Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- AfD-Fraktion im Bundestag: Ex-Kader der HDJ arbeitet für Gauland
> Die Bundestagsfraktion der AfD führt einen Mitarbeiter mit rechtsextremer
> Vergangenheit. Der Fraktionschef schweigt dazu.
Bild: Rechte Netzwerke: Fraktionschef Alexander Gauland mit Alice Weidel im Bun…
Berlin taz | Am Türschild von Alexander Gaulands Abgeordnetenbüro steht der
Name nicht. Über einen Mitarbeiter mit rechtsextremer Vergangenheit bei der
„Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) wollte der AfD-Vorsitzende zunächst
auch nicht sprechen. Nachfragen der taz an die Fraktionspressestelle
bleiben unbeantwortet.
Gegenüber der F.A.Z. bestätigte Gauland nun aber, dass sein Mitarbeiter bei
der HDJ aktiv war. Gauland habe nicht gewusst, dass dieser als Jugendlicher
zur HDJ gehört habe: „Ich frage meine Mitarbeiter nicht, was sie im
jugendlichen Alter gemacht haben“.
Es geht um den früheren HDJ-Funktionär Felix Nothdurft, der inzwischen den
Namen seiner Ehefrau angenommen hat. Wie zunächst der Tagesspiegel
[1][berichtete], taucht sein Name auf einer aktuellen AfD-Mitarbeiterliste
des Bundestags auf. „Gauland muss sich fragen, ob seine Partei die neue
Heimstätte dieser glasklaren Neonazis ist“, sagt dazu Martina Renner,
innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion.
Der ehemalige HDJ-Kader Nothdurft entstammt einer Familie, die engste
Bezüge zu den Heimattreuen besaß. Die Homepage der verfassungsfeindlichen
Organisation lief auf den Vater in Dessau, Bruder und Schwägerin führten
die Erziehertruppe mit an.
In internen Unterlagen der HDJ, die der taz vorliegen, wird im April 2003
über eine neue Abteilung berichtet, die in Zukunft vom „Kamerad Felix
Nothdurft (FelixN) geleitet“ werde. Das Ziel der neuen Abteilung und des
neuen Leiters sei es, die „Koordinierung des Technischen Dienstes auf
Lagern“ zu verbessern. Die Zeltlager der HDJ waren bis zum Verbot durch das
Innenministerium 2009 von besonderer Bedeutung für das extrem rechte
Netzwerk.
Seit der Gründung der HDJ 1990 bemühten sich verstärkt NPD-nahe Kader,
Kinder und Jugendliche mit einer völkisch-nationalistischen Weltanschauung
geistig zu schulen und körperlich zu stählen. Sie sollten zur rechten Elite
von morgen werden. In der Verbotsbegründung hob das Innenministerium
hervor, dass die HDJ eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus
aufweise.
In der AfD sind einige Personen mit HDJ-Vergangenheit aktiv. Erst am 7.
März [2][hatte die taz berichtet], dass der brandenburgische Landeschef
Andreas Kalbitz im Jahr 2007 an einem konspirativen HDJ-Lager teilgenommen
hatte. In dem Jahr beobachtete der Verfassungsschutz Brandenburg die
Organisation bereits. Kalbitz wiegelt die Teilnahme als „Stippvisite“ ab.
Auch in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg tauchen zwei HDJ-Funktionäre
als Mitarbeiter der AfD in den Parlamenten auf.
Der ehemalige Heimattreue Felix Nothdurft arbeitet nicht zum ersten Mal in
der Nähe von Gauland und Kalbitz. Bevor er im Bundestag tätig wurde,
fungierte er ab 2013 als verkehrspolitischer Referent der Rechtspartei im
brandenburgischen Landtag. In einer Bewerbung aus dieser Zeit ist laut dem
Tagesspiegel von seiner politischen Vergangenheit keine Rede.
***
Anmerkung:
Der in dem Artikel genannte Felix Nothdurft hat die Veröffentlichung mit
Hilfe einer Kölner Kanzlei nach dessen Veröffentlichung untersagen lassen.
Das LG Düsseldorf hat zunächt per einstweiliger Verfügung, sodann auch mit
einem „Hauptsacheurteil“ die Veröffentlichung verboten und die taz
gezwungen, den Artikel unsichtbar zu machen. Das OLG Düsseldorf hat dieses
Urteil aufgehoben und der taz das Recht eingeräumt, den Namen zu nennen.
