# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie lebt mit dem #Hashtag | |
> Es gibt viele Wege, sich einzumischen. Bettina Böck hat einen für sich | |
> gefunden. Sie kommentiert die Welt auf Instagram, Twitter und Facebook. | |
Bild: Bettina Boeck in ihrer Küche | |
Als ihre Zwillingsschwester geboren war, wusste nicht mal ihre Mutter, dass | |
da noch ein zweites Baby raus will. Sie schaffte es, aber der | |
Sauerstoffmangel war groß. Das war 1968. Fünfzig Jahre später ist Bettina | |
Böck vor allem virtuell mobil. | |
Draußen: München-Schwabing, gleich am Wedekind-Platz. Am frühen | |
Sonntagnachmittag rollen langsam drei BMWs mit Rallyestreifen durch die | |
Feilitzschstraße. Unten im Occam Deli wird Bio-Omelett mit Quinoa und | |
Granatapfelkernen serviert. Oben in der dritten Etage wartet Bettina Böck. | |
Wer zu ihr möchte, drückt nach dem Klingeln die schwere Haustür mit dem als | |
B gestalteten Türgriff auf – Vater Böck hat es einst für sein Haus | |
anfertigen lassen. Vorbei am im Hof geparkten Elektrorollstuhl gleitet der | |
Lift langsam hinauf. Hinter der Wohnungstür bellt Hündin Tali dem Gast | |
entgegen. | |
Das Schild vor der Brust: Bettina Böck freut sich über den Besuch. Sie | |
sitzt leicht verkrümmt in ihrem Rollstuhl und fängt sofort an zu erzählen. | |
Sie sieht toll aus: schwarz gekleidet von Kopf bis Fuß, um den Hals an | |
einer Kordel das iPhone und vor der Brust das Objekt einer irischen | |
Schmuckkünstlerin: schillernde Reflektoren, eingenäht in winzige schwarze | |
Netze. „Ich wollte immer ein Schild vor der Brust, vor dem Herzen“, sagt | |
sie. Ihre Schwester habe ihr die Kette zum 50. Geburtstag geschenkt. | |
Die Familie: Angelika, die Schwester, und sie sind Siebenmonatskinder. Bei | |
der Geburt, 1968 war das und auch Ultraschalluntersuchungen für werdende | |
Mütter nicht vorgesehen. „Die Geli war die Erste.“ Niemand, nicht einmal | |
die Mutter wusste, dass da noch ein Baby hinaus wollte in die Welt. Dass | |
die nachkommende Bettina dabei einen Sauerstoffmangel erlitten hatte, wurde | |
erst ein Jahr später erkannt. „Ich bin ja immer froh, dass es mich nicht am | |
Kopf erwischt hat“, sagt sie und lacht. | |
Drinnen: Ihre Zweizimmerwohnung ist barrierefrei. Die Wohnküche ist mit | |
Parkett ausgelegt. In der Ecke steht ein Sauerstoffgerät, Böck ist oft | |
erschöpft in letzter Zeit. Sie hat Schmerzen, aber auch einen | |
Schmerztherapeuten, von dem sie schwärmt. „Ich bin ja so schief“, erklärt | |
sie, „meine ganzen Organe liegen nicht da, wo sie müssten.“ Vor dem Fenster | |
steht ein unterfahrbarer Schreibtisch, daneben im Handregal | |
Nachschlagewerke. Ihr Lieblingsbuch: Dornseiffs „Deutscher Wortschatz nach | |
Wortgruppen“. In 20 Hauptabteilungen sind darin Begriffe „von der äußeren | |
Natur und den allgemeinen Seinsbeziehungen zum Subjektiven, zum sozialen | |
Bereich und der Kultur“ verschlagwortet. In der Zimmerecke hängt an einem | |
großen Ficus eine spiegelnde rote Weihnachtskugel. Nebenan im Schlafzimmer | |
steht ein breites Krankenbett vor gelb gestrichener Wand, auf dem | |
Schränkchen daneben: Musikanlage, Pillendose, Wunddesinfektionsspray, | |
Verbandzeug. An der Wand Edward Hoppers Bar-Gemälde „Nighthawks“. | |
Die Gefährtin: Pudeldame Tali wird ruhig, wenn sie gestreichelt wird. | |
„Dieses Viech, was Besseres hätte ich gar nicht kriegen können“, sagt Bö… | |
Sie hat Tali vor sechs Jahren von der Zirkusdirektorin Katharina Renz | |
geholt. „Ich sehe gleich, dass Sie meinen Hund haben können“, hat die | |
gesagt. Wenn Böck draußen unterwegs ist, läuft Tali neugierig umher. Die | |
rote Leine braucht es nicht unbedingt, Böck spricht von einer „Herzleine“: | |
Sie spürt, wenn Tali sich zu weit entfernt. Kommt so gut wie nie vor. Mit | |
ihren vom kalkigen Münchner Boden vermatschten Pfoten setzt Tali sich gern | |
