# taz.de -- Fabio V. über G20-Protest: „Es war das, was ich tun musste“ | |
> Rund fünf Monate saß der Italiener Fabio V. in U-Haft. Der Vorwurf: | |
> schwerer Landfriedensbruch. Nun muss der Prozess neu aufgerollt werden. | |
Bild: Im Schanzenpark: Hamburg habe ihn gut aufgenommen, sagt der angeklagte Ak… | |
Fabio V. kann nach Hause – der Prozess gegen ihn ist geplatzt. An diesem | |
Dienstag stand eigentlich der letzte Verhandlungstermin an, bevor die | |
Richterin in den Mutterschutz geht. Aber die Richterin ist krank, wie das | |
Gericht V.'s Verteidiger*innen am Montag mitteilte – der Termin fällt aus. | |
Nun liegt der Prozess auf Eis, bis eine andere Richter*in das Verfahren | |
irgendwann neu aufrollt. V. wird vorgeworfen, sich an einer Demonstration | |
beteiligt zu haben, bei der G20-Gegner*innen Steine in Richtung der Polizei | |
warfen. Die Beweislage ist dünn – in zwölf Verhandlungstagen konnte ihn | |
kein*e Zeug*in belasten. Die Staatsanwaltschaft wirft V. keine individuelle | |
Tat vor, sondern lediglich die Teilnahme und psychologische Unterstützung | |
der Demonstration. Ende November wurde V. nach fast fünf Monaten aus der | |
Untersuchungshaft entlassen. Seitdem hat er sich nicht in der | |
deutschsprachigen Presse geäußert. Für die Dauer des Prozesses lebt er mit | |
seiner Mutter in Hamburg. Wir treffen uns an der Sternschanze, unweit der | |
Messehallen. | |
taz: Herr V., Sie sind unfreiwillig ein Star des G20-Protests geworden. Wie | |
fühlt sich das an? | |
Fabio V.: Ich möchte auf keinen Fall für berühmt oder wichtig gehalten | |
werden. Ich bin nur ein junger Mensch, der wie viele andere nach Hamburg | |
gekommen ist, um gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu demonstrieren. | |
Ich hatte das Pech, festgenommen zu werden und im Gefängnis zu landen – wie | |
viele andere auch. | |
Aber bei wenigen steht das Verhältnis zwischen Tatvorwurf und | |
Strafverfolgung in einem so drastischen Verhältnis: Ihnen wird keine | |
individuelle Tat vorgeworfen, aber Sie saßen fast fünf Monate in | |
Untersuchungshaft. | |
Ja, das ist interessant und etwas, was es in Deutschland noch nicht gab. | |
Ich bin nicht für eine spezifische Tat angeklagt, [1][sondern für die | |
Anwesenheit bei einer Demonstration]. Die Verschärfung des Paragrafen des | |
schweren Landfriedensbruchs passt in das immer repressiver werdende System | |
in Europa, das benutzt wird, um Leute einzuschüchtern und zu unterdrücken, | |
die rebellieren wollen. | |
Sind Sie Opfer einer politischen Justiz geworden? | |
Ja und nein. Alle Gerichtsprozesse sind politisch, auch die gegen „normale | |
Kriminelle“. Justiz ist eine Waffe derer, die an der Macht sind, um die | |
Abtrünnigen zu bestrafen, die Marginalisierten und Ärmsten zu unterdrücken. | |
Ich glaube nicht an eine unabhängige Justiz. | |
Die Staatsanwaltschaft rechnet mit einer Jugendstrafe auf Bewährung. | |
Wenn ich am Ende verurteilt werde, muss man sagen, dass das Recht zu | |
demonstrieren in Deutschland mit Füßen getreten wird. | |
Der Prozess ist jetzt geplatzt, wie geht es weiter? | |
Es wird es wahrscheinlich einen neuen Prozess geben, alles noch mal von | |
null, mit einer anderen Richterin. Wir hören alle Zeugen noch mal, sehen | |
alle Videos noch mal. | |
Was machen Sie jetzt? | |
Ich fahre nach Italien und bleibe da erstmal. Ich werde bei meinem Vater in | |
Feltre wohnen. | |
