| # taz.de -- Klimaforscherin über den Hitzesommer: „Klimawandel passiert im V… | |
| > Nicht jedes Wetterphänomen hat mit der Erderwärmung zu tun, sagt | |
| > Klimaforscherin Friederike Otto. Aber Hitzewellen werden | |
| > wahrscheinlicher. | |
| Bild: Immer schön gießen: Dieser Vorgarten hat den Hitzesommer verhältnismä… | |
| taz: Frau Otto, der Sommer dieses Jahr war ganz schön heiß. Ist das noch | |
| das Wetter oder schon der Klimawandel? | |
| Friederike Otto: Das ist keine Frage, die sich mit entweder-oder | |
| beantworten lässt. Man muss sich ansehen, wie der Klimawandel das Wetter | |
| beeinflusst. Das ist vergleichbar mit dem Zusammenhang zwischen Rauchen und | |
| einer Krebserkrankung. Rauchen erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu | |
| erkranken, der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit für manche extreme | |
| Wetterereignisse. Aber jedes Wetterereignis hat viele Gründe – das gilt | |
| auch für die diesjährige Hitzewelle. | |
| Also hat der Klimawandel die Hitze begünstigt? | |
| Wir können sicher sagen, dass die Hitze verschiedene Ursachen hatte. Teils | |
| gehören natürliche Klimaschwankungen dazu, aber ein Teil liegt ganz klar am | |
| Klimawandel. Aber in fast allen Teilen der Welt erhöht sich aufgrund des | |
| Klimawandels die Wahrscheinlichkeit für extreme Hitzewellen. | |
| War dieser Sommer so extrem, wie wir ihn empfunden haben? | |
| Rekordbrechende Temperaturen sind nicht zwangsläufig extrem, wenn es einen | |
| Trend gibt. Wir haben uns verschiedene Städte in Nordeuropa angesehen, um | |
| die diesjährige Hitze einzuordnen. Dabei haben wir zwei | |
| Wahrscheinlichkeiten verglichen: das Auftreten einer Hitzewelle in einer | |
| Welt, in der es Klimawandel gibt, im Vergleich zu einer Welt ohne | |
| Klimawandel. Das Ergebnis: Ohne den Klimawandel kann man beispielsweise in | |
| Utrecht alle 15 Jahre mit einer Hitzewelle wie dieser rechnen. Durch den | |
| Einfluss des Klimawandels wird dieses Ereignis dreimal wahrscheinlicher. | |
| Ein ähnliches Hitzeereignis könnte also alle 5 Jahre auftreten. | |
| Was bringen uns diese Erkenntnisse? | |
| Eine Menge. Unsere Studien zeigen, dass der Klimawandel kein abstraktes | |
| Konstrukt ist, das irgendwo in ferner Zukunft stattfindet. Er passiert | |
| heute, in unserem Vorgarten, und [1][er beeinflusst unser Leben]. Außerdem | |
| lassen sich konkrete Anpassungsmaßnahmen in Städten durchführen, wenn man | |
| die Wahrscheinlichkeit für extreme Regenfälle kennt und weiß, wie sich | |
| diese an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Jahreszeit verändern. | |
| Was ist neu an Ihrem Forschungsansatz? | |
| Die klassische Klimaforschung konzentriert sich viel auf die globale | |
| Mitteltemperatur. Dabei erstellt man hauptsächlich Projektionen für die | |
| Zukunft. Wenn man aber wissen will, wie sich der Klimawandel ganz konkret | |
| auf das Wetter auswirkt, dann braucht man vergleichende Modelle, die | |
| Unterschiede zu einer Welt ohne Klimawandel aufzeigen. Und das macht die | |
| Attributionswissenschaft. | |
| Der Klimawandel wird schon lange erforscht. Warum gibt es diese Studien | |
| erst jetzt? | |
| Die technischen Voraussetzungen für unsere Forschung haben wir erst seit 10 | |
| Jahren. Das liegt daran, wie wir arbeiten: Bei einem Wettermodell werden | |
| charakteristische Wetterdaten – also unter anderem Niederschlag, | |
| Windgeschwindigkeit und Luftdruck – für jeden Punkt der Erde ausgerechnet. | |
| Für eine Klimavorhersage muss man die Modelle mehrere Jahre laufen lassen. | |
| Und das nicht nur unter den durch den Klimawandel gegebenen Umständen, | |
| sondern auch für das Szenario einer Welt ohne Klimawandel. Dafür brauchen | |
| wir eine extrem hohe Rechenleistung, was lange Zeit sehr teuer war. | |
| Wie verlässlich sind Ihre Daten? | |
| Dass wir mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten bedeutet nicht, dass unsere | |
| Ergebnisse unzuverlässig sind. Unsere Modelle beruhen auf den gleichen | |
| physikalischen Gesetzen wie die Wettervorhersage. Dass ein bestimmtes | |
| extremes Wetterereignis aufgrund des Klimawandels alle drei bis sieben | |
| Jahre zu erwarten ist, also eine Auftretenswahrscheinlichkeit von drei bis | |
| sieben Jahren hat, ist eine sichere Aussage. | |
| Könnte man durch diese Ergebnisse Klimasünder zur Verantwortung ziehen? | |
| Vielleicht. Es gibt Juristen, die sich jetzt überlegen, wie man unsere | |
| Studien nutzen kann, um zum Beispiel in Deutschland mit einer Klage | |
