| # taz.de -- Der Hausbesuch: Das Geld war ein Schock | |
| > Der Vater war reich, geizig und brutal. Sein Sohn Henry Nold versucht mit | |
| > seinem Erbe Bleibendes zu gestalten. Zu Besuch in seinem Garten. | |
| Bild: Henry Nold im Vortexgarten auf der Darmstädter Mathildenhöhe | |
| Er ist ein Kämpfer gegen den Materialismus. Ihm gehört der Vortexgarten, | |
| der offen ist für alle. Zu Besuch Henry Nold, 52, auf der Mathildenhöhe in | |
| Darmstadt. | |
| Draußen: Henry Nolds Villa liegt zwischen Jugendstilbauten auf der | |
| Darmstädter Mathildenhöhe. Der „Hochzeitsturm“, wegen seiner Form | |
| „Fünffingerturm“ genannt, steht auf dem Hügel, ist Wahrzeichen der Stadt. | |
| Großherzog Ernst Ludwig gründete hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts die | |
| „Künstlerkolonie“, in der Künstler lebten und wirkten. Nold nennt seinen | |
| Garten heute „Künstlerkolonie im Miniformat“. Viele Touristen kommen | |
| hierher, angelockt durch das Schild „Today, welcome to our garden“. Die | |
| Führungen macht er barfuß. „Wenn ich gefragt werde: Bist du der | |
| Eigentümer?, sag ich immer: Es ist euer Garten.“ | |
| Garten: Es plätschert, rankt, fließt. Eine Engelsