| # taz.de -- Schwangerschaftsabbrüche in Bremen: Ärzteliste im Kommen | |
| > Ärzt*innen dürfen über Abtreibungen nicht informieren. Frauenbeauftragte | |
| > Wilhelm fordert deshalb, dass Behörden aufklären. Alle Fraktionen sind | |
| > dafür – außer der CDU. | |
| Bild: Für das Recht auf Information in Sachen Abtreibung: Demonstration vor de… | |
| BREMEN taz | Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, finden in | |
| Bremen Hilfe nur über Umwege. Informationen darüber, welche Ärzt*innen | |
| Abtreibungen vornehmen, gibt es derzeit nur in Beratungsstellen. Die dort | |
| vorliegenden Listen sind allerdings nicht verlässlich, wie die Bremische | |
| Zentralstelle der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) herausgefunden hat. | |
| „Rückmeldungen sagen uns, dass die Listen vorne und hinten nicht stimmen | |
| können“, sagt die Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm. Arztpraxen auf | |
| diesen Listen hätten geantwortet, dass sie Abbrüche nicht oder nicht mehr | |
| vornehmen. Deswegen fordert Wilhelm nun ein [1][verlässliches | |
| Ärzti*innenverzeichnis per Gesetz sowie dessen Veröffentlichung]. Die | |
| Chancen dafür stehen gut: Auf taz-Anfrage befürworteten | |
| Bürgerschaftsfraktionen von SPD, Grünen, Linke und FPD eine solche | |
| Ergänzung im Schwangerenberatungsgesetz – nur die CDU ist dagegen. | |
| Während eine Abschaffung des „Werbeverbots“ für Schwangerschaftsabbrüche… | |
| Bundestag fraglich bleibt, könnte Bremen also Fakten schaffen. Der ältliche | |
| Paragraf 219a von 1933 besagt, dass Ärzt*innen selber nicht darüber | |
| informieren dürfen, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Die | |
| [2][Ärztin Kristina Hänel in Hessen] hatte auf ihrer Webseite darüber | |
| informiert und wurde zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. | |
| Bundesweit gibt es Proteste für die Abschaffung dieses „Werbeverbots“ – | |
| infolgedessen Abtreibungsgegner*innen immer wieder Anzeigen gegen | |
| Ärzt*innen erstatten. | |
| In Hamburg gibt es schon eine aktuelle [3][Liste der Gesundheitsbehörde], | |
| auf der Praxen und Kliniken stehen, die Abbrüche vornehmen ([4][taz | |
| berichtete]). In Berlin hat die rot-rot-grüne Koalition eine ähnliches | |
| Verzeichnis vor Kurzem sogar per Gesetz beschlossen – Ärzt*innen auf der | |
| Liste sind so nicht haftbar, weil Informationen von unabhängiger Stelle | |
| wohl kaum als Werbung gelten können. | |
| Eine Regelung wie in Berlin hätte die Landesfrauenbeauftragte auch gerne in | |
| Bremen. Nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz sind alle Bundesländer | |
| verpflichtet, ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer | |
| Einrichtungen zur Vornahme von Abbrüchen sicherzustellen. Demgegenüber | |
| belegen taz-Recherchen seit längerem, dass es um die bundesweite, aber auch | |
| die [5][lokale Versorgung] schlecht bestellt ist. | |
| Auch Christina Selzer vom Gesundheitsressort bestätigt: „Die | |
| Beratungsstellen haben keine aktuellen Listen“, ebenso wenig die | |
| Gesundheitsbehörde. Das sei „nicht so ideal“, weshalb auch | |
| Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) eine gesetzliche Regelung | |
| befürwortet und bereits intern prüfen lässt. Mit der ZGF habe die Behörde | |
| zudem vereinbart, eine neue Liste zu erstellen. | |
| Denn: „Wie will Bremen die Versorgung gewährleisten, wenn überhaupt niemand | |
| weiß, ob das Angebot vorhanden und ausreichend ist?“, fragt die | |
| Landesfrauenbeauftragte Wilhelm. Da helfe nur ein Gesetz, das Sicherheit | |