Wie haben Sie die Zeit im Gefängnis empfunden? | |
Sie hat mich sicher verändert. Eine normale Person, die in den Knast kommt, | |
ist nicht die gleiche, wenn sie rauskommt. Im Gefängnis zu sein ist | |
schrecklich. Man kann von außen nicht verstehen, was es heißt, drinnen zu | |
sein. Ich hatte das Glück, dass ich im Verhältnis zu anderen nur so kurz da | |
war. Mein Glück war außerdem, dass ich enorme Solidarität von außen | |
erfahren habe. | |
Was haben Sie erlebt? | |
Ich habe sehr viele Leute kennengelernt. Normale Kriminelle und solche, die | |
einfach am falschen Ort der Welt geboren und von dort geflohen sind, | |
andere, die im Supermarkt geklaut haben, weil sie Hunger hatten. Die | |
meisten hatten keine Möglichkeit, zu studieren, sich zu verwirklichen, | |
hatten viele Probleme und niemand hat ihnen geholfen, am wenigsten der | |
Staat. Was sie erzählt haben, war oft absurd und sehr traurig. | |
Welche Gedanken haben Ihnen Hoffnung gemacht? | |
Meine Haft war gewissermaßen eine Fortsetzung des Kampfes gegen den | |
G20-Gipfel. Ein politischer Gefangener zu sein ist leichter, als ein | |
„normaler“ Gefangener zu sein. Ein politischer Gefangener hat immer seine | |
Ideale und Ideen, die ihm helfen, das macht es einfacher. Man denkt immer | |
daran, dass man einen Kampf kämpft gegen die, die wollen, dass du drinnen | |
bist. | |
Und was ist Ihre Utopie? | |
Es kommt mir banal vor, aber wenn ich müsste, würde ich sagen: Eine Welt | |
ohne Hunger, ohne Armut, ohne Überwachung und Grenzen, ohne Menschen die | |
ertrinken, während sie versuchen, ein besseres Leben zu erreichen, oder die | |
im Gefängnis sitzen, weil sie Kekse im Supermarkt geklaut haben. Oder die | |
nicht wissen, wie sie Geld nach Hause bringen sollen, um die Kinder in die | |
Schule schicken zu können. Es ist natürlich leicht, sich irgendwas | |
vorzustellen, aber schwer, das zu erreichen. Ich kann sagen, dass wir | |
weiterkämpfen müssen, dass man sich immer vor Augen halten muss, was wir | |
erreichen wollen. | |
Was war das Schlimmste drinnen? | |
Der Schmerz meiner Familie. | |
Wird sich die Erfahrung auf Ihr politisches Handeln auswirken – werden Sie | |
vorsichtiger sein? | |
Die Erfahrung, die ich gemacht habe, hat mich in Entscheidungen bestärkt, | |
die ich schon vorher getroffen hatte. Die Welt, in der wir leben, ist sehr | |
ungerecht. Wir Linke kennen manchmal nicht die Lebensrealitäten derer, die | |
wirklich marginalisiert sind. Im Gefängnis habe ich die kennengelernt, die | |
von der kapitalistischen Gesellschaft vergessen werden. Das hat mir vor | |
Augen geführt, dass es eine Pflicht für uns alle ist, weiter dagegen auf | |
die Straße zu gehen. | |
Sie leben seit Ihrer Festnahme gezwungenermaßen in Hamburg. Wie ergeht es | |
Ihnen hier? | |
Hamburg ist eine wunderbare Stadt, die mich gut aufgenommen hat. Ich habe | |
tolle Menschen getroffen, besondere Menschen, unglaubliche Menschen, die | |
mir und meiner Mutter geholfen haben, wo immer es ging. Es ist immer | |
interessant, sich mit Menschen in anderen Ländern auszutauschen und | |
festzustellen, dass die Probleme oft die gleichen sind. | |
Und Ihr Leben in Italien? | |
Ich habe in Belluno gelebt, einem kleinen Ort in den Bergen. Vor Kurzem | |
habe ich die Schule abgebrochen und in einer Fabrik gearbeitet. Als | |
Aktivist habe ich mich an antifaschistischen Initiativen beteiligt und mich | |
