# taz.de -- Räumung im Hambacher Forst: „Der Wald bleibt, der Wald geht“ | |
> Die einen wohnen in Baumhäusern. Die anderen kommen in Hundertschaften. | |
> Tag eins der Räumung eines Symbols. | |
Bild: Mit dem Hubwagen in den Baum: Polizisten bemühen sich um einen Besetzer | |
HAMBACHER FORST taz | „Der Wald bleibt, der Wald geht“, ruft der Besetzer. | |
Er sitzt auf einer Plattform hoch über den Köpfen, gebaut mit drei | |
Baumstämmen wie ein riesiger Hocker. Drei Beine geben der Plattform den | |
Namen Tripod. Unter dem Besetzer schauen Scharen behelmter PolizistInnen | |
mit vielen Augen und JournalistInnen durch viele Kameras. Der Besetzer | |
reißt ein Blatt von einem Zweig. „Der Wald bleibt.“ Und noch eins. „Der | |
Wald geht.“ Er lacht herunter und schaut den Blättern nach, die er fallen | |
lässt. „Ich kann das machen, bis der Wald gerodet ist. Ich helfe euch!“ Die | |
PolizistInnen stehen und schweigen. Es nieselt im Hambacher Forst. | |
Ein Wald bleibt ein Wald, auch wenn rot-weiße Absperrbänder zwischen den | |
Stämmen hängen. Er bleibt Wald, wenn Gruppen behelmter PolizistInnen | |
scheinbar auf allen Wegen marschieren. Baggergeräusche, die die Vögel | |
übertönen, stören einen Wald nicht, ebensowenig BesetzerInnen, die von | |
ihren Barrikaden herunterrufen. Ein Wald nimmt so etwas hin, er kommt mit | |
vielem klar. Nur Rodungen verträgt er ganz schlecht. | |
Die wollen die AktivistInnen unbedingt verhindern. Das Unternehmen RWE | |
dagegen will den Hambacher Forst ab dem 14. Oktober roden, um seinen | |
Braunkohletagebau Hambach auszuweiten – der größte der Republik, der den | |
Bedarf nahegelegener Kraftwerke deckt und dabei Unmengen des | |
klimaschädliche Kohlendioxid ausstößt. | |
Das Loch, das so entsteht, ist bis zu 450 Meter tief. Ganze Ortschaften | |
sind darin schon verschwunden, kleine Dörfer wie Etzweiler und Tanneck. Von | |
ursprünglich über 40 Quadratkilometern Wald sind kaum noch acht übrig | |
geblieben. Um die geht es. | |
Teile des Hambacher Forsts sind schon seit 2012 besetzt. [1][Das soll ab | |
heute enden]. Das Bauministerium von Nordrhein-Westfalen hat entschieden, | |
das sofort geräumt werden muss, weil die Baumhäuser bezüglich des | |
Brandschutzes bautechnische gravierende Mängel aufwiesen. | |
## Warten auf die Räumung | |
Am Donnerstagmorgen sammeln sich AktivistInnen gegen halb sieben Uhr | |
morgens in einem der Baumhausdörfer. Ob die Polizei tatsächlich kommt, | |
steht da noch nicht fest. „Bitte keine Gerüchte verbreiten“, ruft ein | |
Besetzer ins Walkie-Talkie. „Die Leute sind gestresst genug. Weitergeben | |
nur, wenn ihr 100 Prozent sicher seid.“ Ein Kamerateam filmt BesetzerInnen | |
beim Abseilen von den Bäumen. Unter dem Baumhaus liegen zwei Aktivisten im | |
Regenschatten und schlafen. Warten, warten, anderthalb Stunden vergehen. | |
Bis es heißt: „Die Polizei ist da!“ | |
Um kurz nach acht Uhr kommen sie vorgefahren, eine endlose Schlange von | |
Fahrzeugen, über hundert werden es, Räumfahrzeuge dazwischen, zwei | |
Wasserwerfer, zivile Pkw, Rettungswagen, Notarzt, Spezialeinsatzkräfte. | |
Um 8 Uhr 24 kommt der Befehl „Marsch!“. Die aufgereihten Einsatzkräfte, | |
laut Kennung 14. BPH (Bundespolizei Hundertschaft), geht los, vermummt, mit | |
dunkelblauen Helmen. | |
## Die Bitte um freiwilliges Gehen verhallt ungehört | |
Eine weißbehelmte Einsatzhundertschaft aus Köln umkreisen einen kurzzeitig | |
