# taz.de -- Weniger Risiko mit Kennzeichnung: Front gegen anonyme Polizeischlä… | |
> Nach Urteil von Menschenrechts-Gerichtshof wollen Grüne die | |
> Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder auf die Tagesordnung setzen. | |
> SPD blockt, Gewerkschaften maulen | |
Bild: Finden Sie den Bösewicht: Anonyme PolizistInnen beim G20-Einsatz in Hamb… | |
HAMBURG TAZ | Die Hamburger Grünen wollen sich im kommenden Quartal mit der | |
SPD über eine Kennzeichnung von Polizisten einigen. Das kündigte die | |
innenpolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion, Antje Möller, der taz | |
an. | |
Möller verwies auf ein jüngst ergangenes Urteil des Europäischen | |
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der sich mit der Frage befasste: | |
Gibt es ein Recht darauf, identifizierbaren PolizistInnen | |
gegenüberzutreten? Der Gerichtshof bejahte diese Frage und verurteilte | |
Deutschland zur Zahlung einer Entschädigung, weil es gegen Artikel 3 der | |
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen habe, die ein Verbot | |
von Folter und unmenschlicher, erniedrigender Behandlung vorsieht. | |
Geklagt hatten zwei Münchner Fußballfans, die geltend machten, dass sie am | |
9. Dezember 2007 beim Lokalderby zwischen dem FC Bayern und 1860 München | |
beim Verlassen des Stadions anlasslos von Polizisten angegriffen worden | |
seien. Die 227 eingesetzten Polizisten seien größtenteils in identischen | |
Uniformen mit Helmen, Visier und Gesichtsmasken ausgestattet gewesen. | |
„Der Gerichtshof bekräftigt, dass, soweit die zuständigen nationalen | |
Behörden maskierte Polizeikräfte einsetzen, um Recht und Ordnung | |
aufrechtzuerhalten oder Verhaftungen durchzuführen, diesen Kräften | |
vorgeschrieben sein sollte, sichtbar Unterschiedsmerkmale wie etwa | |
Identifikationsnummern zu tragen“, heißt es in dem Urteil. | |
Denn das Unvermögen von Augenzeugen und Opfern, PolizistInnen, denen | |
Misshandlungen vorgeworfen werden, zu identifizieren, könne „zu einer | |
praktischen Straffreiheit für eine bestimmte Kategorie von | |
Polizeibediensteten führen“. | |
Der Einsatz von Polizeieinheiten ohne individuelle Kennzeichnung sei von | |
vornherein geeignet, die Effektivität von Ermittlungen zu behindern. Damit | |
riskiere der deutsche Staat, die Standards zu unterschreiten, welche die | |
Menschenrechtskonvention für eine Untersuchung mutmaßlicher Polizeigewalt | |
vorsieht. | |
Davon, dass der deutsche Staat sich das regelmäßig leistet, kann der | |
Hamburger Anwalt Marc Meyer ein Lied singen. Ein Beispiel ist sein | |
Strafantrag gegen einen Polizisten wegen versuchten Totschlags bei einer | |
Demonstration im Dezember 2007, der wie ähnliche Verfahren wegen | |
Körperverletzung im Sande verlief. Nach eineinhalb Jahren wurde das | |
Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil der Täter nicht | |
ermittelt werden konnte. Der Polizeischläger blieb bis heute unerkannt. | |
## Mit Tonfa-Stock Ohr abgetrennt | |
Meyers Mandanten war bei der Demonstration gegen Repression durch den | |
„Terrorparagrafen 129a“ nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm mit dem | |
Nahkampfstock Tonfa ein Ohr abgetrennt worden. Nach diversen Stopps hatte | |
sich die Demonstration gerade auf der Höhe des Hallenbads in St. Pauli | |
befunden. „Es war eine total ruhige Situation“, erinnerte sich das damals | |
