| # taz.de -- Debatte Linke Bewegungen: Weg von der Ich-Bezogenheit | |
| > In den USA ist die linke Strömung der Demokraten erfolgreich. | |
| > Wagenknechts Sammlungsbewegung „Aufstehen“ könnte davon lernen. | |
| Bild: Anders als „Aufstehen“ entstanden die Democratic Socialists of Americ… | |
| Sahra Wagenknecht möchte „zusammenführen, was bisher getrennt agiert“, sie | |
| will „Menschen mit ähnlichen Überzeugungen“ überparteilich mobilisieren. | |
| Wagenknecht gibt ein Ziel vor, das nicht nur in Deutschland und nicht erst | |
| seit diesem Jahr tatsächlich elementar erscheint: die Fragmente der Linken | |
| zu einer kollektiven Praxis zu verknüpfen. | |
| Die Frage ist, wie solch ein Zusammenschluss gelingen kann. Mit welchen | |
| Leuten, mit welchen Methoden, mit welchen Themen. Bislang sieht es so aus, | |
| als würde die Bewegung „Aufstehen“ zwar sammeln – über 60.000 Menschen | |
| haben sich bereits registriert –, aber gleichzeitig die Lagerbildung | |
| verstärken. Der linke Widerstand gegen das Projekt ist gewaltig. Im Grunde | |
| macht Wagenknecht also einfach weiter das, was sie am besten kann: sie | |
| polarisiert. | |
| „Volksparteien kann man nicht gründen, sie entstehen aus glaubwürdiger | |
| Politik“, sagte sie neulich dem Spiegel, und man will der | |
| Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei entgegnen: Bewegungen kann man nicht | |
| gründen, sie entstehen aus glaubwürdiger Politik. | |
| Zu Wagenknechts Politik, zu ihrer Form des Sozialismus, gehören die | |
| Alleingänge. Im Widerspruch zum Programm ihrer Partei warnt sie bei jeder | |
| Gelegenheit vor „offenen Grenzen“, und im Rahmen der #MeToo-Debatte | |
| erschien Wagenknecht der Hinweis konstruktiv, dass sie sich nicht bei | |
| „Twitter ausweinen“ müsse, wenn sie blöd angebaggert wird. Wir gegen euch. | |
| Ihr und nicht ich. Auf innerparteiliche Debatten angesprochen, sagte sie im | |
| Juni in einem ARD-Interview, dass sie diese „im Notfall auch alleine | |
| entscheiden“ könne. Aber linke Bewegungen und ihre Inhalte haben Vorlauf, | |
| sie wachsen aus Strukturen. Vor allem: sie wachsen. Sie werden eben nicht | |
| apodiktisch verordnet. | |
| ## Amerikanischer Populismus als Vorbild | |
| Wer alles [1][bei „Aufstehen“ mitmacht], wird die Öffentlichkeit erst | |
| Anfang September erfahren, aber alleine die stolze Ankündigung „prominenter | |
| Gründungsmitglieder“ wirkt wie eine Parodie elitären Denkens. In der Zeit | |
| verrieten zwei der Initiatoren nun ihren Spiritus Rector, es ist | |
| ausgerechnet Mark Lilla, der US-Professor, der damit berühmt wurde, die | |
| Wahl Trumps so undifferenziert wie populistisch zu erklären, indem er dem | |
| Fokus auf Identitätspolitik die Schuld gab und zugleich mal eben | |
| Bürgerrechtsbewegungen wie Black Lives Matter pauschal diskreditierte. | |
| Wenn Lilla die „moralische Panik“ der amerikanischen Lefties und Liberals | |
| verurteilt, dann im gleichen Sound wie Wagenknecht bei ihrer Kritik an der | |
| „allgemeinen Moral einer grenzenlosen Willkommenskultur“, was fast | |
| wortgenau wie die Macher der rechten „Erklärung 2018“ klingt. Der Kreis | |
| schließt sich, und so ist es am Ende kaum überraschend, dass sich viele | |
| Linke, vor allem viele Linke mit Migrationshintergrund, von „Aufstehen“ | |
| zumindest uninspiriert, aber vor allem ausgegrenzt fühlen. | |
| ## Erfolgreich als demokratische Basisbewegung | |
| Wie eine Opposition funktionieren kann, indem sie verschiedene linke | |
| Strömungen zusammenbringt, kann man derzeit in den USA beobachten. | |
| Politiker haben dort keine Bewegung von oben diktiert, genau andersrum: Mit | |
| den Democratic Socialists of America (kurz: DSA) gibt es eine Basis, die in | |
| den vergangenen zwei Jahren auf knapp 50.000 Mitglieder gewachsen ist und | |
| nun erste Kandidaten hervorbringt, die sich auf den Weg in die Parlamente | |
| machen. | |
| Die als Hoffnungsträgerin der Linken gefeierte Alexandria Ocasio-Cortez ist | |
| nur die derzeit schillerndste von zahlreichen Politikern mit | |
| DSA-Hintergrund. Die 28-jährige Latina, die aus einer New Yorker | |
| Arbeiterfamilie stammt, gewann im Juni die Vorwahl gegen ihren | |
| parteiinternen Rivalen Joseph Crowley, einen alteingesessenen Demokraten, | |
| und wenn nichts sehr Sonderbares geschieht, wird sie im November als | |
