# taz.de -- Debatte Literatur und Gesellschaft: Tolle Tellkamp-Tage | |
> Viele sagen nun: Ach, der Pegida- und AfD-Sound ist doch laut genug – | |
> hätte Uwe Tellkamp nur geschwiegen. Quatsch! Das Gegenteil ist der Fall. | |
Bild: In so manchem Schrebergarten mag die Schreihals-Rechte ja die Meinungshoh… | |
Alles wird gut. [1][Uwe Tellkamp war das Beste], was dem öffentlichen | |
Diskurs zurzeit passieren konnte. Auf diese steile These kann durchaus | |
kommen, wer die Debatte über seine Dresdner Äußerungen in den vergangenen | |
Woche verfolgt hat. | |
Keine Missverständnisse. Tellkamp hat furchtbare Falschbehauptungen | |
aufgestellt: 95 Prozent der Flüchtlinge „fliehen nicht vor Krieg und | |
Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern“. Das | |
ist Demagogie und kein Kavaliersdelikt. Zudem hat sich Tellkamp einer | |
Bildsprache bedient, wie sie sonst nur bei Pegida und AfD vorkommt; von | |
wegen „Gesinnungskorridor“. Und er hat sich auf die Seite derer gestellt, | |
die behaupten, in diesem Land herrsche eher Gesinnungsterror als | |
Meinungsfreiheit. | |
Aber er ist eben nicht unwidersprochen geblieben, und vielleicht ist es | |
prinzipiell mal ganz gut, die positiven Aspekte dieses Falls hervorzuheben. | |
Immerhin gab es in der Debatte über diesen Auftritt viel zu lernen. Und es | |
hat sich, alles in allem, doch für viele Menschen gezeigt, dass das | |
neurechte Denken konstitutiv um die Ausgrenzung und die Abwertung anderer | |
kreist, dass es sich aus Realitätsverdrehungen zusammensetzt und zur | |
Bewältigung der Probleme der Gegenwart nichts beizutragen hat. | |
Natürlich ist damit die AfD noch lange nicht wieder aus dem Bundestag, die | |
Behauptung, deutsch zu sein sei eine Abstammungsfrage, geht weiter, und die | |
Bedrohungen gegen Menschen, die von den festgelegten Schemata der neuen | |
Rechten abweichen, verschwinden nicht einfach wieder. Doch klar ist | |
zumindest geworden, dass die neuen Rechten die angestrebte Meinungshoheit | |
so nicht erreichen werden. Und das ist nicht zu unterschätzen. | |
Ein Blick in die sozialen Medien lohnt sich in diesem Zusammenhang. Über | |
die Debatten, die dort ausgetragen werden, ist allgemein viel Negatives zu | |
hören. Sie werden gern als Ausdruck diskursiver Verrohung und einer großen | |
Gereiztheit gelesen und mit einer seltsamen Angstlust als Ausdruck einer | |
Gesellschaft vor dem Untergang verstanden; als ob wir tatsächlich wieder in | |
einer Situation wie in den späten zwanziger Jahren des vergangenen | |
Jahrhunderts wären. Aber das stimmt so nicht. Es gibt in diesen Debatten | |
tatsächlich Fortschritte, und die Tellkamp-Tage haben einige davon an den | |
Tag gebracht. | |
So wiesen gerade [2][erst kürzlich Studien nach], wie wenige Menschen | |
tatsächlich hinter den Shitstorm-Phänomenen im Netz stehen. Es ist eben | |
kein Volksempfinden, das sich hier Bahn bricht, das sind vielmehr oft | |
organisierte Kampagnen. Und der Punkt ist: Das Wissen um die Gemachtheit | |
solcher Kampagnen verbreitert sich; man kann sie inzwischen viel besser | |
einschätzen und damit relativieren als noch vor wenigen Jahren, als selbst | |
liberale Medien von einer Art Bürgerkrieg im Netz schwadronierten. | |
## Zwei Schriftsteller, die wie Kombattanten antreten | |
Von den aktuellen Debatten um Uwe Tellkamp werden vor allem aber auch | |
inhaltlich zwei Punkte hängen bleiben. Der erste hat vielleicht nicht so | |
viele Menschen aufgeregt, aber doch zu einigen Grundsatzdiskussionen | |