| [2][gegen RWE] vorzugehen. Da ist die Frage: Was ist rechtlich möglich? Wie | |
| lassen sich Studien verwenden, die notwendigerweise mit | |
| Wahrscheinlichkeiten hantieren? Man kann nicht sagen: „Die Hitzewelle wurde | |
| von RWE verursacht.“ Aber die Emissionen von RWE haben die | |
| Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Hitzewelle erhöht. | |
| Was können Einzelpersonen gegen den Klimawandel tun? | |
| An den Klimawandel denken, wenn man wählen geht. Das ist aus meiner Sicht | |
| mit Abstand das Wichtigste – wichtiger, als einen Flug weniger im Jahr zu | |
| machen. Wir denken immer nur an das Thema, wenn es gerade eine Hitzewelle | |
| gibt. Aber fast allen Parteien fehlt ein überzeugendes Programm zur | |
| Bekämpfung des Klimawandels. | |
| Wir müssen also auf nichts verzichten? | |
| Wir müssen als Gesellschaft Alternativen finden. Das wird auch Änderungen | |
| im Lebensstil beinhalten, und manche Leute werden das als Verzicht | |
| empfinden. Im Moment ist es in manchen Gegenden nicht möglich, ohne Auto zu | |
| leben, weil die Infrastruktur fehlt oder es lebensgefährlich ist, Fahrrad | |
| zu fahren. Das muss sich ändern. Natürlich können Einzelne solche | |
| Änderungen initiieren. | |
| Und wenn wir alle so weitermachen wie bisher? | |
| Dann wird es wärmer. Und die großen Verlierer, das sind nicht unbedingt die | |
| Reichen und Wohlhabenden. Das sind oft Menschen in prekären Lebensumständen | |
| und natürlich die Ökosysteme und die Biodiversität. Die Welt wird nicht | |
| untergehen – aber ob wir in dieser Welt noch leben wollen, das ist eine | |
| andere Frage. | |
| Ist der Klimawandel noch aufzuhalten? | |
| Ja, aber man muss es wollen. Wir müssen sehen, dass dieses Problem uns, die | |
| ganze Welt und die Zukunft unserer Kinder betrifft. Das ist [3][womöglich | |
| drängender] als kurzfristig gedachte Themen in Parteiprogrammen. Wenn sich | |
| genug Leute beim Wählen über den Klimawandel Gedanken machen, dann lässt | |
| sich aus meiner Sicht etwas erreichen. | |
| 1 Sep 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Agrarforscher-ueber-die-Ernteausfaelle/!5527577 | |
| [2] /Kommentar-Der-Wald-und-das-Klima/!5527923 | |
| [3] /Anton-Hofreiter-zum-Klimaschutz/!5525350 | |
| ## AUTOREN | |
| Lin Hierse | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Interview | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Klimaforschung | |
| Hitze | |
| Flüsse | |
| Forschungsprogramm | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Klima | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Dürre | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Afrika | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Autor über die Folgen der Klimakrise: „Es ist einfach kein Spaß mehr“ | |
| Torsten Schäfer verfolgt in seinem neuen Buch „Wasserpfade“ den | |
| südhessischen Fluss Modau. Er fand Schönheit und Zerstörung. | |
| Koordination der Klimaforschung: Ein Update für Forschungsprogramme | |
| Die Grünen im Bundestag fordern mehr Geld und eine klare Strategie für die | |
| Klimaforschung. Auch die Koordination müsse besser werden. | |
| CO2-Emissionen in Deutschland: Schlechter Klimaschutz ist teuer | |
| Alle sorgen sich um die Kosten der Energiewende und des Kohleausstiegs. | |
| Wenn Deutschland aber die Klimaziele verpasst, kostet das Milliarden. | |
| Wie der Klimawandel die Natur verändert: Der späte Vogel fängt keinen Wurm | |
| Die Erderwärmung bringt das Leben von Tieren und Pflanzen aus dem Takt. | |
| Manche sind Verlierer des Klimawandels – wie der Storch. | |
| Kommentar Klimapolitik: Wir müssen nur wollen | |
| Merkel will das Klimaziel nicht anheben. Dabei gibt es genug Wissen, | |
| Experten und Technik, um es zu erreichen – es bräuchte nur eine Allianz. | |
| Überhitzung der Erde: Gaudi statt Klimakatastrophe | |
| Bis auf ein paar verrückte Eichhörnchen betrifft die Hitzewelle kaum | |
| jemanden. Dabei belegt der Sommer, wovor Forscher lange warnten. | |
| Schlechte Ernte nach Dürresommer: Bauern auch selbst verantwortlich | |
| Die Landwirtschaft lässt Moore trockenlegen, um dort zum Beispiel Mais | |
| anzubauen. Das rächt sich in Dürresommern wie diesem. | |
| Kohle- und Atomkraftwerke gedrosselt: Zu heiß zum Kühlen | |
| Die Leistung mehrerer Kraftwerke in Deutschland musste reduziert werden. | |
| Ein Grund ist vermutlich die Hitzewelle der vergangenen Tage. | |
| Extreme Temperaturen weltweit: Kältewelle in Südafrika | |
| Nach der Dürre und einer langen Regenzeit kommt nun das nächste Extrem. Bei | |
| eiskalten Temperaturen frieren Menschen und sterben Tiere. |