Zugvögel machen hier Zwischenstopp. Nach Meinung von | |
| Michael Zobel, Waldführer im Hambacher Forst, erfüllt der Wald alle | |
| Bedingungen der europäischen FFH-Richtlinie (Fauna-Flora-Habitat) und würde | |
| sofort geschützt, wenn das Land einen Antrag in Brüssel stellen würde. RWE | |
| unternimmt einiges, um die Tiere in die umliegenden Wälder zu locken. | |
| Die Technik | |
| Im [1][Tagebau Hambach] werden nach Angaben des Betreibers RWE die größten | |
| beweglichen Maschinen der Welt eingesetzt: Auf 7 Sohlen stehen insgesamt 8 | |
| Schaufelradbagger. Die 225 Meter langen und fast 100 Meter hohen Geräte | |
| ruhen auf 12 Raupenfahrwerken und werden rund um die Uhr von vier Personen | |
| bedient. | |
| Mit 18 Schaufeln, die in ein Rad eingelassen sind und die jeweils die Größe | |
| eines Kleinwagens haben, kann ein Bagger die Landschaft bis zu 65 Meter | |
| nach oben und bis zu 28 Meter nach unten wegfräsen. Das abgebaggerte | |
| Material – bis zu 240.000 Kubikmeter pro Tag – wird über 2,80 Meter breite | |
| Förderbänder zu einem zentralen Verteilpunkt gebracht. | |
| Von dort wird es über weitere Förderbänder auf die andere Seite der Grube | |
| transportiert, wo 7 sogenannte Absetzer das Material terassenförmig | |
| schichten, um damit das Loch allmählich wieder zu füllen. Insgesamt | |
| arbeiten im Tagebau Hambach 1.500 Beschäftigte von RWE sowie etwa 700 von | |
| Fremdfirmen. Ihre Jobs wären auch bei einem Kohleausstieg durch die | |
| anstehende Rekultivierung des Geländes noch lange sicher. | |
| Die Kohle | |
| Die Braunkohle, um die es geht, liegt im Tagebau Hambach in einer Tiefe von | |
| 350 bis 400 Metern. Sie wird, nachdem das darüber liegende Erdreich | |
| entfernt wurde, ebenfalls mit einem Schaufelradbagger abgebaut und über | |
| Förderbänder abtransportiert – entweder zur Zwischenlagerung in den | |
| Kohlebunker am Rand des Tagebaus oder über eine Beladebrücke direkt in die | |
| Waggons der RWE-Hambachbahn. Diese transportiert die Kohle – ebenso wie | |
| jene vom weiter nördlich gelegenen Tagebau Garzweiler 2 – in die | |
| umliegenden RWE-Kraftwerke Neurath, Niederaußem und Goldenberg, wo daraus | |
| Strom (und in Goldenberg auch Wärme) erzeugt wird. | |
| Braunkohleverbrennung ist die klimaschädlichste Form der Stromerzeugung. | |
| Bei der Produktion einer Kilowattstunde Strom entstehen 1.150 Gramm CO2. | |
| Zum Vergleich: Bei Steinkohle sind es 850 Gramm, bei Erdgaskraftwerken nur | |
| 380 Gramm. | |
| Um seine Klimaziele zu erreichen und das Paris-Abkommen von 2016 | |
| einzuhalten, muss Deutschland die Stromerzeugung aus Kohle schnell | |
| reduzieren und bis etwa 2030 weitgehend einstellen. Aktuell geplant ist | |
| derzeit jedoch noch eine Nutzung bis etwa 2045. Über den Ausstiegspfad und | |
| wirtschaftliche Alternativen für die betroffenen Regionen verhandelt | |
| derzeit die sogenannte [2][Kohlekommission der Bundesregierung]. | |
| Das Loch | |
| Hambach ist derzeit der größte Braunkohletagebau Europas. Die genehmigte | |
| Abbaufläche erstreckt sich über 85 Quadratkilometer. Aktuell ist die | |
| Grube etwa 7 Kilometer lang und 7 Kilometer breit und wandert in einem | |
| Bogen Richtung Südosten. Ein Großteil des ehemaligen Hambacher Forstes ist | |
| durch den Tagebau bereits verschwunden, eine Autobahn und eine Bahnstrecke | |
| wurden um 2,5 Kilometer nach Süden verschoben. | |
| Vier Ortschaften sind zudem im Loch verschwunden. Die 2.650 Menschen, die | |
| dort lebten, wurden auf Kosten von RWE in neue Orte am Rand des Tagebaus | |
| umgesiedelt. Zwei weitere Ortschaften – Manheim und Morschenich – stehen | |
| noch, doch ein Großteil der 2.122 Einwohner dieser Orte haben ihre Häuser | |
| bereits verlassen und verrammelt. | |
| Nach Angaben von RWE muss etwa die Hälfte der verbliebenen 200 Hektar des | |
| Hambacher Forstes in diesem Herbst und Winter gerodet werden, weil der | |
| Tagebau sonst „kurzfristig“ zum Stehen komme. Der Umweltverband BUND | |
| bestreitet das. Luftaufnahmen zeigten, dass der Tagebau in den letzten | |
