# taz.de -- Tödlicher Sturz: Schock im Hambacher Forst | |
> Trauer – und die Angst vor Schuldzuweisungen: Wie Aktivisten, Polizei und | |
> Politik auf das tragische Unglück im Hambacher Wald reagieren. | |
Bild: Trauer: Kerzen stehen an der Unfallstelle im Hambacher Forst | |
HAMBACHER FORST taz | Nach der Pressekonferenz ist die Baumhaussiedlung | |
Beechtown immer noch von einem großen Polizeiaufgebot umstellt. Es ist | |
gespenstisch ruhig. Aus den Baumhäusern im Camp dringt kein Laut. Einige | |
Pressevertreter werden näher zum sogenannten „Tatort“ begleitet. Sie dürf… | |
Fragen stellen. | |
Etwas später – es wird gerade zur Pressekonferenz der Aktivisten geladen – | |
kommt es laut Augenzeugen zu turbulenteren Szenen: Am Boden, in der Nähe | |
von Beechtown, sitzen mehrere Aktivisten. Sie scheinen traumatisiert zu | |
sein, einige weinen. Einige Polizeibeamte, behelmt und mit Hunden, | |
verstehen die Schockstarre der Menschen offenbar nicht recht. Es kommt zu | |
lautstarken Auseinandersetzungen mit den Aktivisten. Auch zwischen den | |
Aktivisten entsteht ein Streit. Unter anderem geht es darum, dass eine | |
Person behauptet, der Gefallene sei gar nicht tot. | |
Leider stimmt das nicht. Am Mittwochnachmittag war um kurz vor 16 Uhr ein | |
Mann aus den Baumhäusern im von Rodung bedrohten Hambacher Forst aus etwa | |
15 bis 20 Metern Höhe abgestürzt. Er landete auf dem Rücken und wurde laut | |
Polizei schwer verletzt. Kurz vor 18 Uhr wurde klar: Der Mann hat den Sturz | |
nicht überlebt. | |
Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzte daraufhin die | |
Räumungsarbeiten im Hambacher Forst „bis auf Weiteres“ aus. „Wir können | |
jetzt nicht einfach so weitermachen“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul | |
(CDU) in Düsseldorf. | |
Am Donnerstagmorgen ermittelte die Kriminalpolizei vor Ort die | |
Unglücksursache. Beamte seien im Wald vor Ort, sagte ein Polizeisprecher. | |
Einen Anfangsverdacht für eine Straftat gibt es nach Angaben der Aachener | |
Staatsanwaltschaft nicht. „Es sieht nach einem Unglücksfall aus“, sagte | |
Oberstaatsanwältin Katja Schlenkermann-Pitts der Deutschen Presse-Agentur. | |
## „Der Vorgang ist sehr tragisch“ | |
„Ein Mann, der das Leben der Baumhausbewohner dokumentiert hat, ist ums | |
Leben gekommen“, sagte Paul Kemen, Sprecher der Polizei Aachen. Er sei, so | |
Kemen, durch mehrere Bretter einer Brücke zwischen zwei Baumhäusern | |
gestürzt. Obwohl sofort medizinische Rettungsmaßnahmen eingeleitet wurden | |
und ein Rettungshubschrauber landete, verstarb er noch vor Ort. „Der | |
Vorgang ist sehr tragisch“, sagte Kemen. | |
Der Mann habe seit Längerem das Leben der Aktivisten in den Baumhäusern | |
dokumentiert. Es habe zum Unglückszeitpunkt keine Polizeimaßnahmen in der | |
Nähe der Unglücksstelle oder am Baumhaus gegeben, betonten die Beamten. Das | |
Aktionsbündnis „Hambi bleibt“ erklärte, zu dem tödlichen Sturz sei es | |
vermutlich gekommen, weil der Mann einen SEK-Einsatz in der Nähe habe | |
beobachten wollen. | |
Viele im Wald sind am Mittwochabend geschockt. Mit Kerzen erinnern die | |
Aktivisten an den Toten. Eine Geigerin möchte laut Augenzeugen musizieren, | |
wird aber schnell darauf hingewiesen, dass das jetzt nicht der Moment ist. | |
Die Situation ist angespannt, die Polizei nervös. | |
Unterstützer, die Essen nach Beechtown bringen wollen, dürfen nicht in den | |
abgesperrten Bereich. Sie besprechen sich mit denen im Blätterdach und | |
