# taz.de -- Autor über die Folgen der Klimakrise: „Es ist einfach kein Spaß… | |
> Torsten Schäfer verfolgt in seinem neuen Buch „Wasserpfade“ den | |
> südhessischen Fluss Modau. Er fand Schönheit und Zerstörung. | |
Bild: Waldsterben nach dem Hitzesommer 2018: Abgestorbene Bäume im Stadtwald v… | |
taz: Herr Schäfer, Ihr neues [1][Buch] liegt total im Zeitgeist: Sie nehmen | |
Ihre Leser:innen mit auf viele Spaziergänge durch Ihre Nachbarschaft. | |
Genauer gesagt, Sie folgen dem südhessischen Flüsschen Modau. Warum? | |
Torsten Schäfer: Ich wollte in einem Buch Klimafolgen und Artensterben | |
zeigen, faktisch und literarisch. Und dann gab es einen persönlichen | |
Hintergrund. Ich bin an der Modau aufgewachsen, war viel draußen, habe | |
geangelt. | |
Mit elf, zwölf waren wir umweltinteressiert, es gab das Programm „Lachs | |
2000“ – und wir wollten den Lachs zurück in die Modau bringen. Mit diesem | |
hehren Ziel standen wir dann mit Gummistiefeln und Müllsäcken im Wasser, es | |
entwickelte sich eine richtige Umweltgruppe. Insofern begann früh auch eine | |
eigene Wassergeschichte. | |
Und jetzt leben Sie wieder an der Modau. In „Wasserpfade“ treffen wir Sie, | |
aber auch andere Menschen – zum Beispiel einen Holzfäller, der sichtlich | |
bestürzt vertrocknete Bäume wegnehmen muss. Wollen Sie den Betroffenen des | |
Klimawandels ein Gesicht geben? | |
Die Klimafolgen und das Artensterben kommen auch in Deutschland nicht nur | |
langsam näher. Ich höre solche Sätze immer noch oft, aber sie sind falsch, | |
müssen aktualisiert werden. Das will ich mit diesen Geschichten zeigen. | |
Der Holzrücker bleibt übrigens vielen beim Lesen stark im Gedächtnis. Der | |
kommt beileibe nicht von der Klimafront. Teilweise werfen sich | |
Umweltschützer sogar vor seine Säge, weil sie nicht verstehen, dass die | |
Bäume aus Sicherheitsgründen gefällt werden müssen. Beide Seiten kommen | |
hier aus unterschiedlichen Richtungen – aber erfahren im Prinzip denselben | |
Umweltschmerz. | |
Einen richtigen Schmerz? | |
Ja, der australische Umweltwissenschaftler Glenn Albrecht hat dafür den | |
Begriff der Solastalgie geschaffen, ein neues Wort für Umweltstress. Er | |
hatte Menschen in einer Bergbaugegend getroffen, wo entsprechend viel | |
Landschaft zerstört war. Und die Leute konnten selbst gar nicht genau zur | |
Sprache bringen, warum ihnen das weh tut, wie es sie verstört und stresst. | |
Und auch dieser Holzrücker ist dafür ein gutes Beispiel. | |
Kennen Sie das auch von sich selbst? | |
Es ist jetzt nicht so, dass ich ständig trauere. Aber manchmal komme ich | |
mittlerweile vom Spaziergang im Wald hinter meinem Haus zurück und fühle | |
mich gestresster als vorher. Weil ich sehe, wie viele Buchen schon wieder | |
umgefallen sind durch Dürre, Käfer- oder Pilzbefall. | |
Und in meinen Kindheitswald, durch den ich auf dem Weg zur Schule immer | |
gegangen bin, komme ich schon gar nicht mehr rein. 90 Prozent der Bäume | |
sind schwer geschädigt oder tot, sodass jederzeit Äste abbrechen könnten. | |
Der Wald ist auf unbestimmte Zeit gesperrt. Das tut mir schon weh. Wir | |
spüren den Verlust von Natur, vielleicht auch den von Heimat, obwohl der | |
Begriff in Deutschland natürlich zurecht problematisch ist. | |
Im Buch erfährt man auch von einer Klassenkameradin Ihrer Tochter, die | |
gerade wegen Wassermangel zu Hause nicht duschen kann. | |
Es gab vor fast zehn Jahren eine Studie „Klimaanpassung im Landkreis | |
Darmstadt-Dieburg“. Die war sensationell gemacht. Für alle 23 Gemeinden war | |
genau aufgeführt: Wo ist die Klimagefahr und was ist zu tun? Für meine | |
Gemeinde stand da, dass die Brunnen besonders hoch liegen, weswegen es zu | |
Wasserknappheit kommen könne. Niemand hat drauf gehört. Es war ja nur | |
irgendeine Studie, Klimawandel weit weg. | |
[2][2018 und] 2019 sind dann die Laster gekommen, die uns Wasser geliefert | |
haben. Und die Leute hatten Flugblätter im Briefkasten, dass sie nicht mehr | |
duschen sollen. Es ist einfach kein Spaß mehr. | |
War Ihren Gesprächspartner:innen bewusst, dass sie leider gute | |