geführt. Er betrifft die Sprechweisen. Ein duellhaftes Sprechen wie bei dem | |
Auftritt in Dresden, an dem zwei Schriftsteller stellvertretend wie | |
Kombattanten antreten, kann einen Beteiligten eben schnell dazu verführen, | |
die Veranstaltungen an sich reißen und den anderen Sprecher an die Wand | |
drängen zu wollen. Differenziertes oder auch nur sachliches Sprechen kommt | |
so nicht zustande. | |
Immerhin ist Durs Grünbein, Tellkamps Gesprächspartner in Dresden, nach dem | |
Auftritt sozusagen rehabilitiert worden. In den ersten Berichten stand er | |
ziemlich hilflos da. Im Lauf der Debatte aber schälte sich heraus, dass | |
sein Vorgehen, sich auf einen Zweikampf eher nicht einzulassen und | |
distanzierte Gegenpunkte zu setzen, eine gar nicht so schlechte Taktik war. | |
Der zweite Punkt ist viel wesentlicher, und er ist auch viel allgemeiner | |
durchgekommen. Er betrifft die Meinungsfreiheit. Dass in ihr keineswegs | |
automatisch eingebaut ist, für jede noch so krude oder zusammenfantasierte | |
Meinung gleich Applaus zu bekommen, ist eine Einsicht, die sich in den | |
vergangenen Jahren im Umgang mit den neuen Rechten allmählich aufgebaut | |
hat. Tatsachenverdrehungen sind keineswegs durch die Meinungsfreiheit vor | |
Richtigstellungen geschützt. Und jeder, der seine Meinung kundtut, muss | |
damit rechnen, dass seine Mitmenschen das auch tun werden, im Zweifel also | |
auch gerade die, die eine ganz andere Meinung haben. | |
## Kein Anlass zum Alarmismus | |
In diesen Tellkamp-Tagen ist diese Einsicht allgemein durchgedrungen. Das | |
aber trifft das PR- und Provokationskonzept der neuen Rechten im Kern. Denn | |
es basiert genau darauf, sich als Opfer von Zensur und unterdrückter | |
Meinungsfreiheit verkaufen zu können. Dieses Konzept kommt nun zum Glück an | |
seine Grenzen. Auf Kundgebungen und innerhalb geschlossener Zirkel kann man | |
sich gut als Opfer der anderen stilisieren, aber im prinzipiell offenen | |
weltweiten Netz funktioniert das einfach nicht mehr. Wer hier lauthals den | |
Beleidigten heraushängen lässt, bekommt sowieso schnell „Mimimi“-Kommenta… | |
entgegengehalten. Sie artikulieren keine Abwertung, sondern einen Hinweis | |
auf einen Selbstwiderspruch: Schließlich tun die, die mangelnde | |
Meinungsfreiheit beklagen, gerade frei ihre Meinung kund. | |
Übrigens sollte man diesen Punkt auch beim Suhrkamp-Verlag berücksichtigen. | |
Der Verlag hatte nach Tellkamps Äußerungen [3][schnell Folgendes | |
getwittert]: „Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum | |
Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlages zu verwechseln.“ Man ist | |
frei, das als seltsame Reaktion zu werten (ich find es eigentlich voll | |
okay). Aber das als Dämonisierung eines Autors zu verstehen oder gar, wie | |
es das Welt-Feuilleton gemacht hat, als das eigentliche Problem zu | |
beschreiben, ist natürlich so arg überzogen, dass man schnell ein Kalkül | |
dahinter vermutet. In der Welt konnte man den Eindruck bekommen, als würde | |
Tellkamp durch solche Reaktionen zur Nähe zu Gesinnungsterrorvermutungen | |
geradezu gedrängt. Das ist aber ein reines Ablenkungsmanöver. | |
Was die diskursive Hegemonie betrifft, besteht also kein Anlass zu | |
Alarmismus. Die Menschen sind nicht dumm, und was immer Uwe Tellkamp | |
vorhatte, er ist damit nicht durchgekommen; eher kann man die These | |
aufstellen, dass er jetzt ziemlich unglücklich dasteht. | |
