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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Ein Mittel der Vertuschung
> Demonstrierenden ist das Vermummen verboten, Polizisten nicht. Der Staat
> will dadurch Überlegenheit herstellen. Aber mit welchem Recht?
Bild: Wollen nicht erkannt werden: Polizisten bei einer G20-Demonstration auf d…
Sollen Polizisten Nummern tragen, nach denen sie später identifizierbar
wären?, [1][fragt sich nur wenig motiviert die Hamburgische Bürgerschaft].
Unser Stadtteilpolizist hat ein Gesicht. Er hat den Kindern in der Schule
erklärt, wie man über die Straße geht und was man tut, wenn ein Fremder
einen anspricht. Jetzt sind die Kinder groß, er spaziert immer noch durch
den Stadtteil, und ich grüße ihn.
Anders war es, wenn ich Polizisten gegenüber stand, die einen Helm trugen,
die ganz in schwarz gekleidet waren und keine Augen hatten, keine Münder,
aber Knüppel dabei und Schilder. Wenn ich solchen Polizisten gegenüber
stand, dann klopfte mein Herz. Diese Polizisten konnten direkt in mein
Gesicht starren, ohne dass ich es auch nur bemerkte, ich konnte nur auf
ihren Plastikkopf sehen. Dass ich selber gar keine Art von Helm tragen oder
mich schützen hätte dürfen, das brachte mich stets in Aufruhr. Sie können
mich sehen, dachte ich, und ich sie nicht.
Ich weiß natürlich, dass Polizisten diese Helme zu ihrem Schutz tragen. Und
dann weiß ich weiter, dass ich aber nicht berechtigt bin, mich während
einer Demonstration zu schützen. Sie dürfen sich schützen, ich darf es
nicht. Sie können mich sehen, ich sie nicht. Das Gesichtslose hat mich
immer aggressiv gemacht. Es ist, wie wenn man hinter einem venezianischen
Spiegel auf der Seite der Unwissenden steht, während auf der anderen Seite
die Wissenden mich beobachten. Es wird eine staatliche Überlegenheit
hergestellt.
Im Falle eines idealen Staates, im Falle einer idealen Polizei wäre das
vielleicht ok. Denn die Polizei soll ja den Bürger beschützen. Aber es gibt
keinen idealen Staat und keine ideale Polizei. Das liegt vor allem daran,
dass die ganze Polizei aus Menschen besteht.
Menschen sind fehlerhaft. Manchmal machen Polizisten Fehler. Manchmal
begehen sie Straftaten. Damit demonstrierende Menschen nicht unerkannt
Straftaten begehen, ist ihnen das Vermummen verboten. Warum dies für
Polizisten nicht gelten soll, das leuchtet mir nicht ein. Was fürchtet ein
Polizist die Wiedererkennbarkeit?
Wenn ich auf einer Demonstration bin, dann werde ich nicht nur gesehen von
all diesen Polizisten, ich werde zuweilen gefilmt. Öfter hat schon ein
Polizist mir seine Kamera direkt in mein Gesicht gehalten, obwohl ich
niemals einen Stein geworfen oder sonst eine strafrechtliche Handlung
begangen habe.
Ich bin überhaupt kein Straftäter, ich tue nichts Verbotenes, im Gegenteil,
ich sorge mich um die Welt. Ich möchte ein guter, ein verantwortungsvoller
Mensch sein. Aber, wenn ich auf eine Demonstration gehe, werde ich
vorsorglich wie ein Straftäter angesehen. Weil ich unter anderen bin, unter
denen Straftäter sein könnten. Das trifft aber auch auf Polizisten zu.
Was kann es für einen Grund geben, sie nicht wiedererkennen zu wollen,
durch, zum Beispiel, eine anonymisierte Kennzeichnung? In Hamburg sind sie
bisher dagegen gewesen. Die Polizeigewerkschaft ist dagegen. Es ist die
Rede von Generalverdacht, unter die man Polizisten nicht stellen will. Aber
was ist mit mir? Warum stehe ich, nach dieser Logik, unter Generalverdacht?
Ich gehe, ebenso wie der Polizist, nicht zu meinem Vergnügen auf die
Straße. Aber der Polizist wird bezahlt. Ich engagiere mich in meiner
Freizeit für Dinge, die mir wichtig sind, und die auch das Leben des
Polizisten betreffen können. Was schützt man denn, wenn man den Polizisten
anonym agieren lässt? Und warum hält man ihn in diesem Agieren für
schützenswerter als mich?
Ich finde, Polizisten sollten zu dem, was sie in ihrer Arbeitszeit tun,
stehen. Mit ihrem Namen. Sie sollten sich verantwortlich fühlen, ein
Vorbild sein. Sie repräsentieren den Staat, Recht und Gesetz, und in dieser
Funktion sollten sie nichts vertuschen und verheimlichen wollen, es sollten
ihnen alle Möglichkeiten dazu entzogen werden, denn wie will man
Rechtschaffenheit vom Bürger einfordern, wenn der Polizei so an Mitteln der
Vertuschung liegt?
28 Mar 2018
## LINKS
[1] /Kennzeichnungspflicht-fuer-Polizisten/!5491248/
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Kennzeichnungspflicht
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
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