Protagonist:innen für eine Geschichte über den Klimawandel abgeben? | |
Mit manchen von ihnen habe ich nicht zuallererst über den Klimawandel, den | |
nächsten Weltklimagipfel oder irgendwelche Studien geredet. Manchmal habe | |
ich das sogar bewusst vermieden, weil sich das Gespräch dadurch | |
erfahrungsgemäß sofort politisiert. Aber die Menschen sorgen sich um | |
trockene Felder und Wälder, um versiegende Quellen, um Verschmutzung und | |
Artensterben. | |
Bemerkenswert in Ihrem Buch ist auch Ihre sehr bildhafte Sprache. Wollen | |
Sie so der im Buch immer wieder hervorgehobenen Entfremdung von der Natur | |
entgegenwirken? | |
Ja, auf jeden Fall. Mit Entfremdung meine ich übrigens nicht, dass wir gar | |
nicht mehr mit der Natur in Kontakt kommen oder uns nicht dafür | |
interessieren. Wir haben ja zum Beispiel sehr viel mehr Berichterstattung | |
über grüne Themen und Klimawandel als früher. Aber das geschieht eben sehr | |
oft auf einer rein faktischen, rein informativen Ebene, teilweise trocken. | |
Es war mir wichtig, über das reine Sachbuch und die faktische Ebene | |
hinauszugehen, auch Emotionen zu transportieren. Was andere Menschen fühlen | |
und erleben, interessiert uns mehr als eine Zahl zum Wassermangel in | |
Hessen. | |
„Forschung zeigt, dass Forschung zeigen nicht funktioniert“, hat der | |
MIT-Wissenschaftler John Sterman mal gesagt. Er meinte das Paradoxon, dass | |
mehr Informationen zur Klimakrise bei vielen nicht zu Meinungs- oder sogar | |
Verhaltensänderungen führen. | |
Den Ausspruch habe ich schon mal gehört und finde ihn überzeugend. | |
Natürlich kann es nicht darum gehen, die Fakten deshalb nicht mehr zu | |
kommunizieren; die bleiben natürlich die wichtigste Ebene. Aber man muss | |
eben Wege finden, wie die Information auch wirklich ankommt. | |
Dafür ist das Genre Nature Writing, in dem ich mich bewege, eine gute | |
Brücke – mit der Mischung aus faktischer Beschreibung, gesellschaftlicher | |
Reflexion und auch poetischer, subjektiver Emotion in Perspektive und | |
Sprache. Zudem bin ich hier aufgewachsen, habe eine Verbindung zu der Natur | |
und kann die Veränderungen auch so noch mal auf eigene Art, vielleicht | |
eindringlicher, präsentieren. | |
Bei Ihnen sind alle Gewässer weiblich, die Modau deshalb auch, und manchmal | |
sprechen Sie mit der Flüssin. Sind Sie denn gar ein Esoteriker? | |
Nein! Ich sehe aber, dass Landschaften eine große Rolle für uns spielen und | |
das im Klimachaos noch mehr tun werden. Man meditiert und unterhält sich an | |
einer großen Eiche besser als in einem Gewerbegebiet; darum geht es. Und | |
darum, sich ganzheitlich auf Natur einzulassen – faktisch, aber auch | |
sinnvoll, also mit allen Sinnen, dem Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und | |
der Intuition. Die spielen beim offenen Wahrnehmen eine große Rolle. | |
Ich bin auch Buddhist und arbeite da zur Ökologie und dem Netzwerk des | |
Lebens. Mit Esoterik, bezugslosem Zauberglauben, hat das nichts zu tun. Ich | |
frage auch nicht Yoga-Menschen, ob sie Esoteriker:innen sind. Da haben | |
wir uns an die ganzheitlichen Zugänge gewöhnt: Mantra, Götter, | |
jahrtausendealte Sätze. | |
In der Klimadebatte ist es eher ungewohnt. | |
Das stimmt, wobei wir mit indigenen Erfahrungen hier auch eine Perspektive | |
haben, die wichtiger wird. Aber noch mal zur Weiblichkeit der Flüsse, das | |
ist einerseits der Name des Flusses: die Modau. Und noch der Bezug zum | |
hessischen Dialekt, den ich auch sprechen kann. Da heißt es: Ich geh an die | |
Bach. | |
Den Fluss als weibliches Wesen, als etwas Schöpferisches und Gebärendes | |
findet man außerdem in vielen Kulturen der Welt. Aber ich habe überhaupt | |
nichts dagegen, wenn jemand sagt, dass der Fluss für ihn männlich ist. | |
22 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.oekom.de/buch/wasserpfade-9783962382261 | |
[2] /Klimaforscherin-ueber-den-Hitzesommer/!5530544 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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