# taz.de -- Religiöse Linke in den USA: Mit Marx und Bibel gegen Trump | |
> Die 70-jährige Maxine Phillips gehört den religiösen Sozialisten an. Seit | |
> Trumps Präsidentschaft haben auch sie deutlichen Zulauf. | |
Bild: Ein Aktivist der Democratic Socialists vor einem Wahlkampfeinsatz mit Sex… | |
New York taz | Kann man falsch an Gott glauben? Maxine Phillips bleibt zwar | |
stehen beim Spaziergang in New Yorks West Village, aber sie überlegt nicht | |
lang. „Aber sicher“, sagt sie, „das sieht man derzeit doch besonders gut, | |
viele der Rechten beziehen sich schließlich auf die Bibel. Ich könnte | |
schreien, wenn ich Franklin Graham reden höre.“ | |
Graham, das ist der evangelikale Prediger, der Donald Trumps Wahl als | |
„Gottes Werk“ bezeichnete und immer wieder gegen Muslime und Homosexuelle | |
hetzt. „Der Mann ist eine Farce“, sagt Phillips. Ignorieren kann sie ihn | |
aber auch nicht, dafür hat er zu viel Einfluss. | |
Maxine Phillips gehört einer Gruppe an, die sich „Religious Socialists“ | |
nennt. Ein loses Netzwerk, in dem sich linke Gläubige im ganzen Land | |
organisieren. Zu den Treffen in New York kommen „mal fünf, mal dreizehn | |
Leute“, erklärt Phillips. Christen, Muslime, Juden, Buddhisten. Genaue | |
Zahlen hat auch sie nicht, es gibt keine offizielle Mitgliedschaft. Zentral | |
sei die Website, auf der sich freie Autoren mit Themen wie der Todesstrafe, | |
Karl Marx oder „Pride in the age of Trump“ beschäftigen. Auch ein Podcast, | |
Newsletter und Social-Media-Accounts werden gepflegt. „Und wenn es Proteste | |
gibt, haben wir einen eigenen Banner“, sagt Phillips. | |
[1][Die Religious Socialists sind Teil der Democratic Socialists of | |
America] (kurz: DSA), einer Organisation, die in den vergangenen zwei | |
Jahren von 7.000 auf über 50.000 Mitglieder gewachsen ist. „Ich habe in | |
meinem Leben noch nie so viel Interesse am Sozialismus erlebt wie im | |
Moment“, sagt die 70-jährige Phillips. Trump habe die Leute auf beiden | |
Seiten mobilisiert. Und das hätte sich auch bei der kleinen Fraktion der | |
Religiösen Sozialisten bemerkbar gemacht. Im nächsten Jahr soll sogar ein | |
nationales Treffen stattfinden, das erste in Jahrzehnten. | |
## Gegen Rechte und Linke | |
Maxine Philips trägt einen roten DSA-Stecker an ihrer lilafarbenen Weste. | |
Eine Missionarin sei sie gewiss nicht, aber ansprechbar möchte sie sein. | |
„Wenn ich vor zwei Jahren erzählt habe, [2][dass ich bei den DSA bin, | |
wusste fast niemand, wovon ich spreche]. Heute ist das komplett anders.“ | |
Und wie sehen die Reaktionen aus, wenn sie erzählt, dass sie dazu noch bei | |
den Religious Socialists ist? „Ich werde schon oft komisch angeguckt“, | |
antwortet Phillips. „Viele Linke sehen in der Kirche eine rückschrittliche | |
Institution. Dabei können wir auf eine lange Tradition des Widerstandes | |
zurückblicken.“ | |
Phillips muss sich gegen beide behaupten: Gegen rechte Instrumentalisten | |
wie den Prediger Graham. Und gegen Skeptiker aus Aktivistenkreisen. | |
Zumindest Letzteres macht sie mit viel Geduld. „Ich habe durch die Kirche | |
gelernt, mich mit Menschen auseinanderzusetzen, mit denen ich zwar nicht | |
immer einer Meinung bin, aber eine größere Vision teile“, sagt sie. | |
Sie wuchs in Pennsylvania auf. Ihre Eltern waren Sozialarbeiter und zählten | |
zu den wenigen Linken im konservativen Dorf. „Mein Vater sagte immer: | |
Sozialismus ist die einzige Lösung.“ Gezeigt wurde die politische Haltung | |
in der Öffentlichkeit allerdings nicht. „McCarthy-Ära. Kommunisten und | |
deren Sympathisanten wurden damals verfolgt.“ Die Familie ging sonntags in | |
eine protestantische Kirche, der Glaube gehörte von Beginn an zu ihrem | |
Leben. Abitur machte sie 1967, im „Vietnam-Sommer“, als die Proteste gegen | |
den Krieg gerade heißliefen und die Reden des Baptistenpastors Martin | |
Luther King jr. immer radikaler wurden. | |
Phillips wollte weg vom Land, zog nach New York, studierte dort | |
Journalismus und lebte in einer Kommune in Brooklyn. Bald entdeckte sie die | |
Judson Memorial Church in Manhattan, die sich dem Kampf für Bürgerrechte | |
verschrieben hatte. 1969 war das, seitdem besucht sie dort jede Woche den | |
Gottesdienst. „Im nächsten Jahr sind es 50 Jahre“, sagt Phillips und schaut | |
so, als wäre sie von der Zahl selbst überrascht. | |
## Krise nach Tod des DSA-Gründers | |
Die Judson Memorial Church liegt ebenfalls im Village, direkt am Washington | |
Square Park. „Gays against Guns“ steht auf einem Plakat, das an der | |
Außenwand hängt. Schwule gegen Waffen. Die Kirche, die sich für das Recht | |
auf Abtreibungen einsetzt, gehört zu den Treffpunkten der linken Szene. | |
Queere Hochzeiten finden hier statt, es gibt eine „Trans Bible Study“. Und | |
die Kirche gehört außerdem zum New Sanctuary Movement, einer Initiative, | |
die undokumentierten Einwanderern Schutz bietet. | |
Mit der Judson Memorial Church fand Phillips damals einen Ort, in dem sie | |
ihren Glauben und Aktivismus verbinden konnte. Die Religious Socialists | |
formierten sich erst ein paar Jahre später, 1974, bei einem sozialistischen | |
Treffen in Chicago. „Es ging darum, [3][Linken, die sich nicht für ihren | |
Glauben rechtfertigen wollen, einen Raum zu geben]“, erinnert sie sich. War | |
es also vor allem die Intoleranz der ungläubigen Linken, die diese Gruppe | |
nötig machte? Phillips überlegt einen Moment. „In gewisser Weise.“ | |
Immer mal wieder standen die Religious Socialists kurz vor der Auflösung. | |
Insbesondere um 1990, nach dem Tod des DSA-Gründers Michael Harrington, | |
schwand die Mitgliederzahl. „Harrington war der Vorzeigesozialist. Er hat | |
die ganze Organisation samt ihrer Untergruppen zusammengehalten“, sagt | |
Phillips. Sie selbst war eine kurze Zeit Executive Director der DSA. Auch | |
das Magazin Dissent leitete sie ein paar Jahre. | |
Dass es die Religious Socialists immer noch gibt, ist auch ihr Verdienst. | |
„Viele kommen aus konservativen Gegenden nach New York. Sie hassen die | |
Kirche irgendwie, aber sie wollen trotzdem hin.“ | |
1 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Hermsmeier | |
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