| # taz.de -- Anschlag in Hamburg: Wie umgehen mit der Gefahr? | |
| > Nach der Hamburger Messerattacke wird die konsequente Haft oder | |
| > Abschiebung von gefährlichen und abgelehnten Asylbewerbern gefordert. | |
| > Doch das geben die Gesetze gar nicht her, sagen Experten | |
| Bild: Hier wohnte der Attentäter: Flüchlingsunterkunft in Langenhorn | |
| HAMBURG taz | In Haft nehmen, schneller abschieben, in jedem Fall aber die | |
| Tat im Vorfeld verhindern – die Forderungen, wie mit potentiell | |
| gefährlichen und abgelehnten Asylbewerbern umzugehen ist, überschlagen sich | |
| nach der Messerattacke von Hamburg. Doch: Hieße „mehr Konsequenz“, dass | |
| Menschen schneller als Gefährder einzustufen sind? Und: Könnten sie dann | |
| überhaupt zügiger verhaftet und abgeschoben werden? | |
| Warum der Mann nicht in Abschiebungshaft saß, fragte etwa Burkhard Lischka, | |
| der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. | |
| CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer regte an, bekannte islamistische | |
| Radikale, „aus dem Verkehr“ zu ziehen. | |
| Und der Hamburger CDU-Fraktionschef Andrè Trepoll will wissen: „Wieso | |
| konnte er sich noch frei durch unsere Stadt bewegen, obwohl er schon auf | |
| dem Radar der Sicherheitsbehörden aufgetaucht ist?“ | |
| Die Gemengelage bei dem Angreifer ist komplex. Am Freitag hatte er sich in | |
| einem Supermarkt in Barmbek ein Messer genommen und damit einen 50-jährigen | |
| Mann erstochen und sechs weitere Menschen verletzt. Laut Verfassungsschutz | |
| war er den Behörden zuvor als einer von 800 Islamisten in Hamburg bekannt, | |
| nicht aber als gefährlicher Dschihadist. | |
| Nach einem Hinweis auf eine Radikalisierung 2016 hatten Gespräche mit ihm | |
| stattgefunden, woraufhin der Verfassungsschutz eine Untersuchung durch den | |
| sozialpsychiatrischen Dienst empfahl. Warum dies nicht passierte, ermittelt | |
| die Polizei derzeit. Auch eine Sondersitzung des Hamburger Innenausschusses | |
| soll angesetzt werden. | |
| Der Palästinenser wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren und | |
| kam im März 2015 nach Deutschland. Nach der Ablehnung seines Asylantrags | |
| Ende 2016 lief das Abschiebeverfahren. Er soll bei der Organisation von | |
| Passersatzpapieren mitgewirkt haben. Das Motiv für den Anschlag ist | |
| bislang nicht klar. | |
| ## Täter wollte Terrorist sein | |
| Es gibt Hinweise auf eine psychische Labilität. Die Polizei bestätigte am | |
| Montag, dass der Mann bei seiner Festnahme darauf bestand, ein „Terrorist“ | |
| sein zu wollen. Er sitzt seit Samstag in Untersuchungshaft. | |
| Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hatte dazu erklärt: Wenn es | |
| keine Anhaltspunkte gegeben habe, um den Mann als „Gefährder“ einzustufen, | |
| hätte man ihn auch nicht in Gefährderhaft nehmen können. | |
| Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) sprach sich | |
| indes gegen weitere Gesetzesverschärfungen aus. Stattdessen müsse „der | |
| Rechtsstaat mit aller Konsequenz durchgreifen“, sagte sie dem NDR. Gerade | |
| erst seien die Gesetze geändert worden, damit gefährliche Personen vor | |
| ihrer Ausreise in Haft genommen werden können. | |
| Fegebank bezog sich auf eine Gesetzesverschärfung, die nach dem Fall des | |
| ebenfalls ausreisepflichtigen Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis | |
| Amri angeschoben wurde und am Samstag in Kraft trat. | |
| Mit dem „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ wurde nicht | |
| nur die Überwachung Asylsuchender ausgeweitet, sondern auch die | |
| Abschiebungshaft für „Gefährder“ verlängert und deren Überwachung per | |
| Fußfessel erleichtert. | |
| Amnesty International und die Organisation Pro Asyl hatten die | |
| Gesetzesänderung kritisiert: Es werde suggeriert, dass Gefahren durch | |
| Terrorverdächtige unterbunden werden könnten. Aber stattdessen handele es | |
| sich um ein „Repressionsgesetz gegen alle Asylbewerber und Geduldeten“, | |
| kritisiert Pro Asyl. | |
| Für den Berliner Migrationsrechtsanwalt und Experten für Abschiebungshaft, | |
| Rolf Stahmann, ist die Abschiebehaft auch rechtlich der falsche Weg, um mit | |
| gefährlichen Menschen umzugehen. Er betont: „Abschiebungshaft hat nur einen | |
| einzigen Zweck: die Sicherstellung der Abschiebung bei einer Fluchtgefahr.“ | |
| ## Abschiebehaft wäre illegal | |
| Wenn es zutreffe, dass der Hamburger Angreifer bei der Papierbeschaffung | |
| mitgewirkt hat, hätte man ihn laut Stahmann auch nach der aktuellen | |
| Gesetzesverschärfung nicht in Abschiebehaft nehmen dürfen – selbst wenn er | |
| als Gefährder eingestuft worden wäre. | |
| „Die Voraussetzungen liegen nicht vor“, sagt Stahmann. „Gefährder zu sei… | |
| ist allein kein Grund für eine Abschiebungshaft. Es muss auch nach dem | |
| neuen Recht eine Fluchtgefahr vorliegen, die aber bei dem Hamburger Täter | |
| offenbar nicht vorlag.“ | |
| Gefährder in Haft zu nehmen, wäre wenn überhaupt ein Fall für das | |
| Polizeirecht. Stahmann hält das für problematisch: „Man kann nicht in die | |
| Menschen hineinschauen und auch nicht alle Leute präventiv einsperren, die | |
| man für gefährlich hält. Dann hätten wir keine freiheitliche Gesellschaft | |
| mehr.“ | |
| Mit dem „Unterbindungsgewahrsam“ war dies bislang für wenige Tage möglich. | |
| Bayern will Gefährder künftig für eine unbefristete Zeit einsperren, noch | |
| bevor sie möglicherweise eine Tat begehen. Der Bremer Anwalt und | |
| Jura-Professor Helmut Pollähne meint dazu: „Menschen unbefristet aufgrund | |
| diffuser Gefährdungskriterien in Haft zu nehmen, widerspricht der | |
| Europäischen Menschenrechtskonvention.“ | |
| 1 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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