# taz.de -- Sozialisten in den USA: „Ein Kampf von unten nach oben“ | |
> Die Democratic Socialists of America (DSA) sind die größte sozialistische | |
> Organisation der USA. Ein Gespräch über die Arbeiterklasse von heute. | |
Bild: Die DSA organisiert mit anderen Organisationen den internationalen Frauen… | |
taz: Herr Stephens, Sie sind im Vorstand der DSA. Was ist für Sie | |
sozialistische Politik im 21. Jahrhundert? | |
R. L. Stephens: Die Frage habe ich mir auch oft gestellt. Doch am Ende kann | |
man sie nur gemeinsam beantworten, [1][deswegen habe wir eine Kampagne | |
namens Basisbildung ins Leben gerufen]. Wir versuchen Menschen, die denken | |
wie wir, in unsere Ortsgruppen einzuladen und gemeinsam mit ihnen zu | |
entscheiden, womit wir uns beschäftigen werden. Je diverser diese | |
Diskussion geführt wird, desto ehrlicher wird am Ende unser Konzept vom | |
Sozialismus sein. Das muss ein Prozess von unten nach oben und nicht | |
umgekehrt sein. | |
Können Sie ein Beispiel geben? | |
Stephens: Wir entwerfen nicht nur einen neuen Plan, wie eine | |
Krankenversicherung aussehen könnte, sondern wir hören uns unterschiedliche | |
Ideen an, bringen Menschen zusammen. Wir entwickeln zusammen aber mehr als | |
nur unser Konzept einer Krankenversicherung. Wir lassen kollektive | |
Gegenmacht entstehen. Auch das ist schon eine Klassenfrage. Die | |
Arbeiterklasse setzt sich aus verschiedenen sozialen Milieus zusammen und | |
wir wollen uns von Anfang an so organisieren. Es geht um Gender und Race, | |
es geht aber auch darum, wo Menschen leben, ob in Städten oder auf dem | |
Land, auf einem Campus oder in einem Armenviertel. | |
Frau Alcazar, Sie gehören zu den Zehntausenden, die im letzten Jahr neu in | |
die DSA eingetreten sind. Warum? | |
Magally „Maga“ Alcazar: Ich habe mich schon während des | |
[2][Bernie-Sanders-Wahlkampfs] für die DSA interessiert, damals sind ja | |
schon viele eingetreten. Ich war aber noch abgeschreckt, schließlich ist | |
die DSA eine Organisation für weiße Menschen aus der Mittelschicht. Ich | |
selber komme aus der Arbeiterklasse, meine Vorfahren kommen aus Mexiko. Ich | |
hatte das Gefühl, das ist nichts für mich. | |
Was hat sich dann geändert? | |
Alcazar: Ich habe mitbekommen, welche Themen eine Rolle spielen, aber auch | |
wie die DSA-Mitglieder das Leben der Menschen konkret verbessern. Es gibt | |
zum Beispiel eine Street-Watch-Kampagne. Ein paar Leute beobachten die | |
Straßen in Armenvierteln und reagieren sehr schnell, wenn die Polizei | |
anrückt, um zum Beispiel Obdachlosencamps zu räumen. Oder sie geben | |
Workshops, in denen sie erklären, wie man Konflikte klärt, ohne die Polizei | |
zu rufen. Da wo ich herkomme, hat es schließlich weitreichende Folgen, wenn | |
die Polizei kommt. Gleichzeitig führen sie aber auch strategische | |
Diskussionen und fragen sich, welche Rolle eine sozialistische Organisation | |
in Amerika heute spielen kann. Die Mischung hat mich angesprochen. | |
Haben Sie sich davor auch schon politisch engagiert? | |
Alcazar: Ich bin schon länger in der Mietenbewegung in Los Angeles aktiv. | |
Es steht bei uns wirklich schlecht um die Rechte der Mieter, aber die | |
Anti-Gentrifizierungs-Bewegung ist ein Hoffnungsschimmer, sie ist groß und | |
sehr gemischt. Ich finde aber auch, dass das alleine nicht reicht, um | |
wirklich etwas zu ändern. Wir müssen nicht nur die Miete in Frage stellen, | |
sondern auch den Kapitalismus. | |
Eine wichtige landesweite Aktion, die am 8. März ansteht, ist der | |
internationale Frauenstreik, den die DSA mitorganisiert. Wie gehen Sie das | |
an? | |
Alcazar: Gerade organisieren wir ein breites Bündnis aus traditionellen | |
Gewerkschaften, wie zum Beispiel Lehrergewerkschaften. In vielen Gemeinden | |
gibt es Treffpunkte für Arbeiter, viele von ihnen sind prekär und | |
unorganisiert, mit denen arbeiten wir auch zusammen. Organisationen wie | |
„Pussy Strikes Back“ und feministische Anti-Trump-Organisationen sind, wie | |
im letzten Jahr, auch wieder dabei. Es gibt viele unorganisierte Frauen, | |
[3][die durch #metoo politisiert wurden], die mitmachen, außerdem viele | |
sozialistische Organisationen, Gruppen, die für einen Mindestlohn kämpfen, | |
oder Studierende. | |
Und wie wird der Streik konkret aussehen? | |
Alcazar: Frauen arbeiten in Amerika zu 80 % in prekären | |
Arbeitsverhältnissen. Der klassische Fabrikstreik fällt also weg. Wir | |
denken über Mischformen aus Arbeits- und Reproduktionsstreiks, Boykotten | |
und Blockaden nach. | |