kooperieren dann mit der Polizei. Zwei Beamte helfen dabei, Wasser und | |
Linsensuppe mit einem an einem Seil befestigten Eimer in die Höhe zu | |
lotsen. | |
Bei Einbruch der Dämmerung fahren viele Polizeifahrzeuge vom Wald weg. Es | |
wird ruhiger auf den dunklen Wegen und Pfaden. Nur die Unfallstelle ist mit | |
Flutlicht hell erleuchtet. Sie wird noch rigider abgeriegelt als zuvor: | |
Journalisten dürfen nicht einmal mehr an das Absperrband. Ein | |
Polizeibeamter, der den Weg bewacht, erklärt, dass die Spurensicherung | |
inzwischen begonnen habe und noch Zeugen vernommen werden. “Das wird | |
akribischst aufgeklärt – nicht dass es heißt, das war die Polizei“, sagt | |
er. | |
## „Heute sind viele Tränen geflossen“ | |
Eine Gruppe von etwa zehn Menschen kommt an den Tatort und wundert sich | |
über die strenge Abriegelung. “Die haben Angst, dass etwas eskaliert“ sagt | |
einer, “dabei ist die Stimmung sehr friedlich. Betroffen sind alle, und | |
heute sind viele Tränen geflossen.“ | |
Die Gruppe besteht aus Aktivisten, Unterstützern und Leuten, die | |
psychologische Betreuung anbieten. Die Polizei hatte einige Ärzte und | |
Therapeuten zuvor unkompliziert in den Wald gelassen. Es entwickelt sich | |
ein kurzes Gespräch mit dem Beamten, der behauptet: “Jetzt sind die Karten | |
neu gemischt. Jetzt entscheiden andere, wie es hier weitergeht.“ | |
Etwas weiter, an der Weggabelung namens Jesus Point, stehen Polizisten. Sie | |
warnen vor den Polizei-Transportern: “Nicht dass da noch einer umgefahren | |
wird. Es langt schon, wenn einer vom Baum fällt.“ Die kleine Nachtwanderung | |
darf aber ungehindert fortgesetzt werden. Man unterhält sich eher gedämpft. | |
Es sei gut, in Gruppen unterwegs zu sein, sonst könne es hier gruselig | |
werden. | |
Am Rand der Mahnwache hängt ein Banner, auf dem steht: “Ohne Räumung gäbe | |
es hier keinen Toten“. Zwei Aktivisten stehen dahinter und diskutieren. Sie | |
finden es “nicht so cool“, weil es eine problematische Kausalkette | |
aufstellt. Das könne man genauso von der Besetzung behaupten oder vom | |
Kapitalismus oder gleich von der ganzen Menschheit – ohne die hätte es auch | |
keinen Toten gegeben. Vieles ist an diesem Abend noch unklar. Plena sind | |
abgesagt worden. Man muss sich erst einmal sammeln. | |
Der nordrhein-westfälische Innenminister Reul appellierte indes an die | |
Waldbesetzer, die Baumhäuser freiwillig zu verlassen. „Wir leben jetzt alle | |
auch damit, mit der Hoffnung, so will ich es vielleicht sagen, dass | |
diejenigen, die da in den Häusern sind, jetzt aus dem Wald rausgehen, aus | |
den Häusern rausgehen, damit nichts passiert“, sagte Reul dem Radiosender | |
WDR2. | |
Der Arbeitsbühnen-Verleiher Gerken kündigte an, seine Geräte aus dem | |
Hambacher Forst abzuziehen. Das Unternehmen sei von dem betreffenden | |
Kunden, bei dem es sich nicht um die Polizei handele, zuvor nicht über den | |
Einsatzzweck informiert worden. „Da auch wir mit der Vorgehensweise im | |
Hambacher Forst absolut nicht einverstanden waren und sind und wir auch den | |
Einsatz unserer Bühnen dort nicht weiter rechtfertigen können, haben wir | |
heute beschlossen, dass wir unsere Geräte dort stilllegen“, schrieb die | |
Geschäftsleitung am Mittwoch auf der Firmenhomepage. (mit dpa) | |
20 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Andrew Müller | |
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