## Reine Scharlatanerie | |
Allgemeine Entwarnung bedeutet das aber keineswegs. Denn die kulturelle | |
Hegemonie ist – was immer der in diesem Zusammenhang gern zitierte Gramsci | |
dazu zu sagen hat – nicht alles, sie ist vielleicht letztlich dann doch | |
noch nicht einmal das Wichtigste. Das Wichtigste ist, auf die | |
Rechtsprechung zu achten, bei Polizeitaktiken aufmerksam zu sein – in | |
einem anständigen Deutschland sollen sich schließlich alle sicher fühlen, | |
auch und vor allem Geflüchtete – und auf das aufzupassen, was Politiker | |
sagen. | |
Und es wäre darauf zu achten, dass die Vielfalt des Kulturellen und | |
insbesondere des Literarischen, all das schöne Durcheinandersprechen, nicht | |
auf einzelne Punkte reduziert wird. Selbst wenn diese, wie die sogenannte | |
Flüchtlingskrise, die in weiten Teilen in Wirklichkeit eine deutsche | |
Selbstverständigungskrise ist, noch so virulent sind. Die Behauptung, dass | |
man die Literatur der Gegenwart wesentlich auf eine angebliche öffentliche | |
Krisenstimmung reduzieren kann, ist jedenfalls reine Scharlatanerie. | |
Natürlich wird nie alles gut. Und was wir in dieser Lage brauchen, ist | |
Differenzierung und Sachlichkeit. Und neben der Empörung auch immer die | |
Einordnung mit Augenmaß. Es war in den vergangenen Tagen tröstlich und | |
beruhigend, in den sozialen Medien häufig auf diese Tugenden zu stoßen. | |
16 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] /!5487835 | |
[2] /!5486641 | |
[3] https://twitter.com/suhrkamp/status/972035792003616769 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024 | |
Uwe Tellkamp | |
Literatur | |
DDR | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Extra 3 | |
Schwerpunkt AfD | |
Political Correctness | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024 | |
Uwe Tellkamp | |
Michael Kretschmer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Roman von Uwe Tellkamp: Gegenwartssuppe | |
Uwe Tellkamp legt eine Fortsetzung seines Erfolgs „Der Turm“ vor. Auf 900 | |
Seiten pflügt „Der Schlaf in den Uhren“ durch die Zeit seit dem Mauerfall. | |
Kolumne Einfach gesagt: Rührende Rechte | |
Es gibt immer mehr Rechte, die nicht so genannt werden wollen. Aber | |
Rassismus ist keine Meinung. Rassismus ist Rassismus. | |
Twitter-Umfrage zu Islam in Deutschland: Satiriker greifen AfD unter die Arme | |
Die AfD Berlin startet im Fahrwasser von Innenminister Horst Seehofers | |
Einlassung zum Islam eine Umfrage. Und bekommt Schützenhilfe von „extra 3“. | |
AfD-Fraktion im Bundestag: Ex-Kader der HDJ arbeitet für Gauland | |
Die Bundestagsfraktion der AfD führt einen Mitarbeiter mit rechtsextremer | |
Vergangenheit. Der Fraktionschef schweigt dazu. | |
Uwe Tellkamp kommt doch nicht: Lesebühnen bleiben leer | |
Nachdem sein Verlag sich von ihm distanziert hat, sagte der umstrittene | |
Autor Uwe Tellkamp nun auch seine Lesereise in Norddeutschland ab. | |
Auszeichnung in Leipzig für Karl Schlögel: Der Duft des Imperiums | |
Den langen Atem gesucht: Der Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse geht an | |
Karl Schlögels „Das sowjetische Jahrhundert“. | |
Die Wahrheit: Ende der Schonfrist | |
Der rechte Dresdner Uwe Tellkamp ist beileibe nicht der erste Autor des | |
Suhrkamp-Verlags, der politisch verhaltensauffällig geworden ist. | |
Preisverleihung Leipziger Buchmesse: Verpasste Chance | |
Der Preis zur Europäischen Verständigung geht an Åsne Seierstad. Sachsens | |
Ministerpräsident Kretschmer verteidigt erneut Uwe Tellkamp. |