| # taz.de -- Ex-Polizeidirektor über Fehler bei G20: „Das Gesamtklima war fr�… | |
| > Udo Behrendes war im G20-Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft | |
| > als Experte geladen. Er sieht Fehler von Polizei und Politik. | |
| Bild: Standen sich unversöhnlich gegenüber: Polizisten und Demonstranten bei … | |
| taz: Herr Behrendes, Hamburgs damaliger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) | |
| hatte den G20-Gipfel in Hamburg im vergangenen Juli trotz der angekündigten | |
| internationalen Großproteste als ein Polit-Event angekündigt, das die | |
| Polizei im Griff habe und dem alljährlichen Hafengeburtstag gleiche. Warum | |
| ist das aus Ihrer Sicht schief gelaufen? | |
| Udo Behrendes: Diese Zielbeschreibung war von Anfang an utopisch. Die | |
| Sicherheit einer großen Anzahl hochgefährdeter Politiker und die | |
| störungsfreie Abwicklung zahlreicher Veranstaltungen und Fahrbewegungen zu | |
| gewährleisten, parallel dazu „versammlungsfreundlich“ facettenreiche | |
| Proteste zu ermöglichen und dies alles bei geringer Beeinträchtigung der | |
| Gesamtbevölkerung umzusetzen, kann mitten in einer Großstadt wie Hamburg | |
| natürlich nicht vergleichbar reibungslos funktionieren wie ein großes | |
| lokales Fest. | |
| Bei wem sehen Sie die Verantwortung für die Geschehnisse während des | |
| Gipfels? | |
| Für die massiven Ausschreitungen, die es dann gegeben hat, sind in | |
| allererster Linie diejenigen verantwortlich, die Steine geworfen, Autos | |
| angezündet und Läden geplündert haben. Demonstrationsveranstalter und | |
| Polizei müssen sich allerdings selbstkritisch fragen, ob sie ihre | |
| jeweiligen Einflussmöglichkeiten für die Entwicklung beziehungsweise für | |
| die Unterstützung einer friedlichen Protestkultur immer und überall | |
| verantwortungsvoll wahrgenommen haben. | |
| Die Polizei war nach der sogenannten Hamburger Linie vorgegangen, die dem | |
| Prinzip Deeskalation durch Stärke folgt. Entspricht diese Strategie dem vom | |
| Bundesverfassungsgericht geforderten „versammlungsfreundlichen Verhalten“ | |
| der Behörden und dem allgemeinen Verständnis von Protest-Policing? | |
| In Einzelfällen, wenn man es etwa mit einer homogenen, gewaltaffinen Gruppe | |
| zu tun hat, kann es durchaus Sinn ergeben, durch das demonstrative Zeigen | |
| von hoch ausgerüsteten Polizisten und entsprechendem technischem Equipment | |
| zu signalisieren, dass militante Aktionen keine Chance haben. Als generelle | |
| Linie, insbesondere beim Umgang mit heterogenen Protestbündnissen, halte | |
| ich dieses Prinzip für wenig sachgerecht. Eine solche Einsatzphilosophie | |
| würde letztlich eine Renaissance des Protest-Policings der 1950er- und | |
| 1960er-Jahre darstellen, was seinerseits auf Strategien aus den Zeiten der | |
| Weimarer Republik aufbaute. Diese konfrontativ ausgerichtete | |
| Grundphilosophie herrschte bundesweit bis Mitte der 60er vor. Der damalige | |
| Hamburger Innensenator Heinz Ruhnau und sein Polizeipräsident Jürgen | |
| Frenzel galten zu dieser Zeit übrigens als Polizeireformer und kreierten | |
| damals als Alternative zu den traditionellen, starren Einsatzkonzeptionen | |
| das Prinzip der flexiblen Reaktion. | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat 1985 in seinem legendären | |