Die Bedeutung der Entscheidung geht weit über diesen Einzelfall hinaus:
Seit Jahren versuchen Mitarbeiter und Mitglieder der AfD durch
Drohschreiben und einstweilige Verfügungen die Berichterstattung über die
Verbindung von Mitarbeitern mit rechtsradikalen Organisationen zu
unterdrücken. Jener Felix Nothdurft ist nach Bekanntwerden seiner
Vergangenheit gegen zahlreiche Medien vorgegangen, die sich jeweils – ohne
Gerichte anzurufen – verpflichtet haben, auf die Abmahnung hin seinen Namen
zu löschen. Neben Nothdurft sind zahlreiche weitere Mitarbeiter von
AfD-Bundestagsabgeordneten, aber auch rechtsradikale Siedler, sowie
AfD-Funktionäre gegen Medien vorgegangen, die sie und ihr Treiben
öffentlich haben sichtbar werden lassen.
Die Entscheidung des OLG Dpüsseldorf arbeitet heraus, dass sich die
Öffentlichkeit auch für die individuellen Biografien von solchen Leuten
interessieren darf und dass auch deren früheres, selbst in der Jugend
feststellbares politisches Engagenement der am wenigsten geschützten
Sozialsphäre zugehört, und dass sich diese Leute nicht auf ein Recht auf
Vergessen unter Jugendschutzgesichtspunkten berufen können. Die
Entscheidung unterstreicht, dass die Presse nicht grundsätzlich auf eine
anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden darf, sondern das Recht
hat, individualisierende Elemente in einem Presseartikel aufzunehmen und
damit zu einer besonderen Authentizität des Berichtes beizutragen.
Jony Eisenberg
OLG Düsseldorf I – 16 U 161/18
18. 10. 2019
Die Berufung …. der Beklagten (ist) begründet ist.... hat der Kläger
gegenüber der Beklagten keinen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1,
1004 BGB i.V.m. Artt. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG. Die Beklagte hat mit den
streitgegenständlichen Äußerungen das gemäß Artt. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG
i,V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht
rechtswidrig verletzt, da dieses hinter der gemäß Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10
EMRK geschützten Meinungs- und Medienfreiheit der Beklagten bei der
gebotenen Abwägung zurücktritt, weil die streitgegenständlichen Äußerungen
ausschließlich die Sozialsphäre des Klägers betreffen (s. hierzu Nr. I.),
in deren Bereich Äußerungen, die, wie die streitgegenständlichen, auf
wahren Tatsachenbehauptungen beruhen (s. hierzu Nr. 2.) in der Regel
hingenommen werden müssen und nicht festgestellt werden kann, dass das
Interesse der Beklagten an der Verbreitung der Wahrheit außer Verhältnis
steht zu dem Persönlichkeitsschaden, den die streitgegenständlichen
Äußerungen anzurichten drohen (s. hierzu Nr. 3.)....
I) …. kann erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich
geschützten Belange, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie
die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) interpretationsleitend zu berücksichtigen
sind, bestimmt werden, ob der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
rechtswidrig gewesen ist (BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15, Rz.
30). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig,
wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der
anderen Seite überwiegt (BGH, Urteil vom 04.04.2017 – V! ZR 123/16, Rz.
23). Demnach ist das durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK
geschützte Interesse des Klägers an seiner sozialen Anerkennung mit der in
Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK verankerten Meinungs- und Medienfreiheit
der Beklagten abzuwägen..... Es ist anerkannt, dass Äußerungen im Rahmen
der Sozialsphäre nur in Fällen schwerwiegender Auswirkung auf das
Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden dürfen, so
etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine
Prangerwirkung zu besorgen ist (BGH, Urteil vom 27. September 2016, Az.: VI
ZR 250/13, Rz. 21). Die Sozialsphäre betrifft den Bereich, in dem sich die
persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht,
so insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums,
während die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer
Hinsicht den Bereich umfasst, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben,
soweit er ihnen gestattet wird (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI , ZR
261/10, Rz. 16). ln der beruflichen Sphäre des Betroffenen muss sich der
Einzelne von vornherein auf die Beobachtung seines Verhaltens durch eine
breitere Öffentlichkeit wegen der Wirkungen, die seine Tätigkeit hier für
andere hat, einstellen (BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 259/05, Rz. 14).
