# taz.de -- Knast für Gefährder in Berlin: Amri hätte hier wohl nicht gesess… | |
> Berlin bekommt einen Knast für mutmaßliche Islamisten. | |
> Flüchtlingsinitiativen haben verfassungsrechtliche Bedenken, vom Senat | |
> kommt eher milde Kritik. | |
Bild: Archivbild der Jugendarrestanstalt in Lichtenrade, in der jetzt „Gefäh… | |
Berlin hat einen neuen Abschiebeknast – speziell für mutmaßlich | |
gewaltbereite Islamisten. Die sogenannte Gefährderhaftanstalt mit acht bis | |
zehn Plätzen wird am Samstag in einem ehemaligen Jugendarrest in | |
Lichtenrade eröffnet. Das Projekt ist im Senat nicht unumstritten, vor | |
allem wegen der Unklarheit, wer genau ein „Gefährder“ ist. Dennoch halten | |
sich die Innenpolitiker von Grünen und Linken mit Kritik zurück und | |
betonen, Berlin sei zur Bereitstellung einer solchen Anstalt per | |
Bundesgesetz verpflichtet. | |
Scharfe Worte findet Stefan Keßler vom Jesuitenflüchtlingsdienst: „Es | |
bestehen erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Neuregelung unter | |
anderem mit dem Verfassungsrecht“, sagte er der taz. Auch Georg Classen vom | |
Flüchtlingsrat kritisiert, dass in dem neuen Gefängnis Menschen inhaftiert | |
werden, die noch gar nichts getan haben – nur weil man annimmt, sie könnten | |
einmal etwas tun. „Das ist eine Form der Vorbeugehaft, rechtsstaatlich | |
hochproblematisch“, findet er. Für solche Fälle sei eine Überwachung durch | |
die Sicherheitsbehörden rechtsstaatlich angemessen, keine Inhaftierung. | |
Nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 war die Debatte | |
über eine Ausweitung der Abschiebehaft wiederaufgeflammt. Im Sommer vorigen | |
Jahres trat dann das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ | |
in Kraft. Danach wird die Personengruppe, die in Abschiebehaft genommen | |
werden kann, weil man Fluchtgefahr annimmt, um „Gefährder“ erweitert. Als | |
solche werden Personen definiert, von denen „eine erhebliche Gefahr für | |
Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit“ | |
ausgeht (§ 2 Abs. 14 Aufenthaltsgesetz). | |
## Bis zu 18 Monate in Haft | |
Diese Personen können auch dann in Haft genommen werden, wenn klar ist, | |
dass sie nicht binnen drei Monaten abgeschoben werden können (§62 Abs. 3 | |
Aufenthaltsgesetz). Diese Erfordernis schränkt ansonsten die Möglichkeit | |
von Abschiebehaft ein – oft muss für die Abschiebung nämlich erst ein Pass | |
oder Passersatz-Papier beschafft werden, was in vielen Fällen länger | |
dauert. Bei „Gefährdern“ soll das kein Hinderungsgrund sein: Sie können n… | |
bis zu 18 Monate inhaftiert werden. | |
Allerdings, kritisiert Keßler, sei bislang nirgends definiert, was eine | |
„erhebliche Gefahr für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit“ ist. | |
„Es steht somit gar nicht fest, welche genauen Umstände dazu führen sollen, | |
dass jemand als „Gefährder“ gelten und deshalb leichter inhaftiert werden | |
soll“, merkt er an. | |
Classen bezweifelt zudem, dass mit dieser speziellen Vorbeugehaft das | |
Intendierte – der Schutz der Bevölkerung vor Anschlägen – überhaupt | |
erreicht werden kann. In Gefährderhaft könnten ja nur ausreisepflichtige | |
Ausländer genommen werden, erklärt der Experte für Flüchtlingsrecht. „Aber | |
die meisten Anschläge in Europa – Paris, Brüssel, London – wurden von | |
Inländern begangen.“ | |
Sogar der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri, der in der Tat ein | |
ausreisepflichtiger, abgelehnter Asylbewerber war, wäre wohl nicht in | |
Gefährderhaft genommen worden, so Classen – weil ihn die Behörden zuletzt | |
gar nicht mehr als Gefährder auf dem Schirm hatten. „Es ist ja auch | |
schwierig, Gefährder zu erkennen. Hinterher ist man immer klüger.“ | |
## Grüne: „Notwendiges Übel“ | |
Ähnlich argumentierten Linke und Grüne voriges Jahr im Bundestag gegen die | |
Gefährderhaft. Nun nennt sie der innenpolitische Sprecher der | |
Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, ein „notwendiges Übel, | |
das schon Sinn macht und ja auch nur wenige Plätze umfasst“. Er gehe davon | |
aus, dass dort vor allem Personen untergebracht werden, die bereits | |
straffällig geworden sind und zusätzlich als Gefährder eingestuft wurden. | |
Die Inhaftierung von Menschen, die noch gar nicht straffällig geworden | |
sind, findet dagegen auch Lux problematisch. „Der Begriff des Gefährders | |
als Rechtsstatus ist schwierig. Wir werden genau hinschauen, wen die | |
Polizei so einstuft“, sagte er der taz. | |
Das verspricht auch Hakan Taș, in der Linksfraktion für Inneres zuständig. | |
Er kritisiert zudem, dass mit der Gefährderhaft eine Sonderregelung für | |
Ausländer geschaffen wurde, obwohl es strafrechtlich genug andere | |
Möglichkeiten gebe – wie Hausarrest oder Fußfessel. Der Senat solle sich | |
für die Abschaffung dieser Haftform im Bund einsetzen, fordert er. „Wir | |
brauchen das nicht, sind aber bundesrechtlich dazu verpflichtet.“ | |
Ob das so wirklich so ist, konnte die taz mit einer Anfrage bei der | |
Justizverwaltung bis Redaktionsschluss nicht abschließend klären. Laut | |
Aufenthaltsgesetz ist Abschiebehaft in der Tat nicht in normalen | |
Gefängnissen zulässig. Das gilt allerdings nicht strikt: Geht es um | |
Gefährder, kann die Abschiebehaft auch „in sonstigen Haftanstalten | |
vollzogen werden“, besagt § 62a Aufenthaltsgesetz. | |
## Bislang sitzen Gefährder im „normalen“ Knast | |
So war es auch bislang in Berlin: Gefährder wurden in einem gesonderten | |
Bereich der JVA Tegel untergebracht. Die Innenverwaltung erklärt zur Frage, | |
warum dies nicht mehr gehen soll: „Die gesonderte, von Straftätern | |
getrennte Unterbringung ist EU-rechtlich vorgeschrieben.“ | |
Berlin hat seit Ende 2015 keinen eigenen Abschiebegewahrsam mehr, der | |
ehemalige Frauenknast in Grünau war für die wenigen Häftlinge zu teuer | |
geworden. Seither benutzt Berlin die Brandenburger Abschiebehaftanstalt in | |
Eisenhüttenstadt mit. Daher befürchtet der Flüchtlingsrat auch, die neue | |
Gefährderhaftanstalt könnte, gerade wenn die Auslastung zu gering ist, auch | |
wieder als normaler Abschiebeknast genutzt werden. | |
20 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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