| Brokdorf-Beschluss ausgeführt, dass der Staat auch Demonstrationen | |
| zugunsten des Gros zuzulassen habe, wenn von einigen Teilnehmern Gewalt | |
| ausgehen könnte. War die zweitägige Demonstrationsverbotszone von 38 | |
| Quadratkilometern während des G20-Gipfels in Hamburg per Allgemeinverfügung | |
| aus polizeilicher Sicht trotzdem notwendig und sinnvoll? | |
| Kern des Brokdorf-Beschlusses ist das Differenzierungsgebot: Die | |
| Versammlungsbehörde beziehungsweise die Polizei darf friedliche | |
| Demonstranten nicht generell in Mithaftung für das Verhalten militanter | |
| Teilgruppierungen nehmen. Sie muss stattdessen versuchen, möglichst in | |
| Abstimmung mit der Versammlungsleitung, gezielt gegen diese Gewalttäter | |
| vorzugehen. Dies ist natürlich in einer realen Situation nie klinisch | |
| sauber möglich, da es bei Großdemonstrationen eben nicht nur Gewalttätige | |
| und Friedliche gibt, sondern auch viele Teilnehmer, die eher indifferent | |
| sind und sich je nach Situation mit dem einen oder dem anderen Lager | |
| solidarisieren. Mit dem großflächigen Demoverbot hatte man jedoch bereits | |
| im Vorfeld Fakten geschaffen, die natürlich gerade von den friedlichen | |
| Demonstranten nicht als versammlungsfreundlich wahrgenommen wurden. Das | |
| Gesamtklima war daher bereits früh belastet – genau das kommt übrigens der | |
| Strategie von Militanten sehr entgegen. | |
| Die Automomen-Demonstration „Welcome to Hell“ am Vorabend des G20-Gipfels | |
| ist wegen Vermummung einiger Teilnehmer gleich zu Beginn von der Polizei | |
| zerschlagen worden, was zu schweren Ausschreitungen geführt hat. Sie galt | |
| als Gradmesser für den weiteren Verlauf. Ist die Polizei nach dem | |
| Legalitätsprinzip verpflichtet, schon im Vorfeld konsequent einzuschreiten, | |
| wenn einige Hundert von rund 12.000 Demonstranten mit Sonnenbrillen, | |
| Baseball-Caps und Halstüchern nicht identifizierbar sind? | |
| Mit der Einführung des Vermummungsverbots in den 1980er-Jahren wollte der | |
| Gesetzgeber keinen Dresscode für Demonstranten festlegen, sondern der | |
| Polizei eine Handhabe geben, um frühzeitig gegen potenziell Militante | |
| einschreiten zu können. Die Vorschrift kann für die Polizei allerdings in | |
| Umkehrung ihrer Zielrichtung zu einer Gewaltfalle werden: Wenn man zu einem | |
| Zeitpunkt, zu dem es noch keine militanten Aktionen gibt, gegen Vermummte | |
| vorgeht, tritt man eventuell genau die Gewalttätigkeiten los, die die | |
| Vorschrift ja eigentlich verhindern will. Man liefert damit den Militanten | |
| den erhofften Stoff für ihre Erzählung, von der Polizei angegriffen worden | |
| zu sein und sich nur gegen unangemessene staatliche Maßnahmen zu wehren. | |
| Was für Erfahrungen haben Sie mit der Vermummung gemacht? | |
| Ein entsprechendes Outfit kann natürlich in manchen Fällen die konkrete | |
| Vorbereitung für militante Aktionen sein, in anderen Fällen hat es für die | |
| Protagonisten aber eher eine habituelle Bedeutung und letztlich kann es | |
| eben auch als gezielte Provokation dienen, um die Polizei in die | |
| beschriebene Gewaltfalle zu locken. Ich habe mal bei einer | |
| Großdemonstration mit über 100.000 Teilnehmern in Bonn eine Teilgruppe von | |
| etwa 3.500 Autonomen mit 30 Polizisten in Alltagsuniform begleitet, ohne | |