Im politischen Bereich reicht bereits die Übernahme einer Funktion in einer
politischen Gruppierung aus, um diese Tätigkeit der Sozialsphäre
zuzuordnen, selbst wenn der Betroffene dabei nicht öffentlichkeitswirksam
aufgetreten ist, weil jede Funktion in einer politische Gruppierung, die
darauf ausgerichtet ist, Anhänger für ihre Überzeugung zu gewinnen,
notwendigerweise auf Außenwirkung angelegt ist (Urteil vom 20.12.2011 – VI
ZR 261/10, Rz. 19). Gemessen daran betreffen die streitgegenständiichen
Äußerungen in dem Online-Artikel der Beklagten vom 19.03,2018
ausschließlich die Sozialsphäre des Klägers. … Der Online-Artikel wie auch
die darin befindlichen vier streitgegenständlichen Äußerungen thematisieren
hinsichtlich des mit seinem ursprünglichen Namen genannten Klägers
insbesondere, dass er jahrelang als Referent der AfO-Fraktion des Landtags
von Brandenburg tätig gewesen ist (I), bevor er Mitarbeiter im
Abgeordnetenbüro des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der AfD, Herrn
Gauland, geworden ist (2) und beides vor dem Hintergrund seiner ehemaligen
Mitgliedschaft und Rolle als Leiter einer Abteilung der seit dem Jahr 2009
verbotenen Organisation ,,Heimattreue Deutsche Jugend (im Folgenden: „HDJ“)
(3) gesehen werden müsse, in der sein Vater, Bruder und Schwägerin
Führungskräfte gewesen seien (4). Die Themen (I) und (2) betreffen auch
nach der Ansicht des Klägers seine Sozialsphäre, weil sie seinen
beruflichen Werdegang in den letzten Jahren nachzeichnen. Entgegen der
Ansicht des Klägers berühren auch die Themen (3) und (4), die seine
Stellung innerhalb der HDJ umreißen, nur seine Sozialsphäre.
Dabei ist … zu Grunde zu legen, dass der Kläger von 1999 bis 2004 Mitglied
der HDJ war und im Laufe des Jahre 2003 bis zu seinem Ausscheiden aus der
HDJ im Jahr 2004 die Leitung der neueingerichteten Abteilung für Ausrüstung
und Lagertechnik übernommen hat. … hat er schon nicht qualifiziert
bestritten, dass er nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten ab
April 2003 die Leitung derjenigen Abteilung übernommen hat, die den
technischen Dienst auf Lagern koordinieren sollte, weil eine solche
technische Koordination typischerweise gerade nicht mit repräsentativen
Tätigkeiten einhergeht. Abgesehen davon hat der Kläger keinen Beweis für
die Unrichtigkeit dieser Behauptung angetreten. Die Beklagte hat ihren
diesbezüglichen Vortrag in zweiter Instanz durch Vorlage des
organisationsinternen Berichts vom 01.04.2003 über die Einrichtung der
neuen, von dem Kläger geleiteten Abteilung sogar noch weiter untermauert,
ohne dass sich der Kläger hierzu qualifiziert erklärt hat. Ferner kann der
Kläger nicht damit gehört werden, dass er als Koordinator der technischen
Dienste nicht nach außen in Erscheinung getreten sei, da diese
organisationsinterne Funktion schon deshalb auf Außenwirkung angelegt
gewesen ist, weil die HDJ unstreitig darauf ausgerichtet gewesen ist,
Jugendliche für eine nationalsozialistische Weltanschauung zu gewinnen
(vgl. den vorgelegten Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom
09.03.2009, mit dem die HDJ verboten worden ist). Auch wenn der Kläger
diese Tätigkeit vornehmlich in die Zeit seiner Jugend ausgeübt hat, kann
sich der heute erwachsene Kläger nicht darauf · berufen, zu seinen Gunsten
sei der Schutz der Jugend in die erforderliche Abwägung der geschützten
Interessen einzustellen. Der Umstand, dass junge Leute eines besonderen
Schutzes bedürfen, kommt nur zum Tragen, wenn der Betroffene noch
jugendlicher ist, weil dann in Rechnung gestellt werden muss, dass er sich
zu einer eigenverantwortlichen Person erst noch entwickeln muss (BVerfG,
Beschluss vom 25.01.2012 – 1 BvR 2499/09, Rz. 40). 2). Auf Seiten der
Beklagten ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Presse zur
Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte
Berichterstattung verwiesen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 25.01 .2012
– 1 BVR 2499/09, Rz. 39; BGH, Urteil vom 18.12.2018 – VI ZR 439/17, Rz.
