| # taz.de -- Der Hausbesuch: Aufheben, was vor die Füße fällt | |
| > Maria Mies sagt, sie habe in ihrem Leben viel Glück gehabt. Das führte | |
| > sie von einem Bauernhof in der Eifel bis nach Indien. | |
| Bild: Nicht nur Praxis, auch Theorie: Die Bücher in Mies' Regal erzählen von … | |
| Eigentlich brauche es nicht viel, um Partei für Frauen zu ergreifen. Man | |
| müsse nur genau hinschauen, meint Maria Mies, die mit 87 Jahren in einem | |
| Seniorenheim in Köln lebt. | |
| Draußen: In der Anlage der Caritas am Südrand Kölns wohnen Seniorinnen und | |
| Senioren, die früher in Afrika gearbeitet haben – manche von ihnen sind | |
| Nonnen. Einige Wohnungen haben individuell gestaltete Minigärten rings um | |
| ihre Terrassen herum. „Meine Restlandwirtschaft“, sagt Maria Mies und zeigt | |
| auf eine kräftige Basilikumpflanze. | |
| Drinnen: In der Wohnung stehen vor allem überquellende Bücherregale, auch | |
| im Flur. Auf einer Basttruhe liegt ein Überweisungsträger mit einer | |
| Spendenüberweisung an einen Frauenverein. Gelebt wird in der hellen | |
| Wohnküche. Außerdem haben Maria Mies und ihr Mann, der mit ihr hier wohnt, | |
| jeder ein Studierzimmer mit PC. | |
| Kindheit: Mies wurde zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1931 geboren, das | |
| siebte von zwölf Geschwistern auf einem Kleinbauernhof in der Vulkan-Eifel. | |
| „Wir hatten eine sehr schöne Kindheit. Wir mussten zwar immer auf dem Acker | |
| mithelfen, aber wir haben viel gesungen.“ Beim Einmachen sei gesungen | |
| worden, fällt ihr ein. Und abends seien die Nachbarn vorbeigekommen und | |
| dann hätten sie vor der Tür sitzend gemeinsam gesungen. | |
| Vergiftete Stimmung: Allerdings gab es während der NS-Herrschaft eine | |
| extrem aufgeheizte, vergiftete Stimmung im Dorf, erzählt sie. Der Vater | |
| habe als Katholik und Zentrum-Wähler die Nazis verachtet, die ihre Umzüge | |
| durchs Dorf veranstalteten. Die Mutter hasste sie auch. „Die Eltern haben | |
| mir ein großes Selbstvertrauen vermittelt“. Als Bauernkinder mussten sie | |
| während des Krieges nicht so viel hungern wie andere. | |
| Schule: Da ja nur ein Bruder den Hof übernehmen konnte, wurden die anderen | |
| Brüder Schreiner, Schlosser oder gingen in die Fabrik. Eine Schwester wurde | |
| Krankenschwester, die anderen heirateten. „Ich hatte Glück. Meine Lehrerin | |
| schickte mich auf die neue Schule der französischen Besatzer mit sehr | |
| engagierten Lehrern und Lehrerinnen.“ Mit dieser Vorbildung konnte sie | |
| Volksschullehrerin werden. Nach ein paar Jahren als Lehrerin in den Dörfern | |
| wollte sie raus, sagt sie „Ich lernte Englisch und wurde die erste | |
| Mittelschullehrerin, die in Rheinland-Pfalz Englisch unterrichtete.“ | |
| Indien: Die Sprache war das Tor zur Welt. „Das war ganz wichtig für mich.“ | |
| Bei sommerlichen Workcamp-Aufenthalten, etwa im Libanon, erfuhr sie von der | |
| Möglichkeit, sich am Goethe-Institut als Lehrerin zu bewerben. So kam sie | |
| 1962 nach Puna in Indien. „Ich fühlte mich in Indien sofort wohl. Mich | |
| störten weder die Menschenmassen noch das scharfen Essen oder das Fehlen | |
| eines Abwassersystems.“ Einer ihrer ersten Studenten war ein gebildeter | |
| junger, politisch interessierter Deutschlehrer aus Kalkutta: Saral Sakar. | |
| Er wurde ihr Mann. | |
| Patriarchat: Während der Ferien reiste sie auf eigene Faust durchs Land. | |
| „Ich hatte nie Angst.“ Sie wohnte bei Familien und stieß auf extrem | |
| ausgeprägte patriarchale Strukturen. „Das wollte ich genauer verstehen“, | |
| sagt sie. Deshalb ging sie, als sie nach fünf Jahren in Indien 1968 zurück | |
| nach Deutschland ging, zu René König, Professor für Soziologie an der | |
| Universität Köln. Sie erzählte ihm von den indischen Frauen. König fragte: | |
| „Warum promovieren Sie nicht gleich darüber?“ Gute Idee, dachte sie, und | |
| tat es. | |
| Frauenhaus: Als die Doktorarbeit 1972 fertig war, wurde in Köln die | |
| Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik eröffnet. Mies wurde | |
