# taz.de -- Der Hausbesuch: Auf der Höhe der Zeit | |
> Paul Georg Wandrey ist Kirchenvorsteher, CDU-Kreisvorsitzender in | |
> Darmstadt – und 28 Jahre alt. Er ist tief verwurzelt in der Stadt. | |
Bild: Paul Wandrey in seinem Wohnzimmer | |
Er trägt Seitenscheitel und Hemd. Während er spricht, bildet sich zwischen | |
den Augenbrauen eine Falte. Zu Besuch bei Paul Georg Wandrey: Ingenieur, | |
Vater, Ehemann, Kirchenvorsteher, CDU-Kreisvorsitzender in Darmstadt – 28 | |
Jahre alt. | |
Draußen: Im Darmstädter Stadtteil Bessungen wohnen bürgerliche | |
Darmstädter. Und einige alternative Studierende, die sich abends auf | |
Reggae-Abenden in der „Bessunger Knabenschule“ hin und her wiegen. | |
Drinnen: Niedrige Decken, knarzende Dielen. Zusammengewürfelte Ledermöbel | |
gruppieren sich um einen Couchtisch im Wohnzimmer, dahinter farbige | |
Vorhänge. In seiner alten Wohnung habe es nur schwarze Möbel gegeben und | |
nichts an den Wänden. Das „Farbkonzept“ in der jetzigen Wohnung sei | |
Schwarz-Türkis, habe seine Frau gesagt, die der Meinung ist, Türkis mache | |
es gemütlicher. Auf dem Esstisch steht Tomaten-Risotto. Wandrey hat | |
gekocht. | |
Urkunden: Auf einem Regal steht die Heiratsurkunde, zusammen mit | |
Hochzeitsbildern und der Taufkerze der Tochter. „Unsere Heiratsecke.“ Auf | |
einer eingerahmten Urkunde neben dem Bett bedankt sich die Junge Union bei | |
ihm für „Reformen, gute Ratschläge und Werte“. Solle man ruhig in Ruhe | |
lesen, sagt er stolz, während er durch die Wohnung führt. | |
Bindungen: Wandrey ist in Darmstadt geboren und aufgewachsen. „Ich habe es | |
zum Leben auch noch nie verlassen.“ Über Work-and-Travel oder Ähnliches | |
habe er nie nachgedacht. Er hängt viel zu sehr an Darmstadt. Seine Familie | |
lebt hier „sehr konzentriert“, seine Freunde. Eigentlich sei immer noch | |
alles wie früher. „Wir machen bloß vielleicht etwas weniger Unsinn.“ | |
Lokalkarriere: Schon während der Abiturprüfungen hingen Wahlplakate von ihm | |
überall in der Stadt. „Da hat es leider noch nicht geklappt“, er war auf | |
der Liste noch zu weit hinten. „Aber ich habe immer Plätze gutgemacht.“ | |
Seit zwei Jahren ist er Kreisvorsitzender seiner Partei, war vorher | |
Kreisvorsitzender der Jungen Union. | |
CDU: Mit 18 Jahren ist er der CDU beigetreten, weil er sie als | |
„Volkspartei“ begreift und sie einen „gesellschaftlichen Ausgleich“ | |
schaffe. Er ist sich relativ sicher, dass die meisten aus seiner Familie | |
auch CDU wählen. „Es gab einen entfernten Verwandten, da haben wir gesagt | |
‚der Kommunist‘, weil er in der SPD war. Aber das ist schon bisschen länger | |
her.“ | |
Seine Basisarbeit: Er hat anfangs viel Zeit investiert, um sich bekannt zu | |
machen. „Ich war extrem aktiv. Ich war auch im Stadtteilverband der CDU | |
unterwegs, habe Würstchen beim Sommerfest gegrillt.“ Das habe ihm eine | |
gewisse Grundlage gegeben. | |
Weitermachen: Mit zunehmendem Erfolg wächst aber auch der Erwartungsdruck: | |
„Am Anfang denkst du: Ha! Da hast du jetzt richtig was geschafft und alle | |
schütteln dir die Hand. Und im zweiten Moment denke ich immer: Jetzt geht’s | |
eigentlich erst los. Sieh bloß zu, dass du es nicht versaust.“ | |
Werte: Seine Wertevorstellung ziehe er aus seinem Glauben. In der | |
Paulus-Gemeinde ist er Kirchenvorsteher, weil er dorthin eine „gewisse | |
Bindung“ habe. Er wurde dort getauft, konfirmiert und hat dort geheiratet. | |
Nächstenliebe und „der Aspekt der Selbstständigkeit“ seien ihm wichtig, | |
egal ob es um Harz IV gehe oder um Menschen, die nach Deutschland fliehen. | |