für die Umwelt eingesetzt. In der Nähe von Belluno sind viele Unternehmen, | |
die ein Wasserkraftwerk bauen wollen. Das würde das Ökosystem zerstören, | |
der wunderschöne Ort, an dem ich lebe, würde großen Schaden nehmen. Es gibt | |
dort schon sehr viele Wasserkraftwerke. Das Unternehmen will das neue Werk | |
nicht bauen, weil es nützlich ist, sondern weil es Geld vom Staat kriegen | |
würde. Da ist auch viel Korruption bei. | |
Am 4. März ist die Parlamentswahl in Italien. Was erwarten Sie? | |
Es ist etwas surreal. Viele rechte Parteien, rassistische, faschistische, | |
hoffen auf Mehrheiten. Das ist sehr besorgniserregend. Und die politische | |
Gewalt eskaliert. Linke und Migranten werden von rechten Gruppen geschlagen | |
oder bedroht, es ist sehr gefährlich geworden. | |
Haben Sie auch die Entwicklung hier verfolgt? Während Sie im Gefängnis | |
saßen, hat Deutschland ja versucht, eine Regierung zu bilden. | |
Ja, ich hatte einen Fernseher in meiner Zelle. So habe ich auch etwas | |
Deutsch gelernt. Ich habe natürlich nicht alles verstanden und kann keinen | |
Vergleich zu Italien ziehen. Aber ich sehe, dass die Rechten in ganz Europa | |
erstarken, und das ist sehr gefährlich. | |
Warum sind Sie nach Hamburg gekommen? | |
Es war das, was ich in diesem Moment tun musste. Ich dachte, man muss an | |
diesem Tag auf die Straße gehen und darauf antworten, dass große | |
Ungerechtigkeiten passieren, anstatt zu arbeiten und das zu machen, was wir | |
so alles Dummes und Belangloses machen. Es darf nicht sein, dass die | |
Vertreter von 20 Staaten über sieben Milliarden Menschen entscheiden. Die | |
Bevölkerung muss rausgehen und gehört werden. Also hab ich mich bei der | |
Arbeit abgemeldet und bin nach Hamburg gefahren. | |
Was bringt linke Militanz? | |
Ich will nicht zwischen guten und schlechten Demonstranten unterscheiden. | |
Die Kriminellen sind die, die an der Macht sind. Es sind die Politiker, die | |
unsere Rechte zerstören. Trump, der die rassistische Politik vorantreibt, | |
Erdoğan, der praktisch ein faschistischer Diktator ist – das sind die | |
wahren Bösen. | |
Als Ihre Anwält*innen versuchten, Sie aus der Untersuchungshaft | |
herauszubekommen, lehnte das Gericht ab. Die Begründung lautete, [2][Sie | |
hätten „erzieherische Mängel“]. | |
Das ist sehr interessant, denn sie machen einen damit zu einem Kriminellen. | |
Als ob ich eine kriminelle DNA hätte. Dabei wissen sie nichts über mich, | |
die Richter hatten mich zu dem Zeitpunkt noch nicht ein Mal gesehen. Es war | |
nur ein Weg, mich im Gefängnis zu behalten, ohne jegliches Fundament. Sie | |
würden es gegen jeden verwenden, den sie im Gefängnis behalten wollen. | |
Wenn Sie gewusst hätten, was passiert, wären Sie trotzdem gekommen? | |
Ja, wäre ich. Es macht keinen Sinn, zu denken „Ich wünschte, es wäre alles | |
anders gelaufen“, wenn man im Knast sitzt. Manchmal, wenn du nichts dran | |
ändern kannst, ist es besser, die Sachen zu akzeptieren. Wenn du im Knast | |
sitzt, bleibt dir ja nichts anderes übrig. Dann bleibt dir nur, den Kampf | |
weiterzuführen. So habe ich diese sehr merkwürdige und vergessene | |
Gefängniswelt kennengelernt, für die sich niemand interessiert. Und ich | |
würde jederzeit wieder gegen den G20-Gipfel demonstrieren. | |
26 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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