| Hochschullehrerin im Fachbereich Sozialpädagogik. Einige ihrer Studierenden | |
| schlugen dann vor, ein Haus für geprügelte Frauen einzurichten. Der | |
| zuständige Sozialdezernent behauptete, in Köln gebe es so etwas wie | |
| häusliche Gewalt nicht. Die Studentinnen gingen ins Fußgängerviertel und | |
| sammelten an einem Nachmittag tausend Unterschriften für ihr Vorhaben. So | |
| entstand das erste Autonome Frauenhaus – anders als in Berlin ohne | |
| staatliche Förderung. | |
| Auf zwei Beinen stehen: Maria Mies dachte, dass Praxis ohne Theorie nur | |
| eine halbe Sache sei. Als der Verein „Feministische Theorie und Praxis“ | |
| entstand, der während der 1980er Jahre ein Zentrum des feministischen | |
| Diskurses wurde, war sie deshalb dabei. | |
| Weitergehen: „1979 hatte ich das Glück“, sagt sie – und da ist es wieder, | |
| das Glück –, „dass eine Freundin mich für drei Jahre an das Institut für | |
| Social Studies in Den Haag vermittelte.“ Dort richtete Mies das erste | |
| europäische Women’s Studies Program für Frauen aus der Dritten Welt ein – | |
| sie wird jetzt erst recht zur Internationalistin, publiziert fortan vor | |
| allem auf Englisch. „Es war eine ungeheuer anregende Zeit! Bis heute bin | |
| ich mit einigen Frauen von damals befreundet.“ | |
| Ökofeminismus: „Ich bin heute im englischen Sprachraum und auf der | |
| Südhalbkugel bekannter als hierzulande“, sagt Mies. Denn nicht nur, dass | |
| sie publizierte, sie entwickelte auch Konzepte und Denkrichtungen wie den | |
| Ökofeminismus, die es vorher so nicht gab. Sie engagierte sich in | |
| internationalen Frauenverbänden wie Finrrage, dem Feminist International | |
| Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering. Mies ist | |
| eine Gegnerin der Reproduktionsmedizin. | |
| Vandana Shiva: „Eines Tages besuchte mich hier in Köln in Begleitung von | |
| Mann und Kind Vandana Shiva.“ Die spätere Ökoaktivistin war da gerade auf | |
| ihrer Rückreise von ihrem Physikstudium in Kanada. „Sie hatte damals noch | |
| gar keine Ahnung vom Feminismus.“ 1993 erschien in London dann ihr | |
| gemeinsames Buch „Ecofeminism“ – Ökofeminismus. | |
| Subsistenzperspektive: Bis heute ernähren die meisten Frauen auf der Erde | |
| sich und ihre Familie durch ihre eigene kleinbäuerliche Landwirtschaft. Die | |
| Männer in Politik und Wirtschaft würden die Arbeit der Frauen übersehen, | |
| meint Mies. Sie verstünden die Haus- und Versorgungsarbeiten von Frauen | |
| nicht als wertschöpfende Arbeit. So legitimieren sie dann auch das | |
| Landgrabbing im globalen Süden, mit dem sie Frauen und ihre Familien von | |
| ihren Selbstversorgerhöfen in den Hunger treiben. „Unsere | |
| Subsistenzperspektive hingegen macht deutlich, dass die Menschen erst | |
| einmal ernährt sein müssen, bevor sie einer Lohnarbeit nachgehen können.“ | |
| Aktivistin: Wer denkt, dass all das genug Lebensinhalt für Maria Mies | |
| wäre, täuscht sich. Zusammen mit den Grünen, Attac oder anderen | |
| Organisationen initiierte sie zudem verschiedene internationale Kongresse | |
| gegen die Auswüchse der Globalisierung. | |
| Matriarchat: Auf Maria Mies’ Küchenkommode stehen Göttinnen-Skulpturen. | |
| Darunter drei Matronen aus dem Römischen Museum. Für Mies stellt die | |
| Trinität von Großmutter, Mutter und Tochter die Kontinuität des | |
| menschlichen Lebens dar. Es seien Symbole gegen die inhumane Reproduktion | |
| des Lebens durch Gentechnik oder Reproduktionsmedizin. Maria Mies kann | |
| nicht aufhören, parteiisch für Frauen zu denken. | |
| Fallobst: Dann kramt sie aber ganz praktisch einen Sack Fallobst hervor, | |
| das sie am Tag zuvor auf ihrem Weg durch die nahen Schrebergärten | |
| aufgesammelt hat. Sie schält und schneidet die Äpfel, um Kompott daraus zu | |
| machen. „Du brauchst nur aufzuheben, was dir vor die Füße fällt, und so | |
| hatte ich eigentlich immer Glück.“ | |
| 26 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
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