# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie denkt. Und sie handelt | |
> Sie ist 20, ist Amerikanerin und studiert in Tübingen: Gabriella Roncone. | |
> Sie hat eine App entwickelt, mit der sie die digitale Demokratie | |
> verteidigt. | |
Bild: Gabriella Roncone in ihrer Studentenbude in Tübingen | |
Gabriella Roncone studiert Politik und Informatik und wollte nicht nur | |
zugucken, wie die Demokratie erodiert. Sie hat etwas dagegen unternommen. | |
Draußen: Die Straßen in der Altstadt von Tübingen sind eng. Fährt ein | |
Lieferauto durch, müssen sich die Passanten gegen die Haustüren drücken. | |
Auch gegen die in der Froschgasse 1. Dort, im zweiten Stock hat Gabriella | |
Roncone ein Zimmer in einer WG. „Schuhe bitte ausziehen“, sagt sie. | |
Drinnen: Auch drinnen ist draußen. Die Stühle des Cafés im Hirsch sind | |
immer besetzt und stehen so nah, Roncone könnte aus einer Laune heraus aus | |
ihrem Fenster in Cappuccini spucken. Die neugotische St.-Johannes-Kirche | |
kann man zwar nicht sehen, aber dafür hören, auch nachts. „Ich musste mir | |
erst mal diese, wie heißen die?“, sie presst mehrmals ihren Zeigefinger | |
gegen ihr Ohr, „Oropax“ kaufen. Das Deutsch der Amerikanerin ist gut, nur | |
manchmal fehlen ihr Wörter. Sie entschuldigt sich mindestens neunmal dafür. | |
Das tut sie: Roncone studiert Politikwissenschaft und Informatik, | |
eigentlich an der Tufts University in der Nähe von Boston, aber momentan in | |
Tübingen. Ihre Fächer sind eine seltene Kombination. „Sie passen aber | |
perfekt!“ Politik und Informatik kommen, erklärt sie, dann zusammen, wenn | |
Staaten Computerangriffe nutzen, um ihre Interessen gegenüber anderen | |
durchzusetzen. Sie beschäftigt sich mit dem russischen Einfluss auf den | |
amerikanischen Wahlkampf oder mit Hackerangriffen wie dem auf ein deutsches | |
Stromnetz im vergangenen Sommer. „Es ist ein sehr spezifisches Interesse, | |
aber es ist sehr wichtig für unser Leben, und wird immer wichtiger.“ | |
Digitale Demokratie verteidigen: Beim Studium ist sie auf einen von der | |
Universität Harvard ausgeschriebenen Wettbewerb aufmerksam geworden, bei | |
dem es um die Verteidigung der digitalen Demokratie geht. Genau die | |
Verbindung von Politik und Informatik, die sie meint. Mit einer Freundin | |
machte sie sich daran, eine App zu entwickeln, die Social Bots in den | |
sozialen Netzwerken erkennen kann. | |
Meinungsmaschinen: Social Bots sind Programme, die in sozialen Netzwerken | |
menschliche Nutzer simulieren und so im Internet künstlich Stimmungen | |
verstärken können. Diese Accounts sind so programmiert, dass sie | |
automatisch bestimmte Posts schreiben oder teilen. „Das heißt, bei einem | |
solchen Post sitzt da keine Person, die aktiv etwas auf ihrem Computer | |
tippt.“ Gerade wenn es um Wahlkampf geht, wird es brisant. Russland wird | |
vorgeworfen, durch solche Bot-Programme amerikanische Wählermeinungen | |
während des Wahlkampfs beeinflusst zu haben. | |
Ein russischer Bot: Um eine App zu entwickeln, die diese Meinungsroboter | |
entlarven kann, musste sie zunächst verstehen, wie sie funktionieren. | |
Deshalb lag sie tagelang bäuchlings auf ihrem Bett oder saß auf ihrem | |
weißen Plastikstuhl direkt am Fenster, den Laptop vor sich, und hat | |
gelernt, wie russische Bots während des Wahlkampfs funktioniert haben. „Das | |
war nicht so einfach.“ Es gibt bestimmte Muster, die darauf hindeuten, dass | |
ein Account ein Bot sein kann. Die App der 20-Jährigen ist so programmiert, | |
dass sie diese Muster erkennt und davor warnt. Hinweise sind zum Beispiel | |
die Profilfotos oder die Emotionalität in der Sprache. Alle Faktoren kann | |
sie aber nicht verraten. Wenn alle wüssten, wie genau die App funktioniert, | |
würden die Bots entsprechend angepasst. „Dann wäre unsere App bald | |
nutzlos.“ | |
Doppelt gewonnen: Die Universität Harvard hat ihr die Flugtickets in die | |
USA gebucht, um ihre App dort auf einer Konferenz vorzustellen. „Das war | |
praktisch, da konnte ich auch meine Eltern und meinen Bruder wiedersehen, | |
sie leben ganz in der Nähe.“ Roncone und ihre Freundin haben den ersten | |
Preis und damit 10.000 US-Dollar, gewonnen. Was sie mit dem Geld macht? | |
„Wahrscheinlich meine Studiengebühren zurückzahlen, dafür wird es nicht | |
einmal reichen.“ Erst danach ist ihr aufgefallen: „Wir waren die einzigen | |