| dass es zu einer einzigen Gewalttätigkeit gekommen ist. Dieses Setting | |
| hatten wir mit Vertretern der autonomen Szene mit Hilfe von Vermittlern der | |
| Hauptkundgebung in zähen Verhandlungen vereinbart. | |
| Kann das nicht eine Blaupause sein? | |
| Natürlich kann dies keine Blaupause für alle Demos mit solchen | |
| Gruppierungen sein – das Beispiel zeigt aber, was alles bei einer stabilen | |
| Dialog- und Kooperationsstruktur möglich ist. Letztlich zwingt auch die | |
| Rechtslage nicht etwa zu einem reflexhaften Handeln, denn das übergreifende | |
| Ziel des Vermummungsverbots ist ja gerade die Verhinderung von Gewalt. Die | |
| Versammlungsgesetze der Hamburger Nachbarländer Niedersachsen und | |
| Schleswig-Holstein tragen diesem Gedanken übrigens ausdrücklich Rechnung, | |
| aber auch das für Hamburg geltende Bundesversammlungsgesetz ermöglicht | |
| durchaus flexibles Handeln. | |
| Die Polizei hat die G20-Protestcamps schon vorab verboten, da diese | |
| Sammelbecken militanter Gipfelgegner hätten sein können. Sind solche | |
| Verbote aus polizeilicher Sicht sinnvoll? | |
| Man kann dem entgegenhalten, dass man dann eben auch weiß, wo sich | |
| Militante aufhalten und sich darauf einstellen. Problematischer ist es, | |
| wenn Gewalttäter überraschend auftreten, so wie in Altona. Hinzu kommt, | |
| dass die restriktive Linie gegen Camps nicht nur Militante traf, sondern | |
| auch viele friedliche Demonstranten und damit die Atmosphäre rund um die | |
| Proteste gegen den Gipfel negativ beeinflusst hat. Gerade heterogene Camps | |
| können ja dazu führen, dass Militante eben nicht die Oberhand innerhalb der | |
| gesamten Protestbewegung bekommen und es gegen ihre geplanten Aktionen auch | |
| internen Widerstand anderer Gruppierungen gibt. Wenn sich alle | |
| Demonstranten aber mit den Militanten in einen Topf geworfen fühlen, | |
| entstehen eher Solidarisierungen mit diesen Problemgruppen und eine | |
| insgesamt ablehnende bis feindselige Haltung gegenüber der Polizei. | |
| Ein Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft beschäftigt sich derzeit | |
| mit der Aufarbeitung der Vorkommnisse beim G20-Gipfel. Was sollte man Ihrer | |
| Meinung nach zukunftsgerichtet tun? | |
| Der G20-Gipfel wird für Hamburg ein singuläres Ereignis bleiben. Insoweit | |
| sollte man alles versuchen, um nun wieder die alltägliche Protestkultur | |
| positiv weiterzuentwickeln. Versammlungsbehörde, Polizei und Politik | |
| sollten darüber in einen anlassunabhängigen Dialog mit Protagonisten der | |
| Protestszene treten, am besten moderiert durch von beiden Seiten anerkannte | |
| Vertreter der Zivilgesellschaft. Auch für einen solchen Dialogansatz gibt | |
| es übrigens ein gutes Hamburger Beispiel aus den 1960er Jahren: | |
| Innensenator Heinz Ruhnau hatte damals aufgrund der zunehmenden | |
| Demonstrationen der Studentenbewegung eine Planungsgruppe ins Leben | |
| gerufen, also einen Austausch zwischen polizeilichen Führungskräften und | |
| Akteuren der Zivilgesellschaft institutionalisiert, um gemeinsam nach Wegen | |
| zum Umgang mit brisanten Demonstrationen zu suchen. | |
| 20 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai von Appen | |
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