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# taz.de -- G20:Verurteilt wegen Pyrotechnik: Berufung gegen Böller-Urteil
> Ein 24-jähriger Pole, der bei den G20-Protesten verhaftet und zu sechs
> Monaten auf Bewährung verurteilt wurde, wehrt sich. Sein Verteidiger
> verweist auf EU-Recht.
Bild: Manche Böller aus Polen sind legal – und manche sind es nicht
HAMBURG taz | Möglicherweise hat das Urteil gegen einen polnischen
Kunststudenten im Umfeld der G20-Proteste gegen europäisches Recht
verstoßen. Das zumindest ist die Ansicht der Verteidigung des 24-jährigen
Stanislaw B., dessen Berufung am Donnerstag vor dem Hamburger Landesgericht
verhandelt wird. Sie wirft dem Leiter der Staatsanwaltschaft in Hamburg,
Michael Elsner, vor, einen Unschuldigen sieben Wochen wegen Verstoßes gegen
das Versammlungs-, Waffen- und Sprengstoffgesetz in Untersuchungshaft
gebracht zu haben. In erster Instanz war B. zu sechs Monaten Haft auf
Bewährung verurteilt worden.
Eine Richtlinie der Europäischen Union (EU) vom Mai 2007 zum „freien
Warenverkehr“ verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, die Normen und
jeweiligen Sicherheitsstandards der EU-Partner für das „Inverkehrbringen
pyrotechnischer Gegenstände“ im eignen Land zu akzeptieren. Daraufhin sind
die deutschen Gesetze durch die „Richtlinie Pyrotechnik“ angepasst worden,
was die Hamburger Staatsanwaltschaft offensichtlich ignoriert. Denn diese
beruft sich auf Gutachten des Hamburger Landeskriminalamtes, das aber dafür
gar nicht zuständig ist. Für waffenrechtliche Prüfungen auf nationaler
Ebene ist ausschließlich das Bundeskriminalamt zuständig.
Die Staatsanwaltschaft macht unter Verweis auf das laufende Verfahren keine
Angaben zum Fall. Stanislaw B. war am frühen Morgen des 8. Juli vergangenen
Jahres mit seiner Begleiterin Friederike S. nahe dem Stephansplatz in der
Demoverbotszone der City in eine Polizeikontrolle geraten. Bei der
Untersuchung des Rucksackes fanden zwei Polizisten mehrere Feuerwerkskörper
und ein Tierschutzspray.
Die Beamten schlussfolgerten, dass die beiden auf dem Weg zur
Großdemonstrationen „G20 – not Welcome“ waren, bewaffnet mit sogenannten
verbotenen „Polenböllern“. Stanislaw B.s Einwand, dass er sich auf dem Weg
via Dammtorbahnhof zum G20-Protestcamp im Hamburger Volkspark befinde, wo
er am Vortag als Tourist auf dem Weg nach Spanien sein Zelt aufgeschlagen
habe, ließen die Beamten nicht gelten. Stanislaw B. landete in Haft.
Doch die von der Hamburger Justiz inkriminierten drei „Polenböller“ der
Marke „Zuki P00033A Kometa und die zwei Böller RC3 PXP203, die in
Deutschland von der Firma Weco vertrieben werden, waren nach
EU-Bestimmungen zur Abgabe an Personen ab 18 Jahren zugelassen. Sie waren
zum Jahreswechsel in Hamburg beim Discounter Lidl erhältlich. Lediglich dem
Böller „Adrenaline PXP 308“, der im vorigen Jahr in Polen noch frei
verkäuflich war, ist inzwischen von den polnischen Behörden die Kategorie
„F2“ entzogen worden – was Stanislaw B. nicht wissen konnte.
## Erhältlich bei Amazon
„Der Besitz der Böller war also völlig legal“, sagt der Dozent für
Waffenkunde, Lars Winkelsdorf, der taz. Auch das bei B. beschlagnahmte
Tierabwehrspray „Mace take down“, das er über den polnischen
Internetversand „Militaria.pl“ erworben hatte, ist in Deutschland über den
Versandhandel Amazon frei erhältlich – also zugelassen oder zumindest
staatlich geduldet.
Neben der siebenwöchigen Untersuchungshaft für Stanislaw B. kritisiert sein
Anwalt Jonathan Burmester auch die Faktenbewertung beim Prozess in der
ersten Instanz. Amtsrichter Bernd Lübke habe dabei auf Drängen von
Staatsanwalt Elsner die Grundsatznorm in Dubio pro reo („Im Zweifel für den
Angeklagten“) außer Acht gelassen. Denn das Gericht wertete B.s Aussage, er
habe sich auf dem Weg zum G20-Protestcamp befunden, wo er sein Zelt als
Zwischenstation auf dem Weg nach Spanien aufgeschlagen habe, als
„Schutzbehauptung“.
## Ermittlungen wegen Strafvereitelung
Gegen die drei Zeuginnen, die die Angaben bestätigen könnten, sind von
Staatsanwalt Elsner Ermittlungen wegen versuchter Strafvereitelung
eingeleitet worden, um eine Aussage zu verhindern.
All diese Fragen sind in der ersten Verhandlung am 29. August letzten
Jahres vorm Amtsgericht rechtlich gar nicht erörtert worden, weil die
Verteidigung wegen der Untersuchungshaft ein schnelles Urteil erreichen
wollte. „Wir brauchten an diesem Tag ein Urteil, damit die
Untersuchungshaft aufgehoben wurde“, sagt Burmester. Jeder Beweisantrag
hätte einen weiteren Prozesstag oder Verzögerung vielleicht sogar um Wochen
bedeutet. „Mein Mandant hätte keinen Tag länger in Haft ertragen.“
22 Jan 2018
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
G20-Gipfel
Pyrotechnik
EU-Regelungen
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