| # taz.de -- Flora-Sprecher über G20-Demo: „Eine beachtliche Kaltschnäuzigke… | |
| > Er will die Geschichtsschreibung nicht der Polizei überlassen: Nach | |
| > langem Schweigen spricht der Rote-Flora-Aktivist Andreas Blechschmidt | |
| > über G20. | |
| Bild: Alternatives Deeskalationskonzept: Eine G20-Gegnerin versucht es mit eine… | |
| taz: Herr Blechschmidt, nach G20 in Hamburg musste die Rote Flora als | |
| Sündenbock für die Ausschreitung in der Schanze herhalten. Alle reden | |
| seitdem über das autonom besetzte Stadtteilzentrum, außer die Flora. Warum | |
| auf einmal jetzt? | |
| Andreas Blechschmidt: Weil ich hier nicht als Vertreter der Flora spreche, | |
| sondern als Anmelder der „Welcome to Hell“-Demo am Vorabend des | |
| G20-Gipfels. Das ist ein komplett anderer Sprechort, weil die Flora nicht | |
| die Demo organisiert hat. Das war ein Bündnis verschiedener autonomer | |
| Gruppen aus dem norddeutschen Raum. | |
| Was ist der Anlass, dass Sie sich ausgerechnet jetzt zu Wort zu melden? | |
| Das, was die Hamburger Polizei und Innenbehörde in der letzten Sitzung des | |
| G20-Sonderausschuss zum Ablauf der „Welcome to Hell“-Demo gesagt hat. Es | |
| gibt aus meiner Sicht die Notwendigkeit, dieser polizeilichen Version, die | |
| ich für wahrheitswidrig halte, die Wahrnehmung der Versammlungsleitung des | |
| Abends entgegenzusetzen. | |
| Was hat Sie an den Aussagen von Polizei und Innenbehörde gestört? | |
| Die „Welcome to Hell“-Demonstration ist als eine organisierte und | |
| angemeldete Gefahr für Sicherheit und Ordnung stigmatisiert worden. Es gab | |
| über Wochen eine Kampagne in den Medien, die die Demonstration als | |
| Versammlung von Krawall-geneigten, organisierten Reisechaoten dargestellt | |
| haben. Unser politisches Anliegen ist dabei völlig in den Hintergrund | |
| gerückt worden. Das hat sich durch die polizeiliche Darstellung in der | |
| Aufarbeitung der Ereignisse fortgesetzt. Es gibt aber einen sehr | |
| zweifelhaften Widerspruch: Die Demonstration wurde ohne jegliche | |
| polizeiliche Auflage genehmigt. | |
| Im Sonderausschuss hat Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) gesagt, er | |
| wüsste gar nicht, welche Auflagen die Polizei hätte erteilen sollen. | |
| Abgesehen davon, dass niemand um polizeiliche Auflagen bettelt, ist das | |
| wirklich naiv. Wenn die Polizei behauptet, dass sie Hinweise gehabt hätte, | |
| dass es Depots an der Strecke gäbe, dann wäre es aus ihrer Sicht zwingend | |
| notwendig gewesen, die Route zu ändern – und zwar auch kurzfristig. Ebenso | |
| bei der Behauptung, auf der Reeperbahn hätte es angeblich Gewalt geben | |
| sollen. Das wäre fast schon eine Standardauflage gewesen. | |
| Was schließen Sie daraus? | |
| Wenn die Polizei ihrer Hamburger Linie der letzten 15 Jahre gefolgt wäre, | |
| hätte sich das zwingend bei den Auflagen niederschlagen müssen. Stattdessen | |
| sollte die Abschlusskundgebung angeblich in Sichtweite der Messehallen | |
| stattfinden dürfen. Wenn man den Polizei- und Gesamteinsatzleiter Hartmut | |
| Dudde kennt, dann weiß man, dass die Polizei nicht plötzlich Deeskalation | |
| als ihren Handlungsmaßstab entdeckt hat. Für mich war die Besorgnis sehr | |
| groß, dass dahinter ein ganz klares strategisches Ziel der Polizei steht: | |
| nämlich schon zu Beginn der Demonstration Fakten zu schaffen und sie gar | |
| nicht losgehen zu lassen. | |
| Viele Demonstranten waren vermummt. Das wollte die Polizei nicht hinnehmen. | |