| jüngste Abgeordnete aller Zeiten in den Kongress einziehen. Ocasio-Cortez | |
| ist der neue Shootingstar der Linken und bleibt dennoch, und ganz bewusst, | |
| Mittel zum Zweck. Als sie im Juni gefragt wurde, ob sie bei einer | |
| Niederlage ihren Konkurrenten Crowley unterstützen würde, sagte sie: „Bei | |
| uns herrscht die Demokratie, das heißt, dass ich diese Frage mit den Leuten | |
| besprechen würde.“ So profan. So anders. | |
| Zum Selbstverständnis der DSA-Kandidaten gehört nicht nur der authentische | |
| Bezug zur Basis, sondern auch die glaubhafte Verwebung persönlicher | |
| Geschichten mit dem Programm. Julia Salazar, ebenso eine junge New Yorker | |
| Latina und Sozialistin, die im November ins Parlament von New York ziehen | |
| will, sagte neulich: „Hätte ich so extrem besondere Führungsqualitäten, | |
| wäre das nicht mehr der Wahlkampf einer Bewegung.“ Selbst Cynthia Nixon, | |
| eine wahrlich Prominente mit Ambitionen auf das Gouverneursamt von New | |
| York, wirkt weniger ichbezogen als Wagenknecht. | |
| ## Gegen Trump vereint | |
| In den USA haben sich, trotz aller Widrigkeiten, linke Gruppierungen | |
| aufeinander zu bewegt. Sozialisten und Anarchisten demonstrieren zusammen | |
| unter dem Stichwort #AbolishICE gegen Trumps Deportationspolitik. | |
| Black-Lives-Matter-Aktivisten marschieren gemeinsam mit weißen Arbeitern in | |
| Flint, Michigan, gegen verseuchtes Wasser. Seit Trump im Weißen Haus sitzt, | |
| haben sich zahlreiche Bürgerrechtsbündnisse gegründet, und die Democratic | |
| Socialists funktionieren dabei wie eine Brücke, über die bei Gelegenheit | |
| Kandidaten ins Rennen gehen. Leute wie Ocasio-Cortez und Salazar verkörpern | |
| zudem, wie sinnlos der vermeintliche Dualismus von Identitätspolitik und | |
| Klassenpolitik ist. Sie verbinden auch symbolisch. | |
| „In der Vereinzelung lebt das Gemeinsame so wenig wie in der erzwungenen | |
| Einheit“, schreibt die queerfeministische Philosophin Bini Adamczak in | |
| ihrem hervorragenden Buch „Beziehungsweise Revolution“ und führt damit zwei | |
| zentrale Punkte für den Erfolg einer linken Bewegung zusammen: Erstens | |
| braucht es größere Allianzen. Und zweitens müssen diese Allianzen organisch | |
| und post-nationalistisch wachsen. | |
| 17 Aug 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Inhalte-der-Bewegung-Aufstehen/!5526487 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Hermsmeier | |
| ## TAGS | |
| US-Demokraten | |
| Democratic Socialists of America | |
| Linke Sammlungsbewegung | |
| Aufstehen | |
| Basisdemokratie | |
| Sahra Wagenknecht | |
| Identitätspolitik | |
| Democratic Socialists of America | |
| Aufstehen | |
| Nancy Pelosi | |
| Linke Sammlungsbewegung | |
| Sozialismus | |
| Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neues Buch „Identitätspolitiken“: Solidarität ist niemals fertig | |
| Soziale Kämpfe sind Kämpfe um Anerkennung – und andersherum: Dieses Buch | |
| tritt der Frontenbildung in der Identitätspolitik differenziert entgegen. | |
| Religiöse Linke in den USA: Mit Marx und Bibel gegen Trump | |
| Die 70-jährige Maxine Phillips gehört den religiösen Sozialisten an. Seit | |
| Trumps Präsidentschaft haben auch sie deutlichen Zulauf. | |
| Debatte Linker Populismus: „Kosmopolit“ als Schimpfwort | |
| Auch Linke hegen den Wunsch nach einem gesellschaftspolitischen Rollback. | |
| Die Rechten freut’s. Eine Replik auf Nils Heisterhagen. | |
| Debatte US-Demokraten im Wahlkampf: Linker Angriff auf das Establishment | |
| Die Spitze der US-Demokraten setzt auf einen ambitionslosen Mitte-Kurs. Der | |
| Erfolg junger Parteilinker zeigt, wie es besser geht. | |
| Linke Sammelbewegung „Aufstehen“: Schon 50.000 Interessierte | |
| Sahra Wagenknechts Bewegung soll sich an von der Politik frustrierte Bürger | |
| richten, auch an AfD-Wähler. Es gebe bereits viele Anmeldungen, sagt Oskar | |
| Lafontaine. | |
| Sozialisten in den USA: „Ein Kampf von unten nach oben“ | |
| Die Democratic Socialists of America (DSA) sind die größte sozialistische | |
| Organisation der USA. Ein Gespräch über die Arbeiterklasse von heute. | |
| Demokratische Sozialisten Amerikas: Die Millennials sind da | |
| Bei der Organisation „Democratic Socialists of America“ engagieren sich | |
| zunehmend junge Leute. Bernie Sanders hat den Nerv der Generation | |
| getroffen. |