12). Die Aufnahme von individualisierenden Elementen in einem Presseartikel
stellt einen wichtigen Aspekt der Pressearbeit dar (EGMR, Urteil vom
28.06,2018 – 60798/1 O, zitiert nach juris). Danach muss der Einzelne
grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von
hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden und bei einer
Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn
rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (BGH,
Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, Rz. 20). Dementsprechend tritt auch
das Recht des Einzelnen auf Vergessenwerden hinter der Pressefreiheit
zurück, soweit ein öffentliches Interesse an den verbreiteten Informationen
besteht (EGMR, Urteil vom 28.06.2018 – 60798/10, zitiert nach juris). Bei
Tatsachenberichten „hängt diese Abwägung insbesondere vom Wahrheitsgehalt
ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden,
auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht“
(BGH, Urteil vom 18.12.2018, – VI ZR 439/17, Rz. 12). Die von dem Kläger
,angegriffenen Äußerungen in dem Online-Artikel der Beklagten vom
19.03.2018 enthalten keine unwahren Tatsachenbehauptungen. Der Kläger ist
unstreitig jahrelang Referent der Fraktion der AfD im Landtag des Landes
Brandenburg gewesen, bevor er Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Herrn
Gauland in dessen Abgeordnetenbüro als Vorsitzender der Bundestagsfraktion
der AfD geworden ist. Zudem ist der Kläger in der Zeit von 1999 bis 2004
Mitglied der im Jahr 2009 verbotenen HDJ gewesen, zu deren Führung sein
Vater, sein Bruder und seine Schwägerinzählten. Schließlich hat der Kläger,
wie bereits festgestellt worden ist, in dem Zeitraum von April 2003 bis zu
seinem Ausstieg im jahr 2004 für die HDJ eine Funktion als Leiter der
Abteilung übernommen, die für die Koordinierung der technischen Dienste auf
den Lagern zuständig gewesen ist.
Sollte man … das schlichte Bestreiten des Klägers seiner Stellung als
Leiter einer Abteilung innerhalb der HDJ in der Zeit von April 2003 bis zu
seinem Ausstieg im jahr 2004 als erheblich ansehen, änderte sich dadurch
nichts am Ergebnis. Steht der Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung
wegen der Äußerung eines bloßen Verdachts nicht fest, darf deren
Aufstellung oder Verbreitung dann nicht untersagt werden, wenn sie eine die
Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft und sich der
Äußernde gemäß Art, 5 GG und § 193 StGB auf die Wahrnehmung berechtigter
Interessen berufen kann (BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, Rz. 50).
So liegt der Fall hier. Es ist eine die Öffentlichkeit wesentlich
berührende Angelegenheit, wer als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des
Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag und des Vorsitzenden dieser
Partei, Herrn Gauland, als dessen ldeengeber und Redenschreiber wirkt sowie
aus welchem politischen Milieu diese Person stammt, da Herr Gauland mit den
genannten Funktionen derzeit zu den herausragenden Politikern des Landes
gehört. Die Beklagte kann sich auch auf die Wahrnehmung berechtigter
Interessen berufen. Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor
Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige
Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt worden sind, wobei sich die
Verpflichtung zur sorgfältigen Recherche nach den Aufklärungsmöglichkeiten
richtet und die Anforderungen daran für die Medien grundsätzlich strenger
als für Privatleute zu beurteilen sind (BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR
505/14, Rz. 38). Zu unterscheiden sind dabei vier verschiedene Kriterien
(BGH, a.a.O., Rz. 39): (I) Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand
an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen
und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. (2) Die Darstellung
darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht
durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck
erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits
überführt. (3) Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine
Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. (4) Schließlich muss es sich um
einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein
Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Ein
Mindestbestand an Beweistatsachen (I) liegt vor, da die Mitgliedschaft des
Klägers in der HDJ ebenso unstreitig ist wie, dass der Kläger in dem
organisationsinternen Forum der Heimatreuen Jugend im April 2003 als Leiter
der neuen Abteilung ,,HALT“ (für „Heimatreue Ausrüstung und Lagertechnik�…
angekündigt worden ist. Die Beklagte hat den Kläger auch nicht
vorverurteilt (2), da in dem strittigen Artikel nicht schlichtweg behauptet
wird, der Kläger sei bei der HDJ Abteilungsleiter gewesen, sondern die
Beklagte hat vielmehr insoweit nur auf die Nachricht aus dem
organisationsinternen Forum der HDJ Bezug genommen und daraus zitiert. Von
der Konfrontationspflicht (3) gibt es Ausnahmen. Sie entfällt dann, wenn
mit einem bloßen unsubstantiierten Dementi gerechnet werden muss. Das
Vorliegen einer solchen Ausnahmesituation kann daraus geschlussfolgert
werden, dass der Betroffene in dem nachfolgenden Prozess davon absieht, für
die Unwahrheit sprechende Indizien substantiiert darzulegen und stattdessen
den Verdacht schlicht dementiert Wie sich aus den obigen Ausführungen zu I)
ergibt, hat der Kläger es dabei bewenden lassen, seine ehemalige Funktion
als Abteilungsleiter der HDJ einfach zu bestreiten. Schließlich ist die
Mitteilung, dei Kläger sei bei der HDJ Abteilungsleiter gewesen, durch das
lnformatlonsinteresse der Allgemeinheit gerechtfertigt (4). ln dieser
Hinsicht kann auf die nachfolgenden Ausführungen zu Nr. 3. verwiesen
werden.
3) Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des
Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten
droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der
Wahrheit steht (BGH, Urteil vom 18.12.2018, – VI ZR 439/17, Rz. 12). Diese
Verhältnismäßigkeitsprüfung geht … zugunsten der Beklagten aus. Äußerun…
im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur in Fällen schwerwiegender Auswirkung
auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so
etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine
Prangerwirkung zu besorgen ist (BGH, Urteil vom 27. September 2016, Az.: VI
ZR 250/13, Rz. 21). Eine solche kommt in Betracht, wenn ein
beanstandungswürdiges Verhalten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt
gemacht wird und sich dies schwerwiegend auf Ansehen und
Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen auswirkt (BGH, Urteil vom
19.01.2016 – VI ZR 302/15, Rz. 39). Liegt das beanstandungswürdige
Verhalten langezurück, kann das ein Umstand sein, der eine Stigmatisierung
oder soziale Ausgrenzung weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (BGH,
Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, Rz. 22). Gemessen daran hat weder der
Kläger konkrete Nachteile beruflicher Art oder schwerwiegende Auswirkungen
auf sein Persönlichkeitsrecht vorgetragen, die ihm durch die
streitgegenständlichen Äußerungen entstanden wären, noch hat das
Landgericht solche Auswirkungen festgestellt. Schwerwiegende Auswirkungen
der streitgegenständlichen ' Äußerungen auf das Persönlichkeitsrecht des
Klägers liegen auch nicht auf der Hand. Zwar wendet sich der
streitgegenständliche Online-Artikel der Beklagten“an ihre deutschlandweit
verbreitete Leserschaft. Allerdings dürfte nur einem sehr geringen Teil
davon eine Identifizierung des Klägers anhand der individualisierenden
Angaben in dem Online-Artikel überhaupt möglich gewesen sein, weil die
Beklagte den Kläger nur unter seinem bereits abgelegten alten Nachnamen
genannt hat und sein nach wie gültiger Vorname jemanden, der die Identität
des Klägers anhand der Angaben in dem Artikel hätte herausfinden wollen,
auch nicht viel weitergeholfen hätte, weil in dem Artikel unerwähnt bleibt,
dass der Kläger im Zeitpunkt des Ersehe inens des Artikels bereits
Widerrufsbeamter des Landes Sachsen-Anhalt geworden war und damit nicht
mehr unter den Mitarbeitern des Bundestags zu finden war. Damit ist im
Wesentlichen nur den Personen, d ie ohnehin den Kläger und seine
