# taz.de -- Prozess gegen G20-Gegner Fabio V.: Klare Fronten | |
> Im Verfahren gegen den G20-Gegner Fabio V. werden Teilnehmer*innen der | |
> Demo gehört. Die schildern Gewaltexzesse – von Seiten der Polizei. | |
Bild: Der Prozess gegen Fabio V. findet in angespannter Atmosphäre statt | |
HAMBURG taz | Die Zuschauerbänke im Sitzungssaal 245 des Amtsgerichts | |
Altona sind voll besetzt, so voll, dass der Reporter von der Bild-Zeitung | |
keinen Platz mehr bekommt. Aber den will man ohnehin hier nicht haben, | |
zumindest nicht eine stämmige Frau aus der mittleren Bankreihe: „Raus | |
hier“, ruft sie. | |
Die Stimmung zwischen der Verteidigung von Fabio V. und der Staatsanwältin | |
ist nicht viel besser und man muss auch nicht wirklich zwischen den Zeilen | |
lesen, um den Eindruck zu gewinnen, dass die Verteidigung die Richterin des | |
Schöffengerichts nicht für vollständig unbefangen hält. | |
Für die Menschen auf den Bänken, so viel ist klar, ist der Prozess von | |
Fabio V., den 19-jährigen Italiener, der monatelang in Untersuchungshaft | |
saß, und dem schwerer Landfriedensbruch bei den G20-Protesten vorgeworfen | |
wird, zum Symbol geworden: für eine Justiz, die im Dienste der Politik | |
Opfer und Täter vertauscht. Und zusätzliche Brisanz bekommt der Fall, weil | |
Fabio V. der erste Teilnehmer der Rondenbarg-Demo ist, gegen den verhandelt | |
wird. Der Ausgang dieses Prozesses wird möglicherweise auch Auswirkungen | |
haben für die 74 weiteren Demo-TeilnehmerInnen, gegen die noch ermittelt | |
wird. | |
Wie so oft ist auch im Amtsgericht Altona die Wahrheitsfindung kleinteilig. | |
Die Frage etwa, wann der Fahrplanhalter in einer Bushaltestelle an der | |
Demo-Route entglast wurde, bleibt auch nach einem Telefonat der Richterin | |
mit der zuständigen Firma unbeantwortet. Und die Vernehmung eines | |
Mitarbeiters der Stadtreinigung zeigt wieder einmal die Unwägbarkeiten der | |
Erinnerung. | |
Der Mann begann am frühen Morgen des 7. Juli seinen Dienst in der | |
Schnackenburgallee, nahm dort eine Gruppe von 80 bis 150 Leuten wahr, die | |
erst einmal friedlich die Straße entlanggingen. Plötzlich hätten sie | |
angefangen, Gegenstände auf die Straße zu werfen, so sagt der Zeuge, so | |
viele, dass sie nicht mehr befahrbar gewesen sei. Hinter ihm sei kein | |
Fahrzeug gekommen. | |
Er habe gefilmt – „ein freiwilliger Spitzel“, sagt jemand aus dem Publikum | |
leise – bis es ihm „zu heiß“ geworden sei. „Was, wenn sie sich umdrehe… | |
während ich filme“, sagt der Mann. Also habe er aufgehört zu filmen, als | |
die Demonstranten angefangen hätten zu randalieren. Dann lässt die | |
Verteidigung ein Video der Polizei vorspielen, der Kehrwagen ist darauf gut | |
zu erkennen – und hinter ihm eine Reihe anderer Fahrzeuge, darunter ein | |
großer Lastwagen. | |
Nach dem Fahrer der Stadtreinigung werden zwei Zeugen der Verteidigung | |
befragt. Gegen die 23-jährige Julia K. und den 31-jährigen Simon E. wird | |
wegen der Teilnahme an der Rondenbarg-Demonstration ermittelt. Julia K. hat | |
deswegen einen rechtlichen Beistand mitgebracht, einen Anwalt, der sie | |
möglicherweise auch im Verfahren gegen sie vor Gericht vertreten wird. Und | |
das ist einer der Momente, in denen die Anspannung dieses Verfahrens | |
deutlich wird: Die Staatsanwältin hält einen solchen Beistand nicht für | |
notwendig, schließlich habe Julia K. bereits Interviews gegeben, in denen | |
sie das Geschehen rechtlich eingeordnet habe, und während der Demo Fürsorge | |
für eine Jugendliche übernommen. | |
## Das Gericht zieht sich zur Prüfung zurück | |
Das Gericht zieht sich zur Prüfung zurück – worauf die ZuhörerInnen mit | |
Unmut reagieren. Der Antrag auf Zeugenbeistand wird abgelehnt, da ein | |
solcher Beistand nur für außergewöhnliche Lagen vorgesehen sei. | |
Sicher ist, dass die Verteidigung mit Julia K. und Simon E. zwei Zeugen | |
gefunden hat, die die geringstmögliche Ähnlichkeit mit jenen Hooligans | |
haben, die das Hanseatische Oberlandesgericht in der Vergangenheit | |
herangezogen hat, um die lange Untersuchungshaft zu rechtfertigen. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr entschieden, dass sich | |
jeder, der „ostentativ“ in einer gewaltbereiten Gruppe mitmarschiere, | |
strafbar mache. Nun haben die Richter diese Entscheidung aber ausdrücklich | |
von politischen Demonstrationen abgegrenzt, bei denen aus einer Ansammlung | |
heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, aber nicht alle Personen Gewalt | |
anwenden oder dies unterstützen wollen. | |
## Die beiden Zeugen arbeiten bei der Ver.di-Jugend | |
Julia K. und Simon E. arbeiten bei der Ver.di-Jugend Nordrhein-Westfalen, | |
sie waren in der Vergangenheit bei zahlreichen politischen Demos gegen G20 | |
oder Nazi-Aufmärsche. K. sagt, dass sie bei der Rondenbarg-Demo das einzige | |
Megafon hatte und darüber bei dem einzigen Gewaltausbruch während der Demo | |
– nämlich dem Einschlagen auf die Bushaltestelle – dazu aufgerufen habe, | |
keine Gewalt gegen Sachen oder Polizisten auszuüben. Und auf die Frage nach | |
Vermummten sagt Simon E., dass es Prinzip der Ver.di-Jugend sei, bei Demos | |
Gesicht zu zeigen. | |
Es ist nicht so, dass nicht auch nach dieser Befragung Fragen offen | |
blieben. K. will mitbekommen haben, dass Graffiti gemacht wurden, E. ist | |
nichts dergleichen aufgefallen. Beide wollen nichts über die Route der Demo | |
gewusst haben, man sei den Vorderen gefolgt, das sei nichts Ungewöhnliches | |
bei Blockade-Demos. | |
In einem anderen Punkt sind beide sehr klar: Gewalt habe es gegeben – von | |
den Polizeikräften beim Stoppen der Demo und das gegen DemonstrantInnen, | |
die nichts anderes taten, als anwesend zu sein. Simon E. sagt, er habe | |
gesehen, wie einer Frau in seiner Nähe kurz hintereinander zweimal ins | |
Gesicht geschlagen worden sei. Es sei „keine ungewöhnliche Erfahrung“, | |
meint Julia K., das geschehe bei Blockaden häufiger. | |
2 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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