wichtigen Mann, den Baudezernenten der Stadt Kerpen, der einen Text | |
vorliest. Er habe die Weisung bekommen, für die Räumung zu sorgen. Man | |
verlasse binnen 30 Minuten freiwillig „die Gemarkung Kerpen, Flur 7, | |
Flurstück 50“, ansonsten müsse „unmittelbarer Zwang“ angewandt werden. | |
Fürsorglich noch der Hinweis: „Bitte nehmen Sie beim Verlassen der | |
Baumhäuser ihre persönlichen Gegenstände mit.“ Die Worte verhallten im | |
Walde, Flur 7, Flurstück 50. | |
Die Lichtung, auf der der Tripod steht, liegt am östlichen Waldrand. Hier | |
soll die Räumung beginnen. Auf den besetzten Plattformen wird gesungen und | |
gepfiffen, „Heho, spann den Wagen an“ mischt sich mit Baggergeräuschen. | |
„Der Meeresspiegel steigt und ihr rodet hier den Wald, seid ihr völlig | |
bekloppt?“, ruft ein Besetzer. “Glaubt ihr, eure Kinder sind stolz auf | |
euch?“, ruft ein anderer. “Verpisst euch!“ Und dann ein Chor: „Eu-re Ki… | |
– werden so wie wir! Eu-re Kinder – werden so wie wir!“ | |
Zwischen den Barrikaden der Waldbewohner und den Einsatzkräften haben sich | |
gut zehn Menschen niederlassen, mehrheitlich Pfarrer und Pfarrerinnen der | |
evangelischen Gemeinde von Düren. Sie weigern sich den Weg freizumachen. | |
Polizeiansprache, keine Reaktion. Herr und Frau Gottesdiener werden darob | |
überaus unsanft nicht weggetragen, sondern weggeschleift. Eine Frau wird | |
von vier Beamten waagerecht abtransportiert. Als die draußen ankommen, | |
brandet Beifall herüber. | |
Schließlich ist der Weg frei, der Bagger rollt voran. Der Besetzer ruft: | |
„Der Wald bleibt, der Wald geht“, und wirft Blätter. | |
Tief im Wald ist die Stimmung entspannter als noch am Morgen. Viel mehr | |
AktivistInnen sind jetzt da, und die BesetzerInnen haben endlich | |
Gewissheit: Kein Warten mehr, ob die Polizei kommt. Durch Gallien, wie | |
eines der Baumdörfer genannt wird, zieht ein Trupp in Tarnkleidung. Sie | |
rufen hoch, aus den Baumhäusern ruft es zurück: „Alles gut, der Tripod | |
steht noch.“ Solange ist hier Ruhe. | |
## Besetzerin Olive: Dies ist kein Wellness-Urlaub | |
In einem der Baumhäuser wohnt Olive, seit etwa einem Jahr schon. Mitte | |
zwanzig ist sie, klein und kräftig: Aus etwa zehn Metern Höhe seilt sie | |
sich ab, dabei lässt sie das Seil durch ihre bloßen Hände rauschen, dass es | |
beim Zusehen weh tut. „Wenn der Wald stehen bliebe, würde ich mich dafür | |
einsetzen, dass wir hier alles abbauen“, sagt sie. „Unsere Anwesenheit ist | |
Stress für Bäume und Tiere. Hier ist eh nur noch so wenig Platz. Aber zur | |
Zeit sieht es nicht danach aus.“ | |
Der Alltag des Waldlebens ist kein Wellness-Urlaub: Olive, die ihren | |
vollständigen Namen nicht nennen möchte, erzählt vom Waschen mit | |
gespendeten Feuchttüchern und Desinfektionsgel. Vom Winter, der auch mit | |
den kleinen Öfen kaum auszuhalten sei. „Wer einmal krank ist, wird hier | |
nicht mehr gesund. Viele machen dann eine Pause in der Stadt.“ Die immer | |
wiederkehrende Rodungssaison, die von den AktivistInnen ständige | |
Alarmbereitschaft erfordere, erhöhe den Strss. „Wir hören jede Nacht die | |
Bagger. Und seit einigen Wochen kreisen die Hubschrauber über uns. Seit das | |
hier ein Gefahrengebiet ist, wird es sehr schwer, hier zu leben.“ | |
Die Anwesenheit der Polizei rufe auch untereinander Probleme hervor. „Wir | |
