| # taz.de -- Der Hausbesuch: Eine Frau auf festen Füßen | |
| > Als Beatrix Spreng 1994 nach Brandenburg zog, wollte sie „die | |
| > Wiedervereinigung leben“. Dann kamen Neonazis. Die Pastorin stellt sich | |
| > ihnen entgegen. | |
| Bild: Die Pfarrerin mit einem zusätzlichen Gedeck: „Wir sind ein offenes Hau… | |
| Joachimsthal, Brandenburg. Früher hatte der Ort ein Neonaziproblem, heute | |
| ist die Situation mit damals nicht mehr vergleichbar. Trotzdem haben hier | |
| bei der jüngsten Bundestagswahl mehr als 20 Prozent die AfD gewählt. Zu | |
| Besuch bei Beatrix Spreng, Pastorin in der Evangelischen Kirchengemeinde. | |
| Draußen: Eine Autostunde von Berlin entfernt liegt Joachimsthal. 3.200 | |
| Einwohner leben hier zwischen Seen, Hügeln und viel Wald. In einem alten | |
| Backsteinbau befindet sich das Pfarrhaus. Die Fensterläden leuchten in der | |
| Herbstsonne türkis, die Schinkelkirche gegenüber ist von einem Baugerüst | |
| verdeckt. Kurz vor elf, die Glocken läuten. Eine Gruppe Drei- bis | |
| Sechsjährige stolpert aus dem Kindergottesdienst. Pastorin Beatrix Spreng | |
| hat ihnen gerade die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt. | |
| Drinnen: Am Ende des Flurs die Wohnküche mit Blick in den verwunschenen | |
| Garten: Links ein Beet mit kindskopfgroßen Dahlien, in der Mitte ein | |
| Walnussbaum mit ausladenden Ästen, darunter Tische und Bänke. „Wir sind ein | |
| offenes Haus“, sagt Beatrix Spreng. Sie bereitet Teller mit Brötchen, Wurst | |
| und Käse vor und deckt auf dem Tisch ein zusätzliches Gedeck – für Jesus | |
| Christus oder einen Überraschungsgast. | |
| Umzug: Der Umzug von Berlin nach Brandenburg in den Neunzigern sei eine | |
| bewusste Entscheidung gewesen, sagt Beatrix Spreng. Als Geschäftsführerin | |
| von Aktion Sühnezeichen hatte sie miterlebt, wie schwer das Zusammenwachsen | |
| der damals geteilten Friedensorganisation war. „Da verstand ich, dass | |
| Wiedervereinigung auch gelebt werden muss.“ 1992 kaufte sie eine alte | |
| Scheune in der Nähe von Joachimsthal. Zwei Jahre später trat sie dort ihre | |
| Stelle als Pastorin an. Zu einer Zeit, in der Rechtsextreme öffentliche | |
| Plätze besetzten und gleichzeitig viele Geflüchtete aus Afrika, Bosnien und | |
| Kroatien in der Gegend lebten. Die Angst vor rassistischen Übergriffen war | |
| allgegenwärtig. „Ich wollte etwas dagegen tun.“ | |
| Überfall: Eigentlich sollte dieser Sommertag im Jahr 1994 ein schöner Tag | |
| werden. Beatrix Spreng hatte zusammen mit ihrem Mann Wolfhard Schulze, dem | |
| Leiter der Kreuzberger Musikalischen Aktion, ein Konzert für bosnische | |
| Flüchtlinge organisiert. Auf der Bühne standen auch Kinder mit polnischen, | |
| türkischen und arabischen Wurzeln. Schon während des Auftritts pöbelten | |
| Zuschauer rassistisch herum. | |
| Als die Kinder nach dem Konzert zum Tourbus liefen, wurden sie von einer | |
| Gruppe Neonazis empfangen, gewaltbereit. „Es waren bestimmt 60 bis 70 | |
| rechte Jugendliche, die uns da überfielen“, erinnert sich die Pastorin. Sie | |