Vor allem gehe es da um „Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt er. | |
Deutsche Leitkultur: „Die gibt’s auf jeden Fall und die ist auch wichtig, | |
damit Integration funktionieren kann“, sagt Wandrey. „Da geht es nicht um | |
Schnitzelessen oder so was, aber die Menschen brauchen ja auch | |
Orientierung, wenn sie sich integrieren sollen.“ Auf die Frage, wie diese | |
Leitkultur aussehen solle, antwortet er: „In meinen Augen wird die zu | |
großen Teilen durch das Grundgesetz beschrieben.“ Er nennt das Recht auf | |
Unversehrtheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das | |
Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit. Und sagt: „Allerdings | |
müssen das dann auch einige, die hier geboren sind, nochmal | |
verinnerlichen.“ | |
Strukturen: Längere Erholungspausen mag er nicht. Er braucht Strukturen, | |
Orientierung. Darum sei ihm auch die Organisation während seines Studiums | |
schwergefallen. „Das, was andere vielleicht toll finden – dass man selber | |
entscheiden kann, wann man aufsteht –, hat mich nie so gereizt.“ Heute | |
komme er nicht vor 23 Uhr nach Hause, nach dem Feierabend vom | |
Ingenieurbüro rufen zunächst noch seine politischen Termine. | |
Schaffen: Von Hause aus habe er gelernt, dass man im Leben immer eine | |
Aufgabe braucht, etwas tun soll. „Also faul zu Hause sitzen auf längere | |
Sicht gab’s nicht. Das kommt, weil wir aus Pommern kommen“, sagt er. „Mein | |
Opa ist im Krieg geflohen aus Westpreußen.“ Das „preußische | |
Pflichtbewusstsein“ habe er übernommen. | |
Bauen: Auch sein Beruf als Ingenieur kommt nicht von ungefähr. „Meine ganze | |
Familie hatte was mit Bauen zu tun“, von mütterlicher wie von väterlicher | |
Seite. „Ich habe mit 17 gesagt: ‚Ich mache auf keinen Fall, was meine | |
Eltern machen‘, um dann doch in die Richtung zu gehen.“ | |
Ein Bruch: Als Wandrey 15 war, starb seine Mutter. „Das war natürlich ein | |
Bruch“, sagt er. „Das hat mich noch relativ lange beschäftigt und mich auch | |
langfristig runtergezogen.“ Wandrey sagt: „Wir haben eben immer zu viert | |
zusammengelebt, mein Bruder, mein Vater, die Mutter und ich – und wenn da | |
eine Person unerwartet rausgerissen wird, dauert das lange, bis man sich | |
arrangiert hat.“ | |
Drei Männer: Zurück blieben drei Männer. „Am Anfang haben wir viel zusammen | |
gemacht, Ausflüge, meistens sind wir was essen gegangen, und das war | |
wirklich eine andere Stimmung, weil ein Blickwinkel gefehlt hat.“ | |
Die Mutter: Seine Mutter war eine Anpackerin gewesen. „Sie war auch | |
Unternehmerin, also mit meinem Vater auf demselben Level.“ Seine | |
Vorstellung von Geschlechterrollen habe das geprägt. „Es gab darum für mich | |
nie Zweifel, dass Frauen das, was Männer können, auch können.“ Aber | |
heutzutage sei das ja keine Frage mehr, fügt er hinzu. Wenn Wandrey davon | |
spricht, was „heute“ alles anders ist, macht ihn das älter. | |
Elternzeit: Weil man das heute so mache, geht Wandrey auch bald in | |
Elternzeit. Und er nimmt seine Tochter auch zu seinen politischen Terminen | |
mit. „Quengelt sie halt. Aber das ist ja kein Problem, das gehört ja dazu. | |
Wenn wir dann wie im Moment über Kindergartengebühren diskutieren, dann | |
kann auch ruhig mal ein Baby dabei sein.“ | |
Ein Konservativer: Ob er aus einer „Bäckerei für Konservative“ komme, sei | |
er schon gefragt worden, sagt Wandrey. Aber er rezitiert hierzu bloß seinen | |
Slogan: „Ich mache das, was gemacht werden muss.“ Um seine Authentizität zu | |
unterstreichen, packt Wandrey dann noch folgenden Satz aus: „Am Ende vom | |
Tag wirst du nur Erfolg haben, wenn du authentisch bist.“ Und er sagt: | |