| Jahren nur um jeweils 120 Meter in Richtung Wald gewandert sei, | |
| argumentiert der [3][BUND]. Weil die Abbruchkante derzeit rund 400 Meter | |
| vom Rand des verbliebenen Walds entfernt liege, könne der Tagebau drei | |
| Jahre in unvermindertem Tempo weiterlaufen, ohne dass Bäume gefällt werden | |
| müssten. | |
| Die Rekultivierung | |
| Der Tagebau geht mit einer gewaltigen Umgestaltung der Landschaft des | |
| Rheinlands einher. Im Nordwesten des Tagebaus ist das Erdreich, das während | |
| der ersten Betriebsjahre abgebaggert wurde, zu einem künstlichen Berg | |
| aufgeschüttet worden, der Sophienhöhe. Mit einer Höhe von 302 Meter über | |
| Meeresniveau überragt sie das umliegende Jülicher Land um 200 Meter. Auf | |
| der ehemaligen Abraumkippe wurden mittlerweile über 10 Millionen Bäume | |
| gepflanzt und ein Naherholungsgebiet mit Wanderwegen, Schutzhütten und | |
| Wildfreigehegen angelegt. | |
| Der mittlere Teil des Tagebaus, der mit dem weiter südöstlich abgebaggerten | |
| Material verfüllt wird, wird später ungefähr die gleiche Höhe haben wie | |
| vorher. Im Südosten wird, wenn der Tagebau eines Tages ausgekohlt ist, ein | |
| riesiges Loch verbleiben, das mit Wasser gefüllt werden soll. | |
| Nach den aktuellen Plänen – die sich durch einen früheren Kohleausstieg | |
| noch ändern können – entstünde auf diese Weise westlich von Köln der mit | |
| einer Fläche von 39 Quadratkilometern und einer Tiefe von bis zu 400 Metern | |
| der vom Volumen her zweitgrößte deutsche See entstehen. Wer sich ein | |
| Grundstück am Wasser sichern will, hat laut RWE aber noch Zeit: Die | |
| Fertigstellung kann sich bis zum Jahr 2100 hinziehen. | |
| Die Baumhäuser | |
| Gallien, Lorien oder Oaktown heißen sie – und sie sind die eigentlichen | |
| Orte der Waldbesetzung. In diesen Baumhaussiedlungen haben Umweltschützer | |
| und Baumbesetzerinnen Holzhütten in Höhen von bis zu 25 Metern errichtet. | |
| Dort wohnen sie – [4][wenn sie gerade dürfen]. In einem Plenum wird | |
| teilweise allabendlich neu darüber entschieden, wer in der kommenden Nacht | |
| welche Hütte bezieht. Andere Baumhäuser haben StammbesetzerInnen. | |
| Die teils spektakulär gebauten, oft liebevoll verzierten Hütten sind meist | |
| nur per Kletterseil zu erreichen und so für die Polizei äußerst schwer zu | |
| räumen. Zuletzt entstanden immer mehr solcher Dörfer. Die älteste Siedlung | |
| ist Oaktown. Sie verdankt ihren Namen den Alten Stieleichen in diesem Teil | |
| des Forstes. Gallien liegt in der Nähe und hat neben einem dreigeschossigen | |
| Turm auch WLAN. | |
| Darüber hinaus gibt es auch einzeln stehende Baumhäuser wie das | |
| spektakuläre „§11“. Es wurde von Zimmerleuten gebaut und beherbergt unter | |
| der drei Meter hohen Decke auch eine Bar. Ach so, wichtig: Geschissen wird | |
| meist oben – der Abstieg dafür wäre zu aufwendig. In der Vergangenheit kam | |
| es verschiedentlich vor, dass mit Kot gefüllte Plastiktüten hinunter | |
| fielen, als Polizisten unten aktiv waren. | |
| Das Wiesencamp | |
| Die bunte Wiese ist vor allem für Neuankömmlinge die zentrale Anlaufstelle. | |
| Hier befindet sich ein Protestcamp mit wichtigen Bodenstrukturen: | |
| Wohnwagen, Lehmhütten, ein Versammlungsraum, eine Küche, Bibliothek und | |
| Badehaus. Alles rustikal, alles selbst gebaut. Wenn Unterstützerinnen und | |
| Unterstützer anreisen, kommen sie zumeist am nahegelegenen Bahnhof an. Von | |
| dort geht es über die Mahnwache – ein Anlaufpunkt für Auswärtige – zum | |
| Wiesencamp, wo auch häufig der sogenannte Alf-Bus steht. Das ist ein | |
| Versorgungsbus, aus dem heraus sich die Aktivistinnen und Aktivisten | |
| gegenseitig bekochen. | |
| Der Bus wurde in den letzten Wochen immer wieder durchsucht und teils | |
| stundenlang festgehalten. Auch gegen die Bauten auf der Wiese geht die | |
| Polizei immer wieder vor und begründet dies häufig mit Baurechtsverstößen. | |
| Ganz räumen kann sie das Gelände allerdings nicht so einfach. Der Besitzer, | |
| Kurt Claßen, ein renitenter älterer Herr, schreibt Tag um Tag Protestbriefe | |
| an Landesregierung und Staatsanwaltschaften und sympathisiert mit den | |