| versperrten den Weg zum Bus, versuchten die Scheiben einzuschlagen und den | |
| Bus umzustürzen. Unter Polizeischutz ging es zurück nach Berlin. Besonders | |
| schockierte Spreng, dass auch einige ihrer Konfirmanden mitgemacht hatten. | |
| „Ganz normale 14-Jährige, die in der Lage gewesen wären, jemanden | |
| totzuschlagen.“ | |
| Projekt: Nach dem Mauerfall füllten in der Region oft rechtsextreme Gruppen | |
| das Vakuum, das durch den Wegbruch des sozialistischen Systems entstanden | |
| war. Vor allem Jugendliche gerieten in ihre Fänge. Dagegen setzte Beatrix | |
| Spreng ihre Initiative „Bands auf festen Füßen“ (Baff), ein | |
| Demokratieprojekt, bei dem immer zwischen 35 und 70 Jugendliche nicht nur | |
| singen und tanzen, sondern sich auch mit gesellschaftlichen Fragestellungen | |
| beschäftigen. | |
| Momentan sind es fünf Bands und drei Tanzgruppen. Auszeichnungen gab es | |
| viele, sogar einen Sonderpreis der Bundeskanzlerin. Das Projekt hat den Ort | |
| geprägt. „Mittlerweile gibt es kaum eine Familie, von der nicht ein Kind | |
| bei uns mitgemacht hat“, sagt Beatrix Spreng. | |
| Energiequelle: „Ich bin eine fromme Frau“, fällt ihr dazu als Erstes ein. | |
| Und dann ist da noch etwas, das man auf den ersten Blick nicht vermuten | |
| würde. Die Pastorin, die mit ihren blonden Locken und den japanischen | |
| Kirschblüten auf der Bluse einen sanftmütigen Eindruck macht, erzählt von | |
| diesem Charakterzug, sagt: „Wissen Sie, ich bin ein sturer Mensch. | |
| Wenn man’s mir schwer macht, dann gebe ich erst recht nicht auf.“ Und dann | |
| gab es da noch die vielen Unterstützer: ihre Familie, der | |
| Gemeindekirchenrat, die Kirchenmitglieder und ihre langjährige | |
| Mitarbeiterin Brigitta Klucke, die nun hereinschneit und selbst gekochte | |
| Apfelmarmelade auf den Frühstückstisch stellt. | |
| Die Mission: Als junges Mädchen ging Beatrix Spreng auf ein katholisches | |
| Mädchengymnasium in Kassel. „Für mich war Kirche wirklich gestorben | |
| danach.“ Trotzdem ließ sie das Christentum nicht los. Sie war fasziniert | |
| von den Anhängern der Bekennenden Kirche und den Querdenkern der | |
| 68er-Generation: Dorothee Sölle, Helmut Gollwitzer, Luise Schottroff und | |
| Claus-Dieter Schulze. „Die waren trotz aller Spiritualität auf Revolution | |
| gebürstet.“ In Mainz begann sie Evangelische Theologie zu studieren. | |
| Das Engagement: Sie konnte sich nicht damit abfinden, dass ihre Eltern – | |
| der Vater Physiker, die Mutter Kindergärtnerin – während des | |
| Nationalsozialismus keinen Widerstand geleistet hatten. „Meine Mutter hatte | |
| eine jüdische Freundin, und die war dann plötzlich nicht mehr da. Ich habe | |
| sie das ganze Leben nach dieser Freundin gefragt. Eine befriedigende | |
| Antwort habe ich nie bekommen.“ | |
| Überfälle: 13 Überfälle waren es, die der Pastorin und ihrer Arbeit galten. | |
| Mal wurden die Fenster eingeworfen, dann das Pfarrhaus zweimal ausgeraubt. | |
| „Ach, und einmal haben sie mir vor die Kirchentür gekackt.“ Sie erstattete | |
| jedes Mal Anzeige. Nach dem Einbruch wurden die Diebe geschnappt und einige | |
