# taz.de -- Kommentar NRW-Polizeigesetz: Von wegen Misstrauen | |
> Die NRW-Landesregierung hat die gerade erst eingeführte | |
> Kennzeichnungspflicht für Polizisten gekippt. Das offenbart ein | |
> ungesundes Rechtsstaatsverständnis. | |
Bild: Bereitschaftspolizisten in Nordrhein-Westfalen wird künftige keine pers�… | |
Und dann war sie wieder weg – die Kennzeichnungspflicht. Gerade einmal elf | |
Monate, nachdem die rot-grüne Landesregierung Identifikationsnummern für | |
Bereitschaftspolizisten in Nordrhein-Westfalen eingeführt hat, wird die | |
Regelung schon wieder aufgegeben. Die schwarz-gelbe Mehrheit im | |
Düsseldorfer Landtag hat mit Unterstützung der AfD am Mittwoch die | |
Abschaffung der Kennzeichnungspflicht beschlossen. Die Streichung des | |
[1][Paragraphen 6a] des Landespolizeigesetzes ist ein Lieblingsprojekt des | |
CDU-Innenministers Herbert Reul, der die Kennzeichnung „unnötig und | |
überflüssig“ nannte. | |
Zum Hintergrund: Die Vorgängerregierung hatte im Dezember 2016 eine | |
individuelle und anonyme Kennung für die Bereitschaftspolizei eingeführt. | |
Diese kommt bei Großeinsätzen wie Demonstrationen oft als Hundertschaft zum | |
Einsatz, in deren Rahmen es häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen | |
zwischen Aktivisten und Polizeibeamten kommt. | |
Bereitschaftspolizisten treten dabei der Regel in Schutzausrüstung mit Helm | |
auf – und sind für Opfer von Polizeigewalt und Beleidigungen entsprechend | |
kaum identifizierbar. Das erschwert die Strafverfolgung verdächtiger | |
Beamter. | |
Die gekippte Kennung in NRW bestand aus einem Zahlencode, der keine | |
Rückschlüsse auf die Identität des Beamten zulässt. Dem besonderen | |
Schutzbedürfnis von Polizisten wird damit Rechnung getan. | |
Ein gutes System sollte man meinen. Und deshalb gilt die | |
Kennzeichnungspflicht in unterschiedlicher Ausprägung auch in acht | |
deutschen Bundesländern und in den meisten Ländern Europas. | |
Umso seltsamer mutet Innenminister Reuls Begründung für die Abschaffung der | |
Regelung an. Die Kennzeichnung habe Polizisten „belastet und einem Gefühl | |
des Misstrauens ausgesetzt“, sagt der Innenpolitiker. | |
Was Reul als „Misstrauen“ bezeichnet, könnte man aber auch | |
„Rechenschaftspflicht“ nennen – und die ist in deutschen Behörden gute | |
Praxis. Die Urheber einer staatlichen Maßnahme sind im Normalfall | |
identifizierbar. Wer einen Bescheid vom Arbeitsamt erhält, erfährt den | |
Namen seines Sachbearbeiters. Das gleiche gilt für die meisten | |
Verwaltungsakte. | |
Die Identifizierbarkeit von Sachbearbeitern sendet ein wichtiges Signal der | |
Transparenz an die Bevölkerung. Der Staat soll dem Bürger nicht als anonyme | |
Gewalt gegenüberstehen, sondern vertreten durch Mitbürger, deren | |
Entscheidungen nachprüfbar und hinterfragbar sind. | |
## Disziplinierende Wirkung | |
Und diese Nachprüfbarkeit sollte für Polizisten in besonderem Maße gelten. | |
Im Gegensatz zu Mitarbeitern des Bundesverwaltungsamts und der | |
Dokumentausgabe beim Bezirksamt sind Polizisten gegenüber ihren Mitbürgern | |
zu physischer Gewaltanwendung und Einschränkungen der persönlichen Freiheit | |
berechtigt. Gerade wegen der Sensibilität dieser Aufgabe muss eine | |
persönliche Nachverfolgung der Handlungen einzelner Polizisten auch in | |
unübersichtlichen Situationen möglich sein. | |
Eine Kennzeichnung kann auch eine disziplinierende Wirkung haben. Wer für | |
die eigenen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden kann, verhält sich | |
womöglich verantwortlicher. | |
Andere Bundesländer haben mit der Kennzeichnungspflicht gute Erfahrungen | |
gemacht. In Hessen tragen Polizisten seit 2014 eine Identifikationsnummer. | |
Eine Anzeigenwelle gegen Beamte blieb aus. Die Anzahl der | |
Aufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen gegen Polizisten ist [2][seit 2014 | |
sogar zurückgegangen]. Lediglich eine Anzeige wegen Beleidigung ging unter | |
Nennung der individuellen Kennung bis Juli 2016 ein. Anhaltspunkte für | |
einen massenhaften Missbrauch der Kennzeichungsfplicht gibt es also nicht. | |
Der NRW-Landesregierung offenbart mit ihrer Entscheidung zur | |
Kennzeichnungspflicht eine ungesunde Einstellung gegenüber rechtstaatlichen | |
Standards. Das diffuse Gefühl eines „Misstrauens“ von Polizeibeamten | |
bewertet Schwarz-Gelb höher als das Recht der Bürger, effektiv gegen als | |
ungerechtfertigt empfundene Polizeimaßnahmen vorzugehen. | |
12 Oct 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Do… | |
[2] https://www.hessen.de/print/29080 | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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