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# taz.de -- Studien zu rechter Diskursmacht: Wir blicken in einen Zerrspiegel
> Rechte Trolle haben das Internet verstanden und treiben mit koordinierten
> Kampagnen Medien und Politik vor sich her. Was tun?
Bild: Der Diskurs bildet nicht zwangsläufig die Realität ab, formt sie aber
In dieser Woche ist an mehreren Beispielen klar geworden, wie rechte
User*innen strategisch Online-Debatten manipulieren. WDR, NDR und
Süddeutsche Zeitung veröffentlichten am Dienstag [1][eine Recherche] über
ein neurechtes Netzwerk namens „Reconquista Germanica“, das unmittelbar vor
der Bundestagswahl zu gezielten Aktionen in sozialen Netzwerken aufgerufen
hat.
Die nationalistischen Medienaktivist*innen verabredeten sich zu sogenannten
Raids. Koordinierte Aktionen, bei denen sie Wahlkampfvideos oder
Ausschnitte des „Kanzlerduells“ immer wieder mit neurechten Slogans
kommentierten – und Kommentare immer wieder teilten.
Die Algorithmen vieler sozialer Medien neigen dazu, Beiträge mit vielen
„Interaktionen“ – also Likes, Antworten, Weiterleitungen – prominenter …
platzieren. Die rechten Trolle machen sich dieses Prinzip zunutze, um
möglichst sichtbar zu sein und so den Eindruck zu erwecken, es handle sich
um eine große Bewegung.
Während das Gegenteil der Fall ist – womit wir zur zweiten Nachricht
kommen: Der IT-Spezialist Philip Kreißel [2][hat analysiert], wie
Hasspostings in den Kommentarspalten der großen deutschen Medien zustande
kommen. Konkret, wie viele Accounts es braucht, um gewaltige Mengen an
Hasspostings zu generieren. Das Ergebnis: Eine winzige Minderheit – ein
Prozent der Profile – sorgt auf beliebten Nachrichtenseiten wie bild.de,
focus.de oder tagesschau.de für ein Viertel aller Likes auf Hasspostings.
Die Expert*innen glauben nicht daran, dass hier zufällig ein paar Neurechte
viel Zeit und Lust zum Hass haben – sondern dass sie strategisch vorgehen.
## Die Kunst, recht zu behalten
Diese Strategien sind online einsehbar: Das [3][„Handbuch für
Medienguerilla“] ist eine Anleitung zum neurechten Netzaktivismus, das seit
etwa einem Jahr in entsprechenden Kreisen die Runde macht, auch bei
„Reconquista Germanica“. Das Dokument fasst auf unter zehn Seiten den
Werkzeugkasten der Onlinebewegung zusammen: Hilfestellung zur Zielauswahl,
Tipps zu Zweit- und Drittaccounts und zum Angriff – auf Menschen, die
dagegenhalten. „Du willst bei Diskussionen im Internet nicht Deinen Gegner
überzeugen“, heißt es da. „Und es geht hier nicht darum, wer Recht hat,
sondern wer vom Publikum Recht erhält.“
Es folgt ein Hinweis auf die eristische Dialektik Schopenhauers – die
Kunst, recht zu behalten, ohne recht zu haben. Das Handbuch inszeniert den
Diskurs als einen Kampf um die Köpfe und benennt seine Strategien wie
Manöver: „memetisches Sperrfeuer“, „Ruf zu den Waffen“ und eben der �…
den „Reconquista“ vor der Wahl eingesetzt hat.
Das Ganze hat Erfolg: Oft sind Kommentarspalten, etwa unter
tagesschau.de-Artikeln kaum noch zu gebrauchen, da sich dort Hetze an Hetze
reiht. Dasselbe gilt für Twitter-Debatten unter den Hashtags der großen
Polit-Talkshows. Dafür braucht es keine russischen Trollfabriken – auch
wenn diese natürlich ihren Teil beitragen.
Einige würden an dieser Stelle vielleicht mit den Schultern zucken und
sagen, dass sich die paar Rechten in ihren Online-Nischen doch bitte
austoben sollen. Das Problem ist aber, dass Social-Media immer öfter als
Abbild der Gesellschaft wahrgenommen wird. Vielen gelten Netzdebatten als
„real“. Auch Journalist*innen checken Twitter- und Facebook-Diskussionen,
um sich für ihre Themensetzung inspirieren zu lassen. Postings werden
direkt in Artikel eingebunden – oder sogar in TV-Beiträge – an der Stelle,
an der früher die Fußgängerzonen-Umfrage stand. Oder aber die sozialen
Medien werden direkt zum nachrichtlichen Ereignis – der „Shitstorm“ gegen
eine Politikerin, die „heftige Kritik in den sozialen Medien“. Nicht nur
die AfD und Donald Trump können solche medialen Ereignisse gezielt
herbeiführen. Das Ergebnis: Wir blicken in einen Zerrspiegel. Die rechten
Diskurse sind selbstverständlich da – aber wie groß sind sie wirklich?
Natürlich kann nicht jeder journalistische Artikel einen ganzen
Rattenschwanz von Einordnungen enthalten: „Shitstorm gegen Merkel – wobei,
na ja, wer weiß, ob nicht genau die Rechten wollen, dass wir das hier
schreiben.“ Aber: Das Netz hat nichts mehr mit der Utopie vom Marktplatz
des freien Austauschs zu tun – sofern es das jemals hatte. Es ist ein Ort
der Kampagnen.
21 Feb 2018
## LINKS
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/manipulation-im-netz-wie-rechte-internet…
[2] http://www.dw.com/de/studie-minderheit-steuert-hass-kampagnen-im-netz/a-426…
[3] https://www.mimikama.at/allgemein/handbuch-medienguerillas/
## AUTOREN
Peter Weissenburger
Arved Clute-Simon
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