Lebensverhältnisse gut kennen, eine Identifizierung von ihm möglich
gewesen. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass im Zeitpunkt der
Veröffentlichung des Artikels seinen Kollegen und Dienstvorgesetzten in
seinem aktuellen beruflichen Umfeld als Beamter des Landes Sachsen-Anhalt
sein alter Name oder seine berufliche Vortätigkeit für die AfD bekannt
gewesen ist. Zwar würden ihn ehemalige Kollegen des Klägers in dem
Abgeordnetenbüro des Herrn Gauland wohl schon anhand des Vornamens
identifizieren können, wie auch ehemaligen Kollegen im Landtag des Landes
Brandenburg sein alter Nachname geläufig gewesen ist, weil der Kläger
seinen alten Nachnamen … noch im August 2016 geführt hat. Jedoch ist von
dem Kläger nicht konkret dargelegt worden, dass er in diesen
Kollegenkreisen durch den Online-Atikel einen schwerwiegenden
Ansehensverlust erleiden könnte. Entsprechendes gilt für seinen privaten
Freundes- und Bekanntenkreis. Zu berücksichtigen ist dabei zum einen, dass
der Kläger beruflich sowohl im Landtag in Brandenburg als auch im
Abgeordnetenbüro des Herrn Gauiand für die AfD gearbeitet und sich damit
selbst für seine Kollegen und Freunde ersichtlich politisch am rechten Rand
des Parteienspektrums positioniert hat. Zum anderen ist eine soziale
Ausgrenzung oder Prangerwirkung wegen der in dem Online-Artikel
offengelegten Betätigung des Klägers in der HDJ schon deshalb nicht zu
besorgen, weil der Online-Artikel deutlich macht, dass er nur als
jugendlicher die HDJ unterstützt hat und dies auch schon sehr lange
zurückliegt. Demgegenüber verdient im Rahmen der Gesamtabwägung das
Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung über
den Kläger mit individualisierenden Angaben der Vorrang. Für die Abwägung
ist bedeutsam, ob die Berichterstattung allein der Befriedigung der Neugier
des Publikums dient oder ob sie einen Beitrag zur Meinungsbildung in einer
demokratischen Gesellschaft leistet und die Presse mithin ihre Funktion als
„Wachhund der Öffentlichkeit“ wahrnimmt (BGH, Urteil vom 18.12.2018, – VI
ZR 439/17, Rz. 12). Letzteres hat die Beklagte getan. Herr Gauland ist eine
Person, dem die Öffentlichkeit schon aufgrund seiner hervorgehobenen
Funktionen ais Vorsitzender der AfO-Fraktion des Bundestags und als
Vorsitzender der Partei der AfD ein gesteigertes Interesse entgegenbringt.
Herr Gauland wirkt zudem aufgrund seiner großen medialen Präsenz in Funk
und Fernsehen an der öffentlichen Meinungsbildung intensiv mit. Allein
deshalb ist es für die Öffentlichkeit von Interesse, zu erfahren, von
welchen Personen als wissenschaftlichen Mitarbeitern sich Herr Gauland für
die Inhalte oder die Abfassung seiner Debattenbeiträge zuarbeiten lässt. Da
zudem bereits im Zeitpunkt des Erscheinens des streitgegenständlichen
Online-Artikels in der breiten Öffentlichkeit eine politische Debatte
darüber geführt worden ist, ob sich die AfD von rechtsextremen Bewegungen
hinreichend abgrenzt oder ob sie besser vom Verfassungsschutz beobachtet
werden sollte, ist es für die Öffentlichkeit von erheblichem Interesse
gewesen, zu erfahren, ob Herr Gauland oder andere AfO-Politiker Mitarbeiter
beschäftigen, die eine rechtsextreme . Vergangenheit aufweisen, Es bestand
auch ein nachvollziehbares Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit daran,
zu den betroffenen Mitarbeitern individualisierende Angaben zu erhalten, um
so die Glaubhaftigkeit dieser Berichte besser einordnen zu können, da im
Zeitpunkt der Berichterstattung der Beklagten bereits über andere
Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten mit einer rechtsextremen Vergangenheit
berichtet worden war, etwa über den in der HDJ an führender Stelle tätig
gewesenen Bruder des Klägers (vgl. Anlage KE6). Ln , diesem Zusammenhang
ist auch zu sehen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa ein jahr
später nach einer Überprüfung aller offen zugänglichen Informationen am
08.03.2019 nur die Teilorganisationen der AfD ,„Der Flügel“ und die „Jun…
Alternative“ wegen gewichtiger Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche
Bestrebungen zu Verdachtsfällen erhoben hat.
