# taz.de -- Landfriedensbruch beim G20-Gipfel: Ohne einen Steinwurf | |
> Die Hamburger Justiz verfolgt alle Teilnehmer einer Anti-G20-Demo wegen | |
> schweren Landfriedensbruchs – auch wenn sie gewaltfrei blieben. | |
Bild: Ist Rumlaufen schon ein Verbrechen? | |
FREIBURG taz | Gegen Dutzende von G20-Gegnern wird derzeit wegen schweren | |
Landfriedensbruchs ermittelt – obwohl ihnen keinerlei Gewalttaten | |
nachzuweisen sind. Juristisch ist dies durchaus möglich. Dennoch kann das | |
Vorgehen der Hamburger Justiz nicht überzeugen. | |
Alle Betroffenen wurden am 7. Juli (am ersten Tag des G20-Gipfels) als | |
Teilnehmer einer unangemeldeten Demonstration verhaftet. Ein Zug von 150 | |
bis 200 Linksradikalen verließ frühmorgens das Protestcamp in Altona, | |
vorneweg ein Transparent „Gegenmacht aufbauen – Kapitalismus zerschlagen“. | |
Auf dem Weg in die Innenstadt wurden aus der Demo heraus verschiedene | |
Sachbeschädigungen begangen: Farbschmierereien, die Zerstörung von | |
Gehwegplatten und einer Bushaltestelle. | |
Auf der Straße Rondenbarg versuchte die Polizei die Marschierer | |
aufzuhalten. Da flogen nach Zählung der Polizei 14 Steine und vier | |
Feuerwerkskörper in ihre Richtung. Sofort ging die Polizei zum Gegenangriff | |
über, die Linksradikalen flüchteten, viele verletzten sich dabei. | |
Als Einziger steht bisher der 18-jährige italienische Staatsbürger | |
[1][Fabio V. vor Gericht]. Der Prozess begann schon im Oktober. Wegen | |
Fluchtgefahr saß er vier Monate in Untersuchungshaft. Erst am 27. November | |
wurde er auf Kaution freigelassen. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg | |
bestätigte zweimal, dass gegen Fabio V. „dringender Tatverdacht“ bestehe, | |
vor allem wegen schweren Landfriedensbruchs. Nächster Verhandlungstag ist | |
der 3. Januar. | |
## Fabio V. ist kein Einzelfall | |
Gegen weitere 74 Personen laufen derzeit parallele Ermittlungsverfahren. | |
Auch sie waren am Rondenbarg mit dabei, auch ihnen wird schwerer | |
Landfriedensbruch vorgeworfen, auch ihnen können keine konkreten | |
Gewalttaten nachgewiesen werden. In bundesweit 22 Fällen wurden am 5. | |
Dezember [2][Wohnungen durchsucht]. Spätestens jetzt wurde überregional | |
bekannt, dass Fabio V. kein Einzelfall ist. | |
Der „Landfriedensbruch“ ist ein altes Delikt. Schon als das Strafgesetzbuch | |
1872 in Kraft trat, war er als Paragraf 125 enthalten. Damals wurde jeder | |
bestraft, der an einer „Zusammenrottung“ teilnimmt, „die mit geeinten | |
Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht“. | |
Daneben gab es noch den Schwesterparagrafen 116. Wegen „Auflaufs“ konnte | |
jeder bestraft werden, der sich nach der dritten Aufforderung eines | |
Polizisten nicht aus einer Menschenmenge entfernt. Beide Paragrafen blieben | |
bis 1969 unverändert in Kraft. | |
Unter der sozialliberalen Koalition und dem SPD-Kanzler Willy Brandt wurde | |
das Strafrecht stark entrümpelt. 1970 wurde der „Auflauf“ als Straftat | |
gestrichen und als „unerlaubte Ansammlung“ zur Ordnungswidrigkeit | |
herabgestuft. Wer sich nach der dritten Aufforderung nicht entfernt, muss | |
maximal 1.000 Euro Geldbuße zahlen. | |
## Bis heute hat die Union nicht aufgegeben | |
Der „Landfriedensbruch“ blieb zwar als Straftat bestehen, wurde aber ganz | |
neu konzipiert. Die bloße Anwesenheit in einer unfriedlichen Versammlung | |
ist seitdem nicht mehr strafbar. | |
Heute ist erforderlich, dass sich jemand als Täter oder Teilnehmer an | |
„Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen“ beteiligt und diese aus | |
einer Menschenmenge heraus begangen wurden. Es drohen Geldstrafe oder | |
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Diese sozialliberale Neuregelung gilt | |
bis heute. | |
Die CDU/CSU war allerdings damals dagegen und ist es immer noch. Dreimal – | |
1974, 1977 und 1983 – lancierte die Union Initiativen im Bundestag, um zur | |
alten Konzeption zurückzukehren. Schon die Teilnahme an einer gewalttätigen | |
Versammlung sollte wieder strafbar sein. Ohne Erfolg. | |
Bis heute hat die Union nicht aufgegeben. Kurz vor der Bundestagswahl 2017 | |
