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# taz.de -- Aktivist über Straßenumbenennung: „Ein brutaler Militär“
> Pastor i. R. Ulrich Hentschel setzt sich dafür ein, die Walderseestraße
> in Othmarschen umzubenennen. Ein Kriegsverbrecher verdiene diese Ehrung
> nicht.
Bild: Repräsentant der Kolonialmacht: Waldersee in China
taz: Herr Hentschel, wer war der Mann, nach dem die Walderseestraße in
Othmarschen benannt ist?
Ulrich Hentschel: Waldersee war ein äußerst beliebter Militär und Politiker
des Kaiserreichs, der eine Zeit lang in Hamburg gelebt hat und hier hoch
verehrt wurde. Noch heute ist er Hamburger Ehrenbürger.
Wieso ist sein Name jetzt nicht mehr gut genug?
Der Name war nie gut. Aber was heute viele nicht wissen und ich selbst bis
vor zwei Jahren auch nicht wusste: dass Waldersee ein äußerst brutaler
Militär und ein rechtsnationaler Politiker war, der dazu beigetragen hat,
dass Otto von Bismarck als Reichskanzler abgesetzt wurde. Er stand weit
rechts von Bismarck und verfolgte einen aggressiven deutschnationalen Kurs.
Was hat ihm den Straßennamen eingetragen?
In seiner letzten aktiven Phase wurde er im Jahr 1900 als Kommandeur von
20.000 deutschen Soldaten nach China entsandt, um dort den sogenannten
Boxeraufstand niederzuschlagen. Als die deutschen Soldaten dort ankamen,
war der Aufstand allerdings schon beendet. Trotzdem hat Waldersee äußerst
grausame Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichten lassen.
Das war eine Racheaktion für die Ermordung von Europäern durch die
Aufständischen.
Nein, und das wäre auch keine Legitimation. Waldersee selbst hat nicht von
Rache gesprochen, sondern von der Durchsetzung von Herrschaft, die den
Chinesen ein für allemal klar gemacht werden müsse. Er wurde dafür aber
auch in Deutschland heftig kritisiert, insbesondere von der
Sozialdemokratie unter Führung von August Bebel. Sogar Karl May hat den
deutschen Militäreinsatz in China kritisiert.
Gab es auch in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Debatte darüber?
Das weiß ich nicht. Von Waldersees Kriegsverbrechen war jedenfalls in der
Zeitung zu lesen. Die militärischen Konventionen spielten für ihn überhaupt
keine Rolle. Angesichts dessen eine Straße nach ihm zu benennen, war damals
schon ein Skandal.
Kommt die Umbenennung nicht ein bisschen spät?
Dass die Nazis Waldersee verehrt haben, ist klar. Aber man hätte die Straße
nach 1945 umbenennen müssen. Doch über Jahrzehnte hat sich keiner dafür
interessiert. Es gibt vermutlich sehr viele Menschen, die an der
Walderseestraße wohnen und gar nicht wissen, wer Waldersee gewesen ist. Ich
mache das niemandem zum Vorwurf. Wir machen die Veranstaltung auch, um
aufzuklären. Ich gehe davon aus, dass dann auch keiner mehr an einer Straße
mit diesem Namen leben möchte.
Dass die Umbenennung jetzt zum Thema geworden ist, hängt das möglicherweise
auch damit zusammen, dass das eine alte Geschichte ist, die niemandem mehr
weh tut.
Natürlich macht es der zeitliche Abstand leichter. Doch es tut manchen noch
weh. Denn es gibt in diesem Land wieder Bestrebungen, die Geschichte zu
beschönigen und von den tapferen Soldaten zu sprechen. So eine Umbenennung
löst Debatten aus. Das wollen wir auch. Die gehen selten ohne Konflikte ab.
Das ist aber kein Grund, das, was man bisher versäumt hat, jetzt weiterhin
zu versäumen. Jetzt ist es an der Zeit, auch im Zusammenhang eines neu
erwachten Interesses an der Kolonialgeschichte Hamburgs, das aufzugreifen.
Haben Sie überlegt, das Straßenschild einfach zu kommentieren, statt es
umzubenennen?
Man muss natürlich kommentieren. Unser Ziel ist es nicht, mit der
Umbenennung den alten Straßennamen einfach verschwinden zu lassen. Das wäre
Auslöschung von Geschichte. Es muss so etwas wie eine Stele oder erklärende
Tafel da hin. Die muss etwas sagen über Waldersee und auch über den
Menschen, nach dem die Straße neu benannt wird. So geschieht Aufklärung.
Aber nur zu kommentieren und den alten Namen zu belassen – das geht nicht.
Man müsste dann ja hinschreiben: „Kriegsverbrecher-Waldersee-Straße“. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass jemand dort wohnen wollen würde.
Aber es geht ja nicht nur um die Anwohner.
Straßennamen sind immer die Würdigung einer Person und werden nicht von den
Anwohnern ausgesucht. Das ist eine zentrale politische Aufgabe. Der Bezirk
wird sich hoffentlich bald dazu bekennen, dass in Altona eine Straße nicht
nach einem Kriegsverbrecher benannt sein kann.
Von wem ging die Initiative zur Umbenennung aus?
Wir sind eine kleine Gruppe von sechs Menschen aus verschiedensten
Professionen – Journalist, Historikerin, Pastor. Am intensivsten arbeitet
die Künstlerin Hannimari Jokinen daran. Wir anderen haben uns jetzt
hinzugesellt, um endlich etwas zu bewirken. Wenn man so will, sind wir eine
zivilgesellschaftliche Initiative. Wir wollen erreichen, dass die
Bezirksversammlung die Umbenennung beschließt. Ebenso wichtig ist der
öffentliche Diskurs mit Altonaer BürgerInnen und Menschen, deren Vorfahren
direkt von der deutschen Kolonialpolitik in China betroffen waren.
Erfreulich wäre, wenn auch die Schulen und Vereine in Othmarschen sich mit
dem Thema auseinandersetzen.
13 Apr 2018
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
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Deutscher Kolonialismus
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