| Es ist völlig unstrittig, dass sich nach der friedlichen zweistündigen | |
| Auftaktkundgebung ein Block von rund 1.000 vermummten Menschen auf der | |
| Straße formiert hat. Es ist auch unstrittig, dass das einen Verstoß gegen | |
| das Versammlungsrecht darstellt. | |
| Wo gehen Ihre Wahrnehmungen und die der Polizei auseinander? | |
| Konkret hat die Einsatzführung der Polizei zuletzt im Sonderausschuss | |
| behauptet, es sei alternativlos gewesen, wegen Vermummung gegen die | |
| Demonstration vorzugehen – mit Wasserwerfer, Pfefferspray und | |
| Schlagstöcken. Das stellt die Abläufe auf den Kopf. Entscheidend ist, dass | |
| die Versammlungsleitung angehalten ist, Vermummung zu unterbinden, dass die | |
| Polizei aber ebenso angehalten ist, dieses Unterbinden zu ermöglichen. | |
| Sie meinen, die Polizei hat sich nicht an diese Regel gehalten? | |
| Der Einsatzführer Joachim Ferk hat die Versammlungsleitung darauf | |
| hingewiesen, dass die Demonstration so auf keinen Fall starten kann. | |
| Daraufhin haben wir mit Durchsagen und direkt auf die Demonstranten | |
| eingewirkt. Das hat dazu geführt, dass sie ihre Vermummung überwiegend | |
| abgelegt haben. Es gab dann noch einen weiteren Kontakt mit Herrn Ferk, der | |
| auch bestätigt hat, dass er die erfolgreiche Intervention der | |
| Versammlungsleitung wahrnimmt. Er hat aber sehr barsch darauf hingewiesen, | |
| dass es immer noch einen Block von 300 Vermummten gebe. | |
| Ich habe Herrn Ferk mitgeteilt, dass ich sofort mit denen Kontakt aufnehmen | |
| werde und davon ausgehe, dass ich auf die Leute einwirken kann. Dann habe | |
| ich mich auf dem Weg gemacht, die Menschen anzusprechen, genau zu diesem | |
| Zeitpunkt ist die Polizei in die Demonstration reingegangen und hat die | |
| sogenannte Abspaltung versucht. | |
| Warum ist Ihnen das so wichtig? | |
| Das ist extrem relevant, weil Herr Ferk einen wahrheitswidrigen Ablauf der | |
| Ereignisse im Sonderausschuss dargestellt hat. Es war nicht so, dass wir | |
| keinen Einfluss auf den vermummten Block hatten und das polizeiliche | |
| Vorgehen deshalb notwendig war. Die Polizei hat das gar nicht mehr | |
| zugelassen. Für die Aufarbeitung des polizeilichen Agierens ist das von | |
| entscheidender Bedeutung, denn die Polizei hat durch ihr Einschreiten | |
| völlig unnötig die Situation eskaliert. | |
| Welchen Schluss ziehen Sie daraus? | |
| Für mich stellt sich die Frage, ob die Polizei in dem Wissen eingegriffen | |
| hat, dass ich auf dem Weg zum letzten Block war, um zu intervenieren, weil | |
| ihr sonst die Argumente gefehlt hätten, den Start der Demonstration zu | |
| verhindern. | |
| Welches Interesse hätte die Polizei daran? | |
| Ich glaube, dass es eine politische Entscheidung im Vorfeld der Welcome to | |
| Hell Demo gab, uns so früh wie möglich zu stoppen, um den organisierten | |
| Teil der Autonomen für die darauffolgenden Gipfeltage, militärisch | |
| gesprochen, auszuschalten. | |
| Innensenator Andy Grote (SPD) hat beim G20-Sonderausschuss gesagt, die Demo | |
| wäre in jedem Fall eskaliert, die Autonomen hätten es so gewollt. | |
| Es war unser Wunsch, eine Demonstration auf die Straße zu bringen, die ihre | |
| entschiedene politische Gegnerschaft zum G20 artikulieren will. Wir wollten | |
| den Protest so nah wie möglich an den Ort des Geschehens, die Messehallen, | |
| tragen. Alle wollten auch an den folgenden Tagen an den Protesten | |