haben kaum noch Zeit für Soziales. Gerüchte führen zu Spaltungen, obwohl | |
wir uns eigentlich gut verstehen.“ Bei vielem sei man sich nicht einig. | |
„Die einen wollen mit dem Kontaktbullen kommunizieren, die anderen lehnen | |
das strikt ab, weil er so oft gelogen hat. Wir wollen alle Aktionsformen | |
akzeptieren, aber diskutieren immer wieder. Unter uns sind Gewaltgegner, | |
aber auch andere, die sagen: Wenn wir gar keine Gewalt anwenden würden, | |
hätten wir hier weniger öffentliche Aufmerksamkeit und mehr Polizei.“ | |
## Hunderte Polizisten stehen gegen sechs Aktivisten | |
Viel Polizei ist jetzt auch so hier. Hunderte BeamtInnen stehen um den | |
Tripod, die meisten behelmt und in einer Kleidung, die wie eine | |
mittelalterliche Rüstung wirkt. Sie sichern das Sperrgebiet um den | |
Räumungsbereich, in dem sich hoch oben vielleicht sechs BesetzerInnen | |
aufhalten, und stehen an den rot-weißen Absperrbändern, davor wie auch | |
dahinter. Nur einer einzigen Aktivistin gelingt es, es bis zu dem Tripod zu | |
rennen. Dann wird sie von Polizisten zu Boden gerissen und abgeführt. | |
Immer wieder fordert eine Besetzerin die BeamtInnen dazu auf, sich gegen | |
ihre Weisungen aufzulehnen. Die PolizistInnen bleiben stumm und stehen. Bei | |
einem Einsatz in großer Höhe ist der Druck hoch. Nach Angaben von Dirk | |
Weinspach, dem Aachener Polizeipräsidenten, bestehe schon beim geringsten | |
passiven Widerstand Lebensgefahr für alle Beteiligten. Fragt man | |
verschiedene PolizistInnen, wie es ihnen mit ihrem Einsatz geht, lautet die | |
Antwort: „Gut, nur zu warm.“ Mehr nicht. Fertig aus. Auf Nachfrage dazu, | |
wie die Verpflegung für so viele Einsatzkräfte mitten im Wald organisiert | |
wird, sagen sie: Für Mittagessen sei gesorgt. Toiletten gebe es auch, | |
irgendwo. | |
Im Laufe des Tages rücken die BeamtInnen weiter in den Wald vor. Die Dörfer | |
Norden, Oaktown, Gallien, sie alle bekommen Besuch. Tröten, Explosionen von | |
Böllern und kontrollierten Sprengungen der Polizeifüllen die Waldluft. | |
## Unterstützer auf dem Weg in den Wald | |
Dabei ist dieser erste Tag ist erst das Vorgeplänkel. Zahlreiche Gruppen | |
und Verbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Aktion | |
Unterholz und die lokale Vereinigung Buirer für Buir aus dem nächsten Dorf | |
haben für die kommenden Tage Proteste angekündigt. Schon vor dem Nachmittag | |
treffen die ersten hundert DemonstrantInnen ein. Die Polizei fängt sie ab, | |
doch die Gruppe löst sich einfach auf: Jeder rennt einzeln über die Wiesen | |
in Richtung Wald, die Polizei hinterher. Später heißt es unter den | |
BesetzerInnen, die meisten seien durchgekommen. | |
Die Tripod-Räumung geht derweil voran. Zwei Stunden dauert es, bis die | |
erste Plattform geräumt ist. Weitere anderthalb, bis dies beim Tripod | |
gelingt. Schätzungen, wie viele Baumhäuser es im Wald gibt, bewegen sich | |
zwischen 40 und 60 Exemplaren. Bleibt es bei der Geschwindigkeit von diesem | |
Donnerstag, dürfte der Einsatz mehrere Wochen andauern. | |
Als die Polizei in die Baumhausdörfer vorrückt, ist der Ruf „Der Wald | |
bleibt, der Wald geht“ des Besetzers auf der Plattform verstummt. Beim | |
letzten „Der Wald geht“ sind ihm die Blätter ausgegangen. „Schade“, me… | |
er. | |
13 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Anett Selle | |
Bernd Müllender | |
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