| wanderten für ihre Tat ins Gefängnis. „Das hat die Rechten damals sehr | |
| geschwächt.“ So viele Überfälle hätten so manchen in die Flucht geschlage… | |
| doch nicht Beatrix Spreng, sie blieb. | |
| Mischmasch: Ob Neonazi oder Demokrat, Feind oder Freund, das verwischt | |
| manchmal, wenn jeder jeden kennt. Ein Einbrecher sah deshalb auch kein | |
| großes Problem darin, sein Kind Jahre später in den Waldkindergarten der | |
| Kirchengemeinde zu schicken. Als die Pastorin ihn darauf ansprach, sagte er | |
| nur: „Da bin ich ja jetzt raus.“ Ein anderer, der ebenfalls an dem | |
| Diebstahl beteiligt gewesen war, präsentierte ihrer Mitarbeiterin eines | |
| Tages voller Stolz seine neue Jacke: „Schaun Se mal, Frau Klucke, die habe | |
| ich mir von dem Einbruch gekauft.“ | |
| Spiel: Kinder haben vor der Kirche ein Blumenbeet angelegt, in dem | |
| Schindeln mit „Wir sind bunt“ stecken. Sie werden von Unbekannten immer | |
| wieder zerschlagen. Seit zwei Jahren geht das so, erzählt die Pastorin. Am | |
| Anfang seien die Kinder noch furchtbar traurig darüber gewesen, doch dann | |
| hätte sie ihnen gesagt, denen zeigen wir’s und dass sie sich nicht | |
| entmutigen lassen dürfen. „Dann machen wir es eben zehn Mal neu. Na und? | |
| Letztlich geht es doch darum, in Kommunikation zu bleiben, und wenn es so | |
| eine doofe ist.“ | |
| Liebe: Einmal kam ein rechter Jugendlicher zu Beatrix Spreng und sagte ihr, | |
| dass er es nicht gut findet, dass sie ihn nicht mag. Sie würde doch alle | |
| Menschen mögen, sogar die Ausländer. Warum dann nicht auch ihn? Er bräuchte | |
| sie doch auch. „Da habe ich ihm gesagt, dass ich ihn auch lieb habe, aber | |
| seine Haltung ablehne.“ Das fand er dann schwierig. Aber er ist einer, der | |
| sie seitdem immer grüßt. | |
| Das Betteln: Was sie mit Sicherheit nicht vermissen wird, wenn sie in zwei | |
| Jahren in den Ruhestand geht, ist diese ständige Bettelei um staatliches | |
| Fördergeld, sagt Beatrix Spreng. Ihr will einfach nicht in den Kopf gehen, | |
| warum sie seit 25 Jahren jedes Jahr aufs Neue darum bangen muss, ob es mit | |
| ihrem Jugendprojekt gegen Rechts weitergeht. | |
| Heute: Die Atmosphäre im Ort ist mit den alten Zeiten nicht mehr | |
| vergleichbar. Der Bürgermeister setzte sich dafür ein, dass ein altes Hotel | |
| in ein Flüchtlingsheim umgewandelt wurde, viele Bewohner engagieren sich in | |
| der Flüchtlingshilfe. Seit 2011 gibt es hier einen Kulturverein mit | |
| Theater- und Kinovorstellungen, seit 2016 auch ein Lyrikhaus. „Die Leute | |
| stellen wieder Blumentöpfe raus, ohne Angst zu haben, dass sie zerschlagen | |
| werden“, sagt die Pastorin. | |
| Trotzdem will Beatrix Spreng die Gefahr nicht kleinreden. Rechtsextreme | |
| gebe es immer noch und die AfD ist hier erfolgreich. „Aber die Rechten | |
| können die Nase nicht mehr so stolz nach oben strecken wie früher. Dazu | |
| gibt es heute zu viele Andersdenkende.“ | |
| 18 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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