# taz.de -- Räumung im Hambacher Forst: Gewalt und Liebe in den Baumkronen | |
> Die Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst hat begonnen. Bis der erste | |
> Einbaum fällt, vergehen Stunden. Die komplette Aktion wird dauern. | |
Bild: Die Räumung im Hambacher Forst hat begonnen: Aktivist*innen werden gewal… | |
HAMBACHER FORST taz | Um kurz nach acht Uhr morgens kamen sie vorgefahren, | |
eine endlose Schlange von Polizeiwannen, über hundert wurden es, | |
Räumfahrzeuge dazwischen, zwei Wasserwerfer, zivile Pkw, Rettungswagen, | |
Notarzt, Spezialeinsatzkräfte. Erstaunlicherweise gab es keine | |
Personenkontrollen auf dem Weg in den [1][Hambacher Forst], trotzdem sind, | |
bis auf die Presse, erst ganz wenige Protestierende auf dem Weg in den | |
Wald. | |
Um 8 Uhr 24 kommt der Marsch-Befehl. Die aufgereihten Einsatzkräfte, laut | |
Kennung 14. BPH (Bereitschaftsspolizei Hundertschaft), geht los, | |
vollvermummt, mit monströsen dunkelblauen Helmen. Im Kino würde man sagen: | |
Das ist eine Horde Orks. | |
Keine 50 Meter neben der Zufahrtstraße, auf dem ersten Waldweg, ist der | |
Zugang verstellt. Zur Blockade haben die Waldbewohner ein mächtiges Tripod | |
aufgebaut, daneben einen zehn Meter hohen Einbaum (im Polizeijargon | |
Monopod), alles durch Seile verbunden. | |
Zwei Personen sitzen auf der Plattform in der Tripodspitze, auf dem Einbaum | |
thront im goldglitzernden Kälteschutz Freddy, wie er sich später vorstellen | |
wird. Drumherum, viel weiter oben, die ersten drei Baumhäuser, unter den | |
Baumkronen versteckt. „Die Kletterbullen sind angekommen“ schreit einer. | |
Per lauter, weil gebrüllter Stiller Post geben das die Bewohner oben in den | |
Wipfeln durch den ganzen Forst. | |
## Aktivist im Baumhaus: „Ich sitze hier, ich gehe nicht“ | |
Die Orks und eine weißbehelmte Einsatzhundertschaft aus Köln umkreisen | |
einen kurzzeitig wichtigen Mann, den Baudezernenten der Stadt Kerpen, der | |
einen Text vorlas. | |
Er habe die Weisung bekommen für die Räumung zu sorgen, sagt er. Man habe | |
binnen 30 Minuten freiwillig „die Gemarkung Kerpen, Flur 7, Flurstück 50“ | |
zu verlassen, ansonsten müsse „unmittelbarer Zwang“ angewendet werden. | |
Fürsorglich noch der Hinweis: „Bitte nehmen Sie beim Verlassen der | |
Baumhäuser ihre persönlichen Gegenstände mit.“ Die Worte verhallten im | |
Walde, Flur 7, Flurstück 50, und die darauffolgenden auch. | |
Freddy gibt erste Interviews, er erzählt, dass seine Eltern stolz auf ihn | |
seien. Ob sie womöglich sogar Polizeibeamte sind, bleibt offen. Einer | |
fragt: „Wie weit werden Sie bei Ihrem Widerstand denn gehen?“ Antwort | |
Freddy: „Ich sitze hier, ich gehe nicht.“ Auch der Landrat hatte sich am | |
Mittwochabend bereits geäußert: Er ist stinksauer, dass seine Leute den | |
Zugriff durchführen müssen, während sich die Landesregierung in der | |
Staatskanzlei verschanzt. | |
Zwischen den Barrikaden der Waldbewohner und den aufmarschierten | |
Einsatzkräften haben sich gut zehn Leute niedergelassen, mehrheitlich | |
Pfarrer und Pfarrerinnen der evangelischen Gemeinde „zu Düren“. Sie weigern | |
sich den Weg freizumachen. Polizeiansprache, keine Reaktion. | |
Die PfarrerInnen werden darob überaus unsanft nicht weggetragen, sondern | |
weggeschleift. Eine Frau wird von vier Beamten waagerecht abtransportiert. | |
Als die draußen ankommen, brandet Beifall herüber. Vermutlich von den | |
UnterstützerInnen der Baumbesetzer. | |
Gleichzeitig sorgt das junge Paar auf dem Tripod für die schönste Szene des | |
Tages. Erst knutschen sie hingebungsvoll, als die Polizei gerade einen | |
weiten Ring gezogen hat. Drumherum hysterische Schreie anderer | |
WaldbewohnerInnen und der Versuch, die Beamten zu Befehlsverweigerung | |
anzustacheln. | |
## Liebe über den Köpfen der Staatsgewalt | |
Der bärtige Mann und die kurzhaarige lachende Frau wälzen sich inniglich | |
umarmend herum. Dann nimmt der Mann einen Birkenzweig, wirft ein Blatt nach | |
dem anderenzu Boden und spricht ganz unaufgeregt: „Seht, wir helfen Euch | |
den Wald zu vernichten.“ Und dann: „Ist das für Euch nicht auch ein | |
bisschen traurig, dass das alles weg muss…?“ Sie strahlt ihn an. Dann | |
knutschen sie wieder, zehn Meter über der vielhundertfachen Staatsgewalt. | |
Unten fährt ein Greifbagger vor, Holzbarrikaden wegräumen, dann kommt einer | |