zum Ausruhen auf Böcks in Spezialschuhen steckende Füße. Deshalb steht in | |
der Ecke eine Schuhputzmaschine, wie man sie aus Hotelfluren kennt. | |
Die Kunst: Bettina Böck ist Mikrotexterin. „Ich bin ein Zwitter zwischen | |
Autorin und Konzeptkünstlerin.“ Auf verschiedenen Kanälen – ihrem | |
Instagram-, dem Twitter- und ihren zehn Facebook-Accounts – postet sie | |
Fotos oder Screenshots anderer User und versieht sie mit Wörtern, Hashtags, | |
kurzen Texten. Es sind Text-Irritation, rätselhafte Kombinationen: | |
#echtfiction #dornseiff #bcfz. Den Personen, deren Fotos sie kopiert und | |
dann versendet, schreibt sie eine kurze Botschaft: #tfl. Thanks for lending | |
– Danke fürs Borgen. Das macht neugierig. Manche schreiben ihr dann, so | |
kommt Böck in Kontakt mit Menschen im Internet. | |
Sichtbar sein: Erst in letzter Zeit ist sie dazu übergegangen, auch Fotos | |
von sich zu posten: wie sie sich mit Tali in einer Schaufensterscheibe | |
spiegelt; Stufen, die für sie unüberwindbar sind. Essen, gern Kuchen. „Mit | |
dem Internet hat das Leben mir eine erzählerische Möglichkeit gegeben“, | |
sagt sie. Und dass sie sich wohler fühlt, wenn das Netz zwischen ihr und | |
ihren – mittlerweile tausenden Followern – ist. | |
Der Alltag: Morgens kommen „meine Leute“, um sie aus dem Bett zu holen und | |
fertig für den Tag zu machen. Einige ihrer PflegerInnen sind FreundInnen | |
geworden. Sie ist viel in Schwabing unterwegs, die Leute grüßen sie im | |
Vorübergehen: „Servus, Bettina!“ Regelmäßig trifft sie sich gleich hier … | |
Platz mit anderen zum Meditieren. „Hilft gut gegen die Schmerzen.“ Manchmal | |
steht sie auch einfach nur rum. | |
Gestern: Tags zuvor war sie in Schumann’s Bar am Englischen Garten. Es war | |
noch ganz leer. Der Wirt Charles Schumann („so prominent, aber auch so | |
introvertiert“) ist zu ihr rübergekommen, hat ihr ein Glas hingestellt und | |
gesagt: „Da, hasts was zum Trinken.“ | |
Heute: Ihre tausend Facebook-Follower sehen nun eine von ihr mit dem iPhone | |
fotografierte weinrote Tischdecke auf dem Gartentisch, hinten unscharf | |
wenige Gäste. Bettina Böcks Mikrotext: „Eine gute #Bar, hervorragende | |
#Cocktails, #Terasse mit #Parkblick. Fast könnte man meinen, es sei nicht | |
zu Hause. Ist es auch nicht … #nichtjedesmal. Ein Glück, dass ich fast | |
immer in #München bin, wo ich nicht jeden Stein kenne, nicht jeden Stock | |
und alle Gerichte in sämtlichen Gasthäusern. Na, so viele sind es auch | |
nicht. #HaltdasSchumanns #schumanns #bcfz #echtfiction #dornseiff | |
#Hofgarten #münchen“. Warum dieser Text, Bettina? „Das sind bewegliche | |
Collagen. Eigentlich interessiert mich nur die Satzstruktur. Ich lasse die | |
anderen teilhaben, wie ich lerne.“ Zum Schreiben braucht sie viel Zeit, | |
manchmal bis zu drei Stunden. | |
Die gestauchte Form: Ihre Texte sind gestaucht, ihr Körper ist gestaucht. | |
Ist, was sie macht also lebendige Philosophie? Böck lacht. „Ach, | |
Philosophie. Als intellektuell würde ich mich nicht bezeichnen, dafür weiß | |
ich zu wenig.“ | |
Die Zukunft: „Ich muss wahrscheinlich im Haus umziehen. Ich werde immer | |
langsamer.“ Dann: „Ich habe nicht wirklich schlechte Laune, aber das | |
nervt.“ Das Haus gehört zum Glück ihrer Familie. Um so erstaunlicher, dass | |
Böck noch immer schwer keuchend zwei Stufen überwinden muss, um vom | |
mechanischen in den elektrischen Rollstuhl zu kommen. Wer ihr dabei hilft, | |
kapiert auf einen Schlag, wie unglaublich begrenzt ein Mensch ist, der | |
ständig auf Hilfe angewiesen ist. | |
Wann ist sie glücklich? „Am schönsten ist es, auf dem Viktualienmarkt zu | |
sitzen, zu ratschen, und der Hund liegt daneben.“ | |
12 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
## TAGS | |
Schwabing | |
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