„Außerdem wäre es mir viel zu anstrengend, es nicht zu sein.“ | |
Underdressed: Wandrey erzählt, dass er sich mit Krawatte eben wohler fühle. | |
Er berichtet von Neujahrsempfängen der Grünen, die er besucht. Die Grünen | |
sind stark in der Stadt, Darmstadts Oberbürgermeister ist ein Grüner. „Da | |
bin ich dann meistens der Einzige mit Krawatte“, sagt er. „Und dann sagt | |
mein CDU-Kollege zu mir: ‚Paul, du bist wieder overdressed.‘ Und dann sag | |
ich: ‚Ne, alle anderen sind underdressed, man muss es so rum sehen.‘“ | |
Wandrey presst die Lippen aufeinander, um ein Lächeln zurückzuhalten. | |
Anders sehen: Ein Ja-Sager ist Wandrey nicht. „Am Anfang war ich innerhalb | |
der CDU schon ein ziemlicher Revoluzzer“, sagt er. „So abgeklärt und | |
pragmatisch, wie ich heute an die Dinge rangehe, bin ich damals nicht | |
rangegangen. Ich war furchtbar vorlaut und wusste alles besser, | |
mittlerweile lass ich das nicht mehr so durchblicken.“ | |
Homosexualität: Auch seine Themen hätten ihn zu einem Aufsässigen gemacht. | |
„Ich bin mit einer Gruppe von Leuten bestimmte Themen angegangen, wo ich | |
der Meinung war, da müssen wir die Partei jetzt drehen“, sagt er. Das Thema | |
seiner Zeit in der Jungen Union: die Homo-Ehe. Auch wenn ihm Ältere damals | |
geraten hätten, dass das Thema seiner politischen Karriere nicht nütze, | |
habe er es forciert. Es sei ihm dabei um Gerechtigkeit gegangen. „Ich habe | |
gesagt: So, jetzt müssen wir die Partei hier mal auf Vordermann bringen. | |
Ich steh zwar hinter der grundsätzlichen Politik, aber in dem Thema muss da | |
jetzt irgendwie was laufen.“ | |
Etwas bewegen: Die Darmstädter habe er dabei hinter sich gewusst: „Und | |
irgendwann hatten wir Hessen gedreht in der Frage. Ich glaub, in zwei | |
Jahren – und das ist eine relativ kurze Zeit.“ | |
Angela Merkel: Er mag ihren Pragmatismus, ihr Verantwortungsbewusstsein. | |
Sie polarisiere dadurch auch sehr wenig. „Ich glaube, dass das bei dem | |
aktuellen Zeitgeist die richtige Herangehensweise ist.“ | |
3 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Lea Diehl | |
## TAGS | |
Darmstadt | |
CDU | |
christliche Werte | |
Leitkultur | |
Schwabing | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Sie lebt mit dem #Hashtag | |
Es gibt viele Wege, sich einzumischen. Bettina Böck hat einen für sich | |
gefunden. Sie kommentiert die Welt auf Instagram, Twitter und Facebook. | |
Bundestreffen der „Jungen Union“: Merkels Rasselbande | |
Am Samstag testet die CDU-Chefin, über welchen Rückhalt sie bei ihrem | |
Parteinachwuchs verfügt. Schon letztes Jahr rumorte es kräftig. | |
Der Hausbesuch: Platten, alles voller Platten | |
Günther Hartig war Buchdrucker und Gewerkschafter. Ein Kommunist, der immer | |
wieder die USA bereiste. Der Grund: seine Liebe zum Rock ’n’ Roll. | |
Der Hausbesuch: Das Geld war ein Schock | |
Der Vater war reich, geizig und brutal. Sein Sohn Henry Nold versucht mit | |
seinem Erbe Bleibendes zu gestalten. Zu Besuch in seinem Garten. | |
Der Hausbesuch: Mehr Licht für deutsche Gehirne | |
Ex-„Tatort“-Kommissar Peter Sodann sammelt auf einem sächsischen Rittergut | |
DDR-Bücher. Jetzt will er in ganz Ostdeutschland Bibliotheken aufbauen. | |
Der Hausbesuch: Unter Engeln | |
Christiane Friedrich lebt seit vier Jahren mit Mina Shahiedi zusammen. Als | |
deren Tochter nach der Flucht starb, rückten beide noch enger zusammen. | |
Der Hausbesuch: Sie denkt. Und sie handelt | |
Sie ist 20, ist Amerikanerin und studiert in Tübingen: Gabriella Roncone. | |
Sie hat eine App entwickelt, mit der sie die digitale Demokratie | |
verteidigt. |