mit immer neuen Sandfuhren – um den Weg zu verbreitern. Man fragt sich, | |
warum das alles und warum man das nicht vorher tat. Derweil entzünden sich | |
Debatten am Rande. | |
Rechtsanwalt Hans Decruppe, Franktionschef der Linken im benachbarten | |
Bergheim, schimpft: „Es ist so unglaublich, politisch tut die | |
Landesregierung alles nur für RWE. Ich glaube sie wollen damit die | |
Kohlekommission torpedieren, dieses Kohle-Kabinett Laschet.“ Sein Nachbar, | |
der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel der Linken, ergänzt: „Wenn es | |
nicht so ernst wäre, könnte man auch vom Kohle-Kabarett Laschet sprechen.“ | |
Die Polizei will die Pressemeute, sicher an die 50 Leute stark, „weiter | |
zurückdrängen“, wie ein Beamter per Funk den Kollegen mitteilt, dazu müsse | |
„weiter abgeflattert werden“. Neue rot-weiße Bänder werden tief im Wald | |
gespannt. Dahin bitte. Alle weigern sich. | |
## Die Polizei will gewalttätige Bilder vermeiden | |
Immer neue Beamte halten Ansprachen, Sicherheitsgründe werden angeführt. | |
„Nein, wir bleiben, dann arbeiten wir eben im Sitzen…. Sie können uns dann | |
ja wegtragen lassen, das gibt auch schöne Bilder….“ Darauf verzichtet die | |
Einsatzleitung. Die Kameras bleiben, direkt am Geschehen. Ein kleiner | |
solidarischer Triumph. | |
Um 10:37 Uhr erweist sich das als sehr sinnvoll. Da sprintet eine junge | |
Frau schreiend und jubelnd quer durch den Wald, direkt zum Einbaum und | |
umklammert ihn. Wie peinlich für die Einsatzkräfte. | |
Offensichtlich will sie nur da sein, aber sie wird von sechs Beamten brutal | |
umgerissen, ohne Not wird sie von einer flachen Hand im Gesicht zu Boden | |
gedrückt, ihr Rucksack wird weggeschnitten und beiseite geworfen, sie wird | |
fixiert und über den Boden gewälzt. Sechs Männer begrabschen sie von allen | |
Seiten überall. | |
Das sind die Bilder, die die Einsatzleitung vermeiden wollte. Ja, es gibt | |
eine immer neue Gewaltdebatte um den Hambacher Forst, – dies ist ein | |
Beispiel, ein anderes ereignete sich vergangene Woche, als ein Aktivist | |
kopfüber aus einem Baum geholt und ihm dabei der Arm gebrochen wurde, | |
während ein Polizist direkt vor seinem Gesicht mit einem Karabinerhaken | |
immer wieder auf eine Metallverstrebung schlug. | |
## Der erste Einbaum wird zum Sturz gebracht | |
Eine feuerrote Hebebühne fährt vor. Der Wagen braucht zur Stabilisierung | |
den verbreiterten Waldweg. Mühsam sucht der Ausleger einen Weg durch das | |
Seilsystem – ein falscher Schritt und das Tripod kann einstürzen. Freddy | |
stellt sich oben hin in seiner Glitzermontur, breitet die Arme waagerecht | |
wie die Jesus-Statue in Rio und ruft: „Brecht den Einsatz ab, ich bin nicht | |
gesichert. Wenn Ihr auch nur ein Seil kappt, stürze ich ab. Ich will nicht | |
sterben, aber ich will auch nicht dass der Wald stirbt.“ | |
Die behelmten Polizisten zögern. Eine Sprungmatte wird im Laufschritt | |
herangeschafft. Als die drei Beamten in der Hebebühne ihm später | |
näherkommen, klettert Freddy tarzangleich den benachbarten Eichenstamm hoch | |
und verschwindet im Baumhaus unter dem Baumdach. Nach über drei Stunden | |
fällt der Einbaum. | |
Am Nachmittag nähert sich die Hebebühne mit drei Steigern, wie die | |
„Kletterbullen“ heißen, dem ersten Baumhaus ganz oben. Mehr ist nach sieben | |
Stunden noch nicht passiert. 60 Baumhäuser gibt es, die weiter im Wald sind | |
noch besser zu Festungen ausgebaut. Dazu gehören auch Vorrichtungen, um | |
sich anzuschließen und einzubetonieren. Der Aachener Polizeipräsident | |
spricht derweil von Tagen, die der ganze Einsatz dauern könnte. Wochen ist | |
vermutlich realistischer. Aus dem Wald schallt es immer mal wieder: „Wir | |
sind da, wir sind laut, weil man uns den Hambi klaut.“ | |
Zu dieser Zeit hat sich auch die Zahl der zivilen Autos rund um das Gelände | |
vervielfacht, ob beim Infocontainer von Greenpeace oder der Mahnwache der | |
Initiative „Buirer für Buir“. Die Polizei kontrolliert jetzt, – nein, | |
niemand komme herein, solange der Einsatz laufe, sagt ein Beamter. Aber der | |
Wege in den Forst gibt es viele, querfeldein, seitwärts durch die Forste. | |
Da helfen auch hunderte Einsatzkräfte nie lückenlos. | |
13 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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