veröffentlichten die Innen- und Justizminister der CDU/CSU ein gemeinsames | |
Forderungspapier. Danach sollen sich wegen Landfriedensbruch auch | |
diejenigen strafbar machen, „die sich bewusst einer gewalttätigen Menge | |
anschließen und die Angreifer unterstützen, indem sie ihnen Schutz in der | |
Menge bieten“. | |
## Psychische Beihilfe genügt | |
Und Anfang Dezember kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) | |
an, er wolle prüfen, ob man die Beweisanforderungen beim Landfriedensbruch | |
senken könne, um mehr Verurteilungen zu ermöglichen. Anlass seien die | |
„Ereignisse rund um den G20-Gipfel“ gewesen. | |
Aber auch ohne Verschärfung des Gesetzes können Personen wegen | |
Landfriedensbruch bestraft werden, die keine Steine geworfen haben. Denn | |
strafbar macht sich jeder, der sich als „Täter oder Teilnehmer“ an | |
Gewalttätigkeiten aus der Menge beteiligt. Als „Teilnehmer“ gilt in der | |
Rechtssprache auch, wer Beihilfe leistet. Direkt einleuchtend ist das, wenn | |
jemand Pflastersteine ausbuddelt, damit ein anderer sie werfen kann. Aber | |
als Beihilfe gilt auch, die Steinewerfer körperlich so abzuschirmen, dass | |
sie nicht erkannt und verhaftet werden können. | |
Es genügt sogar „psychische Beihilfe“, die die Steinewerfer bei ihrem Tun | |
bestärkt. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte aber mehrfach klar, dass die | |
bloße Anwesenheit in einer gewalttätigen Menge nicht ausreicht. Denn sonst | |
würde die Entscheidung des Gesetzgebers von 1970 unterlaufen. Es muss also | |
auch bei der „psychischen Beihilfe“ immer eine konkrete Beihilfehandlung | |
nachgewiesen werden, etwa dass „tatmotivierende Parolen“ skandiert wurden. | |
Im Mai 2017 hat der BGH im Fall einer Schlägerei von Fußball-Hooligans sich | |
näher zur psychischen Beihilfe geäußert. Als Landfriedensbruch könne auch | |
das „ostentative“ (also das betont auffällige) Mitmarschieren zum | |
verabredeten Ort der Prügelei bestraft werden. Eine Gruppe von 60 bis 100 | |
Mann marschierte damals in Dreierreihen zum verabredeten Ort der Prügelei | |
in Köln. Der Aufzug in „geschlossener Marschformation“ sei geeignet | |
gewesen, die Gegner einzuschüchtern und die Solidarität in der eigenen | |
Gruppe zu stärken. | |
## Bestrafung bloßer Anwesenheit | |
Der BGH erklärte damals ausdrücklich, dass sich solche verabredeten | |
Hooligan-Schlachten von Fällen des Demonstrationsstrafrechts unterscheiden, | |
bei denen aus einer Versammlung „Gewalttätigkeiten begangen werden, aber | |
nicht alle Personen Gewalt anwenden oder dies unterstützen wollen“. Es ist | |
nicht eindeutig, ob der BGH damit alle oder nur bestimmte Demonstrationen | |
anders behandeln wollte. | |
Das OLG Hamburg wandte dieses BGH-Urteil jedenfalls auf die Rondenbarg-Demo | |
an. Es begründete damit, warum gegen Fabio V. „dringender Tatverdacht“ des | |
Landfriedensbruchs besteht, obwohl ihm persönlich keine Gewalttätigkeit | |
vorgeworfen wird. Allerdings bleibt völlig offen, mit welcher konkreten | |
Handlung Fabio V. die Steinewerfer bestärkt haben soll. Letztlich wird ihm | |
doch nur vorgeworfen, dass er am Rondenbarg anwesend war. Und das genügt ja | |
laut BGH gerade nicht für eine Strafbarkeit. | |
Die Hamburger Staatsanwaltschaft geht allerdings noch weiter. Sie wirft | |
Fabio V. und den anderen Beschuldigten nicht nur psychische Beihilfe, | |
sondern sogar „Mittäterschaft“ des Landfriedensbruchs vor. Die ganze Demo | |
habe den „gemeinsamen Tatplan“ verfolgt, bei einem Zusammentreffen mit der | |
Polizei diese sofort „massiv“ anzugreifen. Aber auch hier ist unklar, | |
welchen Tatbeitrag Fabio V. hierbei leisten sollte. Letztlich läuft auch | |
diese Konstruktion auf eine Bestrafung seiner bloßen Anwesenheit hinaus. | |
Wenn der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung ernst nimmt, | |
dürfte die Hamburger Justiz mit ihren bisher recht dünnen Vorwürfen nicht | |
durchkommen. | |
3 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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