19 Mar 2018
## LINKS
[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/afd-parteichef-alexander-gaulands-nazi-s…
[2] /Vorwuerfe-gegen-AfD-Politiker-Kalbitz/!5490224
## AUTOREN
Andreas Speit
andrea Röpke
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Bundestag
Rechtsextremismus
Brandenburg
Schwerpunkt AfD
Jörg Meuthen
Junge Alternative (AfD)
Schwerpunkt AfD
Junge Alternative (AfD)
Schwerpunkt AfD in Berlin
Schwerpunkt AfD in Berlin
Cottbus
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Neukölln
Andreas Kalbitz
Andreas Kalbitz
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
20 Jahre „Tolerantes Brandenburg“: Regierung warnt vor Nazis
In den 90ern war Brandenburg eine Hochburg der Neonazis. Die Situation
derzeit zeige beängstigende Parallelen zu damals, sagt der Chef der
Staatskanzlei.
Streit um parteinahe Stitungen bei AfD: Stiftungsmillionen rücken in die Ferne
In der AfD gibt es weiter keine Einigung darüber, ob eine Stiftung als
parteinah anerkannt werden soll. Die Gegner des Vorhabens sorgten für eine
Vertagung.
Christlicher Sozialethiker über die AfD: „Der Mensch ist nicht nur gut“
Bürgerliche Konservative wenden sich der AfD zu und verrohen in den
Filterblasen des Internet, sagt Andreas Püttmann. Kirchen müssten sich
verstärkt abgrenzen.
Recherche AfD-Fraktion im Bundestag: Ein Scharnier nach ganz, ganz rechts
Mitarbeiter aus dem konservativen Milieu machen bei der AfD-Fraktion im
Bundestag gemeinsame Sache mit Rechtsradikalen.
Die AfD im Bundestag: Welche Netzwerke werden gestärkt?
Einige hundert Arbeitsplätze richtet die AfD im Bundestag ein. Die taz hat
recherchiert, wer für die Partei arbeitet.
Umfrage zu „Ausländergewalt“ an Schulen: AfD spielt jetzt mit Grundschüle…
Die AfD fordert Zahlen zu vermeintlichen Straftaten ausländischer
SchülerInnen und will sie selbst erheben – vor den Schulen. Viele sind
empört.
„Uffmucken Schöneweide“ ruft zur Demo: Protest gegen AfD-Bürgerbüro
Rund 300 Menschen demonstrieren gegen rechte Strukturen in Johannisthal.
Die Organisatoren sprechen von einem zunehmend rassistischen Klima im Kiez.
Demo gegen die AfD am Samstag in Berlin: Ein dubioses Abgeordnetenbüro
Die Initiative „Uffmucken Schöneweide“ ruft zu Protesten gegen rechte und
rechtsradikale Strukturen in Johannisthal auf.
Protest gegen Geflüchtete in Cottbus: Demo für Kaltland
In der Innenstadt von Cottbus haben am Samstag erneut Demonstranten gegen
Zuwanderung protestiert. Dieses Mal kam prominente Unterstützung aus der
AfD.
Debatte Literatur und Gesellschaft: Tolle Tellkamp-Tage
Viele sagen nun: Ach, der Pegida- und AfD-Sound ist doch laut genug – hätte
Uwe Tellkamp nur geschwiegen. Quatsch! Das Gegenteil ist der Fall.
Kommentar zu „Offenes Neukölln“: Mehr als klammheimliche Freude
AfD und CDU jubeln im Gleichklang darüber, dass ein breites Bündnis gegen
Rechts weniger Geld bekommt. Das zeigt, wie sich der gesellschaftliche
Diskurs verschiebt.
Vorwürfe gegen AfD-Politiker Kalbitz: Ein Rechter schaut nach den Rechten
Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz war nicht nur zu Besuch im
Neonazi-Zeltlager, sondern mutmaßlich auch mit Holocaustleugnern in einem
Verein.
Brandenburger AfD-Chef: Zu Besuch beim Pfingstlager der HDJ
AfD-Landeschef Andreas Kalbitz hat laut einem ARD-Bericht ein Treffen der
„Heimattreuen Deutschen Jugend“ besucht. Die Partei sieht darin kein
Problem.
AfD will mit Pegida kooperieren: Da wächst was zusammen
Der rechte Flügel der AfD will das Kooperationsverbot mit Pegida kippen. Im
Bundesvorstand gibt es einen Patt: sechs dafür und sechs dagegen.
Nach türkenfeindlichen Äußerungen: Abmahnung gegen Poggenburg
Der AfD-Bundesvorstand hat einstimmig beschlossen, André Poggenburg
abzumahnen. Der Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt hatte zuvor gegen
Türken gehetzt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.