36-Jährige Opfer, „da war nichts.“ | |
Dann seien sechs bis acht Polizisten in „hellgrünen Uniformen“ und in | |
„lockerer Formation“ auf ihn zugekommen und ein Beamter habe plötzlich mit | |
dem Tonfa auf ihn eingeschlagen. Die Polizisten seien dann weitergezogen, | |
als wäre nichts gewesen. | |
Ihm sei zunächst gar nicht klar geworden, „wie schlimm das war“, sagte das | |
Opfer. Dass ihn die Attacke sein linkes Ohr gekostet habe, bemerkte er erst | |
dadurch, dass „Leute und Sanitäter begannen, in der Umgebung nach dem Ohr | |
zu suchen“. | |
## Täter ließ sich nicht ermitteln | |
Obwohl die markanten quittengrünen Uniformen auf eine Beweissicherungs- und | |
Festnahmeeinheit (BFE) der Berliner Polizei schließen ließen, konnte das | |
von der Staatsanwaltschaft beauftragte Dezernat interne Ermittlungen (DIE) | |
den Täter angeblich nicht ermitteln. Letztendlich blieben bis zum Schluss | |
120 tatverdächtige Polizisten der Berliner BFEs übrig. | |
Aus den lückenhaften Einsatzprotokollen ließ sich der Trupp des Schlägers | |
nicht herausfiltern. KeineR der vernommenen BeamtInnen, die damals alle | |
Kampfmontur mit Helmen und Sturmhauben darunter trugen, wollte Täter | |
gewesen sein noch etwas gesehen haben. „Selbst nach Vorlage von Videofilmen | |
blieb der Trupp unerkannt, weil es damals keine Kennzeichnungspflicht | |
gegeben hat“, erinnert sich Anwalt Meyer. | |
Durch die Vorkommnisse beim G20-Gipfel in Hamburg im Juli hat diese alte | |
Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten gerade an | |
Aktualität gewonnen. Denn der Gipfel zeigte, dass es zu unkontrollierter | |
Polizeigewalt aus Frustration oder politischem Hass kommen kann. | |
122 Ermittlungsverfahren waren mit Stand vom 21. Dezember gegen | |
PolizistInnen anhängig – vornehmlich wegen Körperverletzung, Bedrohung, | |
Nötigung oder Freiheitsberaubung. „Die Ermittlungen laufen noch“, sagt Nana | |
Frombach, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. | |
Brisant an der aktuellen Entscheidung des Gerichtshofs für Menschenrechte | |
ist, das dieser rechtsstaatliche Mängel bei der Aufklärung möglicher | |
Menschenrechtsverletzungen als Verletzung der Menschenrechtskonvention | |
betrachtet. Das Bundesverfassungsgericht als Vorinstanz habe der Pflicht | |
des deutschen Staates zur Aufklärung nicht ausreichend Rechnung getragen. | |
Klare Worte aus Straßburg – und dennoch tut sich auch die rot-grüne | |
Rathauskoalition schwer mit Konsequenzen. Im Koalitionsvertrag hat sie zwar | |
vereinbart, „Gespräche mit den Polizeigewerkschaften aufzunehmen, um zu | |
prüfen, ob und wie eine Kennzeichnungspflicht auch bei der Hamburger | |
Bereitschaftspolizei eingeführt werden kann“, getan hat sich in zwei Jahren | |
allerdings nichts. | |
Das wollen die Grünen nun ändern. „Das Urteil hat eine klare Botschaft: Zum | |
rechtsstaatlichen Handeln gehört auch dessen Überprüfbarkeit“, sagt Antje | |
Möller. | |
Das Urteil stärke das Argument, dass das Allgemeininteresse an der | |
Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns nicht als ungerechtfertigter | |
Generalverdacht gegen die Polizei zu werten sei. Damit sei die Chance | |
gewachsen, „den dicken Brocken vom Tisch zu bekommen“, sagt Möller, | |
wenngleich die Gespräche mit den Polizeigewerkschaften nicht leicht würden. | |
28 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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