Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kurioses G20-Verfahren: Wacklige Anklage
> Der G20-Gegner Konstantin P. soll Flaschen geworfen und sich gegen seine
> Festnahme gewehrt haben. Doch dafür gibt es keine Belege.
Bild: Kann man sich ernsthaft wehren, wenn man von mehreren Polizisten zu Boden…
HAMBURG taz | Der G20-Gipfel war gerade wenige Stunden zuvor zu Ende
gegangen, da fuhren die Strafverfolgungsorgane gegen den 20-jährigen
Konstantin P. schwere Geschütze auf. Versuchte gefährliche
Körperverletzung, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Widerstand
gegen die Staatsgewalt, lauteten die Vorwürfe, nachdem Konstantin P. von
hessischen Beamten einer „ Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“ (BFE)
attackiert worden war.
Der G20-Gegner mit russischer Staatsangehörigkeit kam wegen vermeintlicher
Fluchtgefahr präventiv in Untersuchungshaft. Er soll am zweiten Abend des
Gipfels am 8. Juli 2017 gegen 23 Uhr in der Schanzenstraße zwei
Bierflaschen auf Polizisten geworfen haben und sich seiner Festnahme durch
die hessischen BFE widersetzt haben – so der Vorwurf.
Ein halbes Jahr nach Beginn des Verfahrens im vergangenen Oktober und nach
mehr als ein Dutzend Prozesstagen ist von dem staatlich geschmiedeten
Konstrukt wenig übrig, der Haftbefehl gegen P. ist nach vier Monaten
Untersuchungshaft aufgehoben worden.
Die Hauptanklagepunkte der Flaschenwürfe sind nach Äußerungen von
Amtsrichterin Katrin Fischer vom Tisch. Zwar habe es diese Würfe nach der
bisherigen Beweisaufnahme wohl gegeben, bei der Verhaftung von Konstantin
P. habe aber wegen der Bekleidung eine Verwechselung vorgelegen, sodass er
nicht der Flaschenwerfer gewesen sein könne.
Seit mehreren Wochen geht es im Verfahren allein noch um die Frage, durfte
oder konnte Konstantin P., daraus, dass er zu Unrecht von den Polizisten
angegriffen wurde, das Recht ableiten, sich gegen seine Festnahme zu
wehren. Und konnte er das überhaupt, als er am Boden von drei Polizisten
fixiert worden war.
## Wer war zuständig?
Die Verteidiger Alexander Kienzle und Fenna Busmann gehen davon aus, dass
der Polizeieinsatz rechtswidrig und die allein agierende hessische BFE gar
nicht zuständig war. Zwar gebe es nach dem Polizeirecht grundsätzlich die
Möglichkeit, dass die hessische Polizei in Form von Amtshilfe auf Hamburger
Territorium tätig werden könne, doch gebe es für ein solches
Amtshilfeersuchen der Hamburger Polizei, nachdem die hessische Polizei in
ein Gesamtkonzept eingebettet war, keine Belege. „Die Justiz konnte nicht
nachweisen, dass die hessische Polizei zuständig war“, sagt Busmann. „Das
muss die Polizei beweisen.“
Auch die Form des Einsatzes hält Busmann für rechtswidrig, denn ihr Mandant
wurde ohne Vorwarnung von den Polizisten zu Boden gerissen. Die Polizisten
hätten ausgesagt, dass sie gar nicht darüber nachgedacht hätten, ob es
schonendere Mittel gebe, die Personalien festzustellen, anstatt Konstantin
P. ohne Vorwarnung „von hinten anzufallen“, sagt Busmann. Daher möchte die
Verteidigung zwei Ausbilder der Polizeiakademie als Zeugen hören.
## Akteneinsicht für die Zeugen
Überhaupt sorgte das Verfahren gegen Konstantin P. von Anfang an für
rechtsstaatliche Kuriositäten. So stellte sich heraus, dass die hessischen
BFE-Beamten zur Vorbereitung ihrer Aussage vor Gericht einen Ordner
einsehen konnten, in dem alle Vernehmungsprotokolle der Kollegen,
Zeugenaussagen, Vorladungen und Anweisungen im Zusammenhang mit dem
G20-Einsatz gesammelt waren. Eine derartige Zeugenbeeinflussung
widerspricht den Grundsätzen der Strafprozessordnung.
Im Januar versuchte die Ausländerbehörde trotz des laufenden Prozesses
Konstantin P. auszuweisen. Er sollte Hamburg binnen fünf Tagen verlassen.
Ihm wurde für fünf Jahre verboten, in den erweiterten Schengenraum
einzureisen. Denn P. habe sich „zwecks Durchsetzung politischer Ziele an
Gewalttätigkeiten beteiligt, das Ausweisungsinteresse wiegt somit besonders
schwer“. Das gelte unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung seines
Handelns. Der Vollzug der Ausweisung wurde bis Prozessende ausgesetzt. Der
Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.
9 Apr 2018
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
G20-Prozesse
Schwerpunkt G20 in Hamburg
G20-Gipfel
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
G20-Gipfel
G20-Gipfel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil zu U-Haft für Aktivisten: G20-Gegner bekommt Entschädigung
Konstantin P. wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich bei seiner
Festnahme wehrte. Der Staat muss ihn nun für die U-Haft entschädigen.
Laserpointer gegen Polizeihubschrauber: Reporter helfen der Polizei
Im G20-Verfahren gegen Nico B., der einen Hubschrauber per Laserpointer
traktiert haben soll, assistieren zwei ReporterInnen der
Staatsanwaltschaft.
Ex-Polizeidirektor über Fehler bei G20: „Das Gesamtklima war früh belastet�…
Udo Behrendes war im G20-Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft als
Experte geladen. Er sieht Fehler von Polizei und Politik.
G20: Polizist warf Bierdose auf Kollegen: Astra gegen Polizeigewalt
Bei einer G20-Demo schleuderte ein Polizist eine volle Bierdose auf seine
KollegInnen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn.
Prozess in Hamburg nach G20-Protesten: Angriff auf die Versammlungsfreiheit
Der G20-Prozess gegen Fabio V. zeigt, wie ein Grundrecht angegriffen wird.
Das haben auch ein Doktorand und ein Student erfahren.
Fabio V. über G20-Protest: „Es war das, was ich tun musste“
Rund fünf Monate saß der Italiener Fabio V. in U-Haft. Der Vorwurf:
schwerer Landfriedensbruch. Nun muss der Prozess neu aufgerollt werden.
G20:Verurteilt wegen Pyrotechnik: Berufung gegen Böller-Urteil
Ein 24-jähriger Pole, der bei den G20-Protesten verhaftet und zu sechs
Monaten auf Bewährung verurteilt wurde, wehrt sich. Sein Verteidiger
verweist auf EU-Recht.
G20-Demonstranten verklagen Hamburg: Polizeieinsatz soll vor Gericht kommen
Wegen des brutalen G20-Einsatzes haben einige Aktivisten die Stadt
verklagt. Sie wollen ein Gegengewicht in der Debatte schaffen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.