| schafft – für Ärzt*innen ebenso wie für betroffene Frauen. Frauen müssten | |
| sich sofort und nicht erst in Beratungsstellen verlässlich informieren | |
| können. | |
| Ihr Anliegen stößt bei allen Bürgerschaftsfraktionen außer der CDU auf | |
| Gegenliebe. Die Linksfraktion will einen bereits gestellten Antrag | |
| überarbeiten, um eine Informationspflicht im Sinne von Wilhelm gesetzlich | |
| festzuschreiben, wie Claudia Bernhard der taz sagte. Auch Henrike Müller | |
| von den Grünen befürwortete eine öffentliche Liste nach dem Berliner | |
| Vorbild und deren Veröffentlichung auf einer Behördenseite. | |
| ## Abstimmung bereits kommende Woche? | |
| Sybille Böschen (SPD) begrüßte ebenfalls den Vorstoß der | |
| Landesfrauenbeauftragten. Sie könnte sich sogar einen interfraktionellen | |
| Antrag vorstellen. Lencke Steiner von der FDP nannte Wilhelms Vorschlag | |
| „vernünftig“ und würde einem Antrag zustimmen. Wenn es zu einem | |
| Dringlichkeitsantrag kommt, könnte das Thema gar schon in der kommenden | |
| Woche zur Abstimmung stehen, wie Müller von den Grünen hofft. Ansonsten | |
| wäre es wohl im Juni in der Bürgerschaft. | |
| Dagegen ist nur die CDU. Sina Dertwinkel, gleichstellungspolitische | |
| Sprecherin der Union, sagt: „Einer gesonderten gesetzlichen Regelung, wie | |
| die Landesfrauenbeauftragte sie anregt, bedarf es nicht.“ Man müsse | |
| abwägen, ob eine Veröffentlichung einer Liste im Internet betroffenen | |
| Frauen wirklich weiterhelfe, weil man vor einem Abbruch ohnehin in einer | |
| Beratungsstelle vorstellig werden müsse. | |
| Aus der Sicht von Ärzt*innen wäre eine öffentliche Liste dennoch sinnvoll: | |
| Bettina Cibulski von der Ärztekammer sagt: „Unsere Ärzte hätten durch ein | |
| Gesetz Rechtssicherheit, an der es bislang hakt.“ Die Ärztekammer hatte mal | |
| eine ähnliche Liste auf ihrer Webseite, löschte diese aber wieder, nachdem | |
| es aufgrund des „Werbeverbots“ zu Anzeigen kam – [6][vermutlich von | |
| selbsternannten Lebensschützer*innen]. | |
| ## Hilfe aus den Niederlanden | |
| Infolgedessen fehlten heute auch Ärzt*innen, die Abbrüche durchführten, | |
| sagt Cibulski. Viele sagten „wir machen das nicht mehr, weil wir keinen | |
| Lust auf den Stress haben“. In Bremen betreibt Pro Familia ein | |
| Familienplanungszentrum, in dem Abbrüche durchgeführt werden – drei von | |
| vier Ärzt*innen dort kommen [7][aus den Niederlanden] an bestimmten Tagen | |
| nach Bremen, weil es zu wenig deutsche Ärzt*innen gibt, die Abbrüche | |
| vornehmen. | |
| Parallel läuft eine Bundesratsinitiative der Länder Bremen, Hamburg, | |
| Berlin, Thüringen und Brandenburg, welche die Abschaffung von Paragraf 219a | |
| beantragt haben. Für Wilhelm bleibt klar, dass der „unsägliche Paragraf“ | |
| gekippt werden müsse: „Es geht hier nicht um Werbung, sondern um das Recht | |
| auf Information. Hamburg und Berlin machen es uns vor – Bremen sollte | |
| dahinter nicht zurückstehen.“ | |
| 24 May 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.senatspressestelle.bremen.de/sixcms/detail.php?id=299819&as… | |
| [2] /Clara-Zetkin-Preis-fuer-Kristina-Haenel/!5488781 | |
| [3] http://www.hamburg.de/schwangerschaftskonfliktberatung/4020554/schwangersch… | |
| [4] /Umgang-mit-Paragraf-219a/!5498627 | |
| [5] /Abtreibung-in-Deutschland/!5386152 | |
| [6] /Abtreibungsgegner-ueber-219a/!5494752 | |
| [7] /Immer-weniger-Aerztinnen/!5487589 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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