| Aktivisten. | |
| Solange er sie auf seinem Privatgrund duldet, kann die Polizei nur | |
| eingeschränkt gegen die Aktivisten vorgehen. Das weiß auch RWE. Der | |
| Konzern hat Claßen einmal 15.000 Euro für die Wiese geboten, er aber | |
| verlangt rund 32 Milliarden. Diese Zahl hat der Steuerberater selbst | |
| ausgerechnet – es soll angeblich die Summe sein, die dem Konzern entginge, | |
| wenn der Wald bliebe. | |
| Der Grubenrand | |
| Wandert man nach Norden durch die Hainbuchen und Stieleichen des Walds, | |
| stößt man auf einen Erdwall. Er markiert die Grenze zwischen Kohlegrube | |
| und Hambacher Forst. Dahinter befindet sich die alte Autobahn A4, der | |
| Abschnitt zwischen Düren und Kerpen wurde um fast 2 Kilometer nach Süden | |
| verlegt. Die zurückgebliebene Geisterstraße ist nicht mehr asphaltiert und | |
| wirkt wie ein überdimensionierter Feldweg. | |
| Hier beginnt schon das RWE-Betriebsgelände, das bald steil abfällt. | |
| „Mordor“ wird die Grube unter Kohlegegnern gelegentlich genannt. Hinter der | |
| alten Autobahn war früher auch Wald, der aber längst gerodet wurde. | |
| Schrittweise sollen in den nächsten Jahren noch die letzten Reste des | |
| Hambacher Forsts von der Grube, geschluckt werden. Annähernd sind es noch | |
| etwa 1.000 Hektar. Die Kohlebagger stehen bereits in Sichtweite zum | |
| Waldrand. | |
| Die Sicherheitskräfte | |
| Private Sicherheitskräfte von RWE haben den Auftrag, die Kohlegrube zu | |
| sichern und den Betrieb weiter zu ermöglichen. Dazu unterhält RWE | |
| Stützpunkte zwischen Grube und Wald. Von hier begleiten Sicherheitskräfte | |
| die Baumarbeiter in den Wald. Ihre Aufgabe ist es vor allem, den Wald zu | |
| roden oder dafür vorzubereiten. | |
| Immer wieder kam es dabei in der Vergangenheit zu teils heftigen | |
| Auseinandersetzungen mit den Waldbesetzern. Unterstützung erhält RWE daher | |
| von der Polizei. Polizei und RWE haben vor allem über die Straßen östlich | |
| und westlich des Waldareals Zugang. Die Beamten sind ständig präsent und | |
| kontrollieren die meisten Zugangswege zum Waldgebiet sowie den gesamten | |
| Großraum rund um den Hambacher Forst. Sie führen auch im weiteren Umfeld | |
| Straßenkontrollen durch, beschlagnahmen verdächtige Gegenstände oder ganze | |
| Gartenlauben. | |
| Roden darf RWE nun wieder ab dem 1. Oktober. Zuvor soll der Wald geräumt | |
| werden – teils mit schwerem Gerät. Die jüngste Begründung dafür: Die | |
| Baumhäuser verstoßen gegen Brandschutzbestimmungen. Die Aktivist*innen | |
| rufen bundesweit dazu auf, sich den Polizeimaßnahmen in den Weg zu stellen. | |
| Die Barrikaden | |
| Immer wieder errichten die Aktivist*innen unterschiedlichste Hindernisse, | |
| um die Räumung des Walds und ihrer Hütten möglichst zu verhindern. An | |
| vielen Punkten im Wald liegen Holzbarrikaden. Teils waren darin oder in | |
| eigens ausgehobenen Waldlöchern in der Vergangenheit auch Bombenattrappen | |
| versteckt, die der Polizei die Räumung schwermachen sollten. | |
| Besonders beliebt sind sogenannte Tripods. Dabei handelt es sich um große, | |
| dreibeinige Konstruktionen aus Holz, die recht einfach zu bauen, aber | |
| schwer zu räumen sind und oft an strategisch wichtigen Stellen des | |
| Wegenetzes die Zufahrtswege in den Wald blockieren. Besonders umkämpft ist | |
| die Kreuzung bei „Death Pop“. Von der Zufahrtsstraße her rückt die Polizei | |
| dort häufig mit ihren Kräften in den Wald ein. | |
| Dort sind die Tripods daher häufig mit aufwendigen | |
| Kletterseilkonstruktionen versehen. Kletterseile führen dann von der | |
| Barrikade direkt in die Bäume. Die Aktivist*innen können es sich in | |
| Hängematten gemütlich machen oder über die Seile spazieren gehen. Weil die | |
| Zerstörung der Tripods auch die Seile mit sich ziehen würde, muss die | |
| Polizei vorsichtig vorgehen, um keine Menschenleben zu gefährden. | |
| 14 Sep 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Kaul | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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