# taz.de -- Debatte US-Demokraten im Wahlkampf: Linker Angriff auf das Establis… | |
> Die Spitze der US-Demokraten setzt auf einen ambitionslosen Mitte-Kurs. | |
> Der Erfolg junger Parteilinker zeigt, wie es besser geht. | |
Bild: Überzeugte Kapitalistin: die demokratische Wortführerin im US-Repräsen… | |
Im Augenblick ihres größten Triumphs wurde Alexandria Ocasio-Cortez | |
zunächst einmal ignoriert, zumindest von der Spitze ihrer eigenen Partei, | |
der US-Demokraten. Nancy Pelosi, Chefin der Demokratischen Abgeordneten im | |
US-Repräsentantenhaus, antwortete etwas widerwillig, als sie Ende Juni auf | |
den Vorwahlsieg der 28-jährigen Kellnerin Ocasio-Cortez aus Queens gegen | |
den Establishmentkandidaten Joe Crowley angesprochen wurde. | |
„Es geht nur um einen einzigen Wahlbezirk“, sagte Pelosi trotzig. Auch | |
sonst hielten sich die Parteioberen mit Unterstützung für die | |
Überraschungskandidatin im 14. New Yorker Stimmbezirk zurück. Kein Wunder: | |
Crowley galt in Parteikreisen als möglicher Nachfolger Pelosis für den | |
Fraktionsvorsitz. | |
Genau wie Pelosi steht Crowley für eine zentristische Ausrichtung der | |
Partei. Ocasio-Cortez hingegen bezeichnet sich als demokratische | |
Sozialistin und fordert eine staatliche Jobgarantie für alle Bürger. | |
Crowley hatte Millionenspender auf seiner Seite, Ocasio-Cortez finanzierte | |
ihre Kampagne mit kleinen Privatspenden. | |
Crowley ist 56 Jahre alt, seine Widersacherin 28. Crowley sitzt seit fast | |
20 Jahren im Kongress, Ocasio-Cortez hatte noch nie ein politisches Amt. | |
Die Gegensätze zwischen den Kandidaten könnten größer kaum sein. | |
Deshalb kann man Pelosis genervte Äußerung als Symptom eines Konflikts in | |
der Partei deuten, der spätestens seit den Präsidentschaftsvorwahl-Erfolgen | |
des Parteilinken Bernie Sanders vor zwei Jahren unter den Demokraten | |
herrscht. Auf der einen Seite steht das Parteiestablishment. | |
## Alt gegen Jung, Links gegen Mitte | |
Es gruppiert sich um Spitzenpolitiker im Kongress wie Pelosi und den Chef | |
der Demokraten im Senat, Chuck Schumer. Sie stehen für das Werben um die | |
bürgerliche Mitte und gemäßigte Wirtschaftspolitik. Pelosi ist 78 Jahre | |
alt, Schumer 67. | |
Ihnen gegenüber stehen neben dem 76-jährigen Haudegen Sanders vor allem | |
jüngere, deutlich linkere Politiker, die vor allem von Graswurzelbewegungen | |
unterstützt werden. Dazu gehört Abdul El-Sayed, 33, ehemaliger Kandidat für | |
den Gouverneursposten in Michigan. Er fordert eine Bürgerversicherung, | |
stärkere Gewerkschaften und verpflichtende Lohnfortzahlung im | |
Krankheitsfall. | |
Oder Ben Jealous, 45, der dasselbe Amt in Maryland anstrebt. Er ist | |
ehemaliger Präsident der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NCAAP und will | |
ebenfalls eine staatliche Krankenversicherung für alle. Während El-Sayed | |
die Vorwahl verlor, hat Jealous die Nominierung gewonnen wie auch einige | |
seiner Mitstreiter. 41 Prozent der diesjährigen Vorwahlen konnten laut | |
einer Analyse der Brookings Institution linke Kandidaten gewinnen. Vor vier | |
Jahren waren es gerade mal 17 Prozent. Das zeigt: Die Rufe nach einer | |
sozialen und personellen Erneuerung der Partei werden lauter. | |
Diese Erneuerung ist überfällig. Denn das demokratische Zentrismusmodell | |
ist vor zwei Jahren krachend gescheitert. Mit Hillary Clinton schickte man | |
damals eine Präsidentschaftskandidatin ins Rennen, die mit einer | |
Teflonkampagne ohne Anliegen gegen den intellektuell wohl schwächsten | |
Republikanerkandidaten (Donald Trump) verlor. Neben ein paar halbherzigen | |
Gleichstellungsforderungen und dem Vorschlag, Studiengebühren und | |
Rückzahlungen zu begrenzen, hatte Clinton verteilungspolitisch wenig zu | |
bieten. | |
Sanders hingegen forderte einen deutlich höheren Mindestlohn von 15 Dollar | |
(aktuell 7,25 Dollar) sowie die Einführung eines angemessenen | |
Wohlfahrtssystems, womit er in den Vorwahlen auf breiter Ebene Anklang | |
fand. Clintons Niederlage gegen Donald Trump hätte ein Weckruf für die | |
Partei sein können, sich endlich mehr auf Verteilungsfragen zu | |
konzentrieren. | |
Stattdessen behielt man den Kurs auch in der Opposition bei. Drei Monate | |
nach der Wahl fragte ein junger Student auf einer Podiumsdiskussion Pelosi, | |
ob man sich nicht stärker von rechten Wirtschaftsdogmen distanzieren solle. | |
Die Spitzendemokratin antwortete: „Wir sind Kapitalisten. So sieht’s aus“. | |
Als die Republikaner im Mai dieses Jahres elementare Teile der | |
Finanzregulierung einstampften, stimmten zahlreiche Demokraten in beiden | |
Kammern dafür – zehn Jahre nachdem Millionen Amerikaner durch die | |
Finanzkrise ihre Jobs, ihr Vermögen und ihre Häuser verloren hatten. | |
## Mehr Basis wagen | |
Kandidaten wie Ocasio-Cortez zeigen, wie man es besser machen könnte. Mit | |
linker Politik und zivilgesellschaftlichem Engagement. Bisher kümmern sich | |
die Demokraten allerdings fast ausschließlich um Aktivisten an den | |
US-Eliteuniversitäten, wo sich die Kinder wohlhabender Eltern in | |
identitätspolitischen Diskursen ohne gesellschaftliche Anbindung ergehen. | |
Viel wichtiger wäre eine Einbindung der Graswurzelbewegungen, die eine | |
soziale Agenda direkt zu den Abgehängten der Riesennation bringen. | |
Hunderttausende Freiwillige kümmern sich in den USA um Obdachlose, | |
streichen die Häuser von Armen, die bei Hurrikanen beschädigt wurden, | |
verarzten Menschen, die keine Krankenversicherung haben. Sie könnten die | |
Basis für eine neue demokratische Bewegung sein und Wähler zurückgewinnen. | |
Es sind aber auch Menschen, die keine Lust haben, sich für den Machterhalt | |
greiser Establishmentpolitiker zu engagieren. | |
Glücklicherweise sieht die US-amerikanische Gesetzgebung ein ausgeprägtes | |
Personenwahlrecht vor. Jeder Kandidat kann seine eigenen Inhalte vertreten | |
und auch jederzeit gegen etablierte Kandidaten antreten – so wie | |
Ocasio-Cortez. | |
Das System ist zwar anfällig für Manipulation durch potente Geldgeber. Aber | |
es bietet – im Gegensatz zu Deutschland – auch Quereinsteigerkandidaten die | |
Möglichkeit, sich am Parteiapparat vorbei zu profilieren. Da kann ein brüsk | |
auftretender TV-Star Präsident werden und eine 28-jährige Kellnerin einen | |
Parteiveteranen schlagen. Dieses Innovationspotenzial sollten die | |
Demokraten sich endlich zunutze machen. Der Weg zurück ins Weiße Haus führt | |
über einen Linksruck und neue Gesichter. | |
20 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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