| teilnehmen. Das impliziert, dass niemand ein Interesse hat, dass die | |
| Situation total eskaliert. Das birgt ja immer die Gefahr, dass Leute | |
| festgenommen und schwer verletzt werden. | |
| Nun war die Welcome to hell-Demo aber ja auch keine Zusammenkunft lauter | |
| Mahatma Gandhis. | |
| Es gibt aber klare Spielregeln – auch im Versammlungsrecht. Es kann ja | |
| nicht darum gehen, was die Polizei unterstellt. Sie braucht belastbare und | |
| konkrete Hinweise, dass die Menschen sich versammeln, um Krawall zu | |
| stiften. Die Erfahrung von autonomen Protesten in den letzten 15 Jahren – | |
| von denen ich viele angemeldet und geleitet habe – ist die, dass am Ende im | |
| Polizeibericht stand, die Veranstaltung sei überwiegend gewaltfrei und ohne | |
| große Probleme verlaufen. Die Gleichung, wenn ein autonomes Bündnis eine | |
| Demo anmeldet, ist das gleichbedeutend mit Krawall und Rambazamba, ist | |
| einfach falsch. | |
| Was folgt aus dieser Gleichsetzung? | |
| Niemand fragt mehr, ob die Polizeitaktik dazu beigetragen hat, dass die | |
| Leute einen dicken Hals hatten. Ich will ich gar nicht wegreden, dass es | |
| Gruppierungen gibt, für die militante Intervention dazugehört. Das heißt im | |
| Umkehrschluss aber noch lange nicht, dass die Polizei sich deswegen durch | |
| die Stadt prügeln kann. | |
| Auf die Frage, welche Überlegungen die Polizei bezüglich einer Massenpanik | |
| angestellt hat, hat Herr Ferk im Ausschuss gesagt, er finde den Begriff | |
| unangebracht, denn „das waren Straftäter, die versucht haben zu fliehen.“ | |
| Aus ihm spricht eine Kaltschnäuzigkeit, die ich beachtlich finde. Das | |
| Agieren der Polizei bei der Demo war ein Glied in einer Kette restriktiven | |
| eskalierenden versammlungsrechtlichen Verhaltens. Das fing an mit der | |
| Verhinderung des Entenwerder Camps über die Art und Weise, wie sie mit dem | |
| Massencornern umgegangen ist. Ich bin viel gewohnt, aber was ich an | |
| Verletzten bei Welcome to Hell am Hafenrand gesehen habe, war einfach | |
| heftig. | |
| Sie waren nicht nur der Anmelder der Welcome to Hell-Demo, sondern auch | |
| derjenige, der Freitagnacht in der Schanze vor die Kameras getreten ist und | |
| versucht hat, mit den Anwohner*innen zu sprechen. | |
| Das war nicht mein Privatvergnügen, sondern eine Entscheidung des | |
| Kollektivs Rote Flora. Das hat entschieden, dass eine bestimmte | |
| Einschätzung der Ereignisse öffentlich kommuniziert werden soll. Das hat | |
| mit der grundsätzlichen Entscheidung zu tun, dass unsere Politik auch | |
| öffentlich kenntlich sein muss. Daher haben wir uns auch auf einer | |
| Stadtteilversammlung Ende Juli erklärt. Danach gab es die Entscheidung, | |
| dass es erst mal keine Notwendigkeit für das Kollektiv gibt, öffentlich zu | |
| agieren. | |
| Was müsste passieren, damit es zu einer Aufklärung der G20-Ereignisse | |
| kommt, die ihren Namen verdient? | |
| Es ist die Frage, ob man von diesem politischen System Wahrheit und | |
| Aufklärung erwartet oder ob man diesen Wunsch einfach für naiv hält. Meine | |
| Erwartungen sind da ziemlich gering. | |
| Dennoch sprechen Sie jetzt darüber, das heißt Sie haben ein Interesse an | |
| Aufklärung. | |
| Es geht hier um Diskurse, mit denen wird Politik gemacht wird. Deshalb | |
| finde ich es wichtig, dass die Menschen, die es interessiert, sich ihr Bild | |
| machen können. Den Sonderausschuss halte ich in seiner bisherigen Form für | |
| eine völlig nutzlose Zeitverschwendung. Er ist bisher lediglich ein Forum | |
| für die Polizei, ohne jegliches Korrektiv, die eigene Deutung | |
| festzuschreiben. | |
| 17 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
| Katharina Schipkowski | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| Autonome | |
| Rote Flora | |
| Protest | |
| Rote Flora | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| G20-Prozesse | |
| Polizei Berlin | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| G20-Prozesse | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| Kennzeichnungspflicht | |
| Sparkasse | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| CDU fordert Schließung der Roten Flora: „Terroristische Kommandoaktionen“ | |
| In ihrer Bilanz zum G20-Sonderausschuss holt Hamburgs CDU zum Rundumschlag | |
| gegen die linke Szene aus und fordert erneut die Schließung der Roten | |
| Flora. | |
| Kommentar Öffentlichkeitsfahndung G20: Feinde auf dem Silbertablett | |
| Die Polizei sucht erneut per Öffentlichkeitsfahnung nach | |
| G20-Straftäter*innen. Für die Aufklärung von Polizeigewalt betreibt sie | |
| keinen vergleichbaren Aufwand. | |
| Öffentlichkeitsfahnung nach G20: Hunderteins neue Medienstars | |
| Die Hamburger Polizei startet eine zweite Runde der Öffentlichkeitsfahndung | |
| nach mutmaßlichen Straftätern im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel. | |
| Aprilscherz mit Hamburgs Polizeichef: Lustiger als die Polizei erlaubt | |
| Ein Berliner Polizist verkündet am 1. April, dass Hardliner Dudde Berlins | |
| neuer Polizeichef werde. Dudde beschwert sich; dem Beamten drohen | |
| Konsequenzen. | |
| Medien und die G20-Straftäterverfolgung: Der Journalist, dein Freund und Helfer | |
| Bei der Verfolgung mutmaßlicher G20-Straftäter leisten einige Hamburger | |
| Medien der Polizei gute Dienste und fungieren als willfährige | |
| Hilfssheriffs. | |
| Ex-Polizeidirektor über Fehler bei G20: „Das Gesamtklima war früh belastet�… | |
| Udo Behrendes war im G20-Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft als | |
| Experte geladen. Er sieht Fehler von Polizei und Politik. | |
| Nach Krawallen in Hamburg: Kampf um die Deutungshoheit | |
| Was geschah beim G20-Gipfel? Neun Monate nach der Gewalt in Hamburg meldet | |
| sich das autonome Zentrum Rote Flora zu Wort. | |
| Hamburger Polizeiführung und G20: Autonome selber schuld | |
| Im G20-Sonderausschuss sagt Hamburgs Innensenator Grote, die Polizei habe | |
| geknüppelt, um Demonstranten vor Vermummten zu schützen. | |
| G20-Dokumentarfilm „Vor dem Knall“: Vom Dröhnen der Hubschrauber | |
| „Vor dem Knall“ zeigt die Stimmung in Hamburg vor der Ankunft der | |
| Staatschefs. Die Diskussion bei der Premiere dreht sich trotzdem nur um die | |
| Gewalt bei den Demos. | |
| Kolumne Fremd und befremdlich: Ein Mittel der Vertuschung | |
| Demonstrierenden ist das Vermummen verboten, Polizisten nicht. Der Staat | |
| will dadurch Überlegenheit herstellen. Aber mit welchem Recht? | |
| Neue Sparkasse am Schulterblatt: Kapital und Kuchen | |
| Nach den G20-Krawallen: Die Hamburger Sparkasse hat ihr Konzept für die | |
| neue Filiale am Schulterblatt vorgestellt. Geplant sind Beton, Glas und | |
| Nachbarschaft. | |
| G20: Polizist warf Bierdose auf Kollegen: Astra gegen Polizeigewalt | |
| Bei einer G20-Demo schleuderte ein Polizist eine volle Bierdose auf seine | |
| KollegInnen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn. |