Stephens: Unsere Kämpfe müssen unsere Vorstellung einer Arbeiterklasse von | |
heute widerspiegeln; und so widersprüchlich es ist, kann Arbeit alleine | |
eben nicht das verbindende Moment einer kämpferischen Klasse im heutigen | |
Amerika sein. Einfach, weil so viele Menschen heute keine Arbeit mehr | |
finden, und darunter sind eben vor allem Frauen. Das heißt, Arbeit spielt | |
immer noch eine große Rolle, aber die Organisation kann auch rund um andere | |
Fragen passieren. LGBTIQ-Menschen haben andere Probleme als Bauern, | |
trotzdem gehören sie zur unterdrückten Klasse. Wir müssen offen sein. Eine | |
Frau, die zu Hause mit ihrem Baby sitzt, muss sich genauso organisieren | |
können wie jemand in einem Call-Center. Studierende sind wirklich wichtig, | |
denn die meisten haben heute hohe Schulden, wenn sie aus der Universität | |
kommen. Ich zum Beispiel! Ich habe Zehntausende Dollar Schulden. | |
Wollen Sie eigentlich eine Partei werden? Eine linke Alternative zu den | |
Demokraten? | |
Alcazar: Ich glaube, wenn die DSA weiterwächst, wird das eine Diskussion | |
sein, die wir führen müssen. Sie schwelt auch schon, aber es ist noch nicht | |
die Zeit dafür. | |
Stephens: Ich persönlich finde es wichtig, dass die DSA nicht nur | |
unabhängig von der Demokratischen Partei bleibt, sondern auch unabhängig | |
vom Parlament selbst. Ich glaube nicht, dass im Kapitalismus eine linke | |
Regierung möglich ist. Schauen Sie sich nur Syriza in Griechenland an. So | |
wird es allen gehen! | |
Warum haben Sie sich eigentlich die DSA ausgesucht? Es gibt zahlreiche | |
sozialistische Organisationen in den Vereinigten Staaten, die man von innen | |
heraus ändern könnte. | |
Alcazar: Wir sind ja nicht die einzige sozialistische Organisation, die | |
wächst. Das ist ein allgemeiner Trend im ganzen Land! | |
Stephens: Die basisdemokratische Struktur der DSA hat eine große Rolle | |
gespielt: Uns war klar, dass wir hier unsere Politik von unten aufbauen | |
können. Viele können mitmachen, auf nationaler Ebene in den Versammlungen, | |
auf lokaler Ebene in den Ortsgruppen. Die DSA ist bis zu einem gewissen | |
Grad offen für Nichtmitglieder. Und der Mitgliedsbeitrag ist extrem | |
günstig. Bei vielen anderen Gruppen muss man sich sogar bewerben! | |
Legen Sie eigentlich in allen Gegenden in Amerika an Mitgliedern zu? | |
Alcazar: In großen Städten wie New York oder Los Angeles gibt es | |
mittlerweile zahlreiche Gruppen in jedem Bezirk. Gerade nach den Vorfällen | |
in Charlottesville haben wir viele neue Mitglieder bekommen, die etwas | |
gegen die Rechte unternehmen wollen. Nicht nur junge Leute. In | |
Charlottesville selber sind 60-jährige aufgetaucht und haben gesagt: „Mir | |
reicht’s! Ich will was machen!“ | |
Stephens: Es gibt viele neue Mitglieder, die noch gar nicht in Gruppen | |
organisiert sind. Ich versuche gerade herauszufinden, was die Gründe dafür | |
sind, ob sie in abgelegenen Gegenden wohnen, ob sie Hemmungen haben oder ob | |
ihnen die Themen nicht zusagen. | |
Wie stehen Sie überhaupt zu den Antifa-Gruppen, die sich überall im Land | |
gründen? | |
Alcazar: Ich finde das großartig. Wir müssen uns noch viel mehr mit der | |
Politik der extremen Rechten auseinandersetzen. In Kalifornien gibt es zum | |
Beispiel die Minute Men, eine rechtsextreme Organisation, die seit Jahren | |
in lokalen Regierungen in Kalifornien sitzt und durchgesetzt hat, dass | |
Menschen ohne Papiere, also Illegale, nicht mehr zum Arzt gehen können oder | |
dass ihre Kinder nicht in die Schule dürfen. Wir reden über die Alt-Right, | |
als wären sie ein neues Phänomen, aber wir haben sie nur zu lange nicht | |
ernst genommen. Sie sind jetzt eben auch auf nationaler Ebene aktiv. | |
Fühlen Sie sich manchmal hoffnungslos, [4][seit Trump im Amt ist]? | |
Alcazar: Eigentlich nicht. Es gibt genug Grund zur Hoffnung. Vor ein paar | |
Monaten war ich mit ein paar Genossen aus der DSA bei einem Aufmarsch der | |
Alt-Right in Chicano Park in San Diego und wir haben sie vertrieben. Ich | |
finde es wichtig und gut, dass Richard Spencer einen auf die Nase bekommen | |
hat. Es ist wichtig, dass wir auf jeder Ebene Widerstand leisten und neue | |
Ideen entwickeln. So schlimm es gerade unter Trump ist, so großartig ist | |
die Solidarität. Gruppen, die früher verfeindet waren, arbeiten jetzt | |
zusammen. Die Stimmung ist nicht schlecht. Es bewegt sich was. Wir bewegen | |
uns. | |
31 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
Nina Scholz | |
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