Frauen beim Wettbewerb, und wir haben gewonnen.“ | |
Ash Carter: Als das Thema unserer Zeit bezeichnet Ash Carter, | |
US-amerikanischer Verteidigungsminister unter Obama, die böswillige | |
Fehlinformation im Internet. Er saß in der Jury des Wettbewerbs, an dem | |
Roncone teilgenommen hat („Es war wie im Traum“). Ihn kannte sie eigentlich | |
schon. Vor zwei Jahren hat sie ein Praktikum im amerikanischen | |
Verteidigungsministerium gemacht. Dort haben sie sich in den langen Gängen | |
im Vorübergehen „Hi“ zugerufen. Während der Konferenz ist sie zu ihm und | |
hat gefragt, ob er sich an sie erinnert. Seine Antwort: Nein. „Aber er ist | |
trotzdem nett.“ | |
Zukunft: Wenn sie mit der Uni fertig ist, will die 20-Jährige in einer | |
Computersicherheitsfirma arbeiten, entweder in den USA oder in Deutschland. | |
Am liebsten möchte sie durch diese Arbeit auch die Politik beraten. Zu | |
viele Pläne macht sie nicht, „das klappt dann sowieso nicht“. Was sie aber | |
weiß: „Wenn ich fertig bin mit meinem echten Job“, also in Rente, „dann | |
mache ich einen Laden auf, der Buchhandlung, Bäckerei und Bar ist, alles in | |
einem.“ | |
Schokolade versteht: Bücher und Backen liebt sie. Wenn sie gestresst ist | |
und die Nacht durcharbeiten muss („mit Informatik passiert das ziemlich | |
oft“), dann backt sie amerikanische Schoko-Cookies, auch nachts um zwei. | |
„Chocolate understands, Schokolade versteht.“ | |
Auf Deutsch ist sie nicht so amerikanisch: Vor vier Jahren hat Gabriella | |
Roncone begonnen, Deutsch zu lernen. In Tübingen hat sie bemerkt, dass sich | |
die Sprache auch auf ihre Persönlichkeit auswirkt. „Es ist ein komischer | |
Wechsel in meinem Kopf. Wenn ich mit meinen amerikanischen Freunden rede, | |
dann bin ich laut und habe so viele Gefühle. Auf Deutsch bin ich etwas | |
ruhiger, und irgendwie auch seriös.“ Mit ihrem deutschen Freund, den sie in | |
Tübingen kennengelernt hat, redet sie deshalb meist Englisch. | |
Neue Sicherheit: In den USA sind Frauen nicht so respektiert, sagt sie. Als | |
der Mann, der öffentlich „grab her by the pussy“ sagt, Präsident wurde, | |
hatte sie Angst. Ein halbes Jahr später kam sie nach Tübingen und war | |
überrascht, dass ihr hier seltener auf der Straße hinterhergerufen wird. | |
„Das passiert in den USA ständig.“ Sie träumte sogar schlecht davon. | |
Tübingen habe ihr eine neue Sicherheit als Frau gegeben. Um ihren Bachelor | |
abzuschließen, geht sie zurück in die USA. Danach kann sie sich aber | |
vorstellen, wieder in Deutschland zu leben. | |
Verwurzelte Migrantin: Sie bezeichnet sich als Migrantin in Tübingen. „Es | |
macht keinen Sinn für mich, dass Leute dieses schlechte Gefühl über | |
Geflüchtete haben, aber nicht über mich.“ Obwohl sie glaubt, dass in | |
Tübingen die meisten Menschen „eher pro als contra Geflüchtete“ sind, gibt | |
es doch Gegenbeispiele. „Wie Boris Palmer auf Facebook über Geflüchtete | |
schreibt, schlimm!“ Obwohl sie nur ein Jahr in Tübingen ist, fühlt sie sich | |
verwurzelt. Für jede Stimmung und Gefühlslage hat sie ein Café gefunden. | |
„Ich weiß, dass ich Wurzeln in einer Stadt habe, wenn ich ein gutes Café | |
gefunden habe.“ | |
Der Sommer ihres Lebens: In ihrem Zimmer hängen viele Postkarten und Fotos | |
(„ich bin sehr emotional“). Eins zeigt sie mit Freunden in den USA. Sie | |
haben im Sommer einen aufblasbaren Pool, eine Palme, eine Limette und eine | |
Kokosnuss gekauft. „Wir haben Hawaii-Urlaub in unserem Hinterhof gemacht.“ | |
Dazu haben sie Harry Nilssons „Coconut“ gehört und danach hatten alle einen | |
Sonnenbrand. „Das war der Lieblingssommer meines ganzen Lebens, wegen | |
diesem einen Tag.“ Auf Hawaii war sie schon mal – im Bauch ihrer Mutter. | |
Als ihr Vater beim Militär war, hat die Familie kurzzeitig auf Hawaii | |
gewohnt. | |
Und was hält sie von Angela Merkel? Früher hatte sie ein „sehr romantisches | |
Bild“ von Angela Merkel („weil sie eine starke Frau ist, das finde ich | |
immer wichtig“). Mittlerweile denkt sie, dass Merkel zu langsam | |
entscheidet: „Was sie tut, fühlt sich nicht politisch an, obwohl es | |
natürlich Politik ist.“ Außerdem hat sie gelesen, dass Merkel ihr Amt nicht | |
nutzt, um sich für andere Frauen einzusetzen. „Ich finde, wenn eine Frau | |
Macht hat, sollte sie andere Frauen unterstützen.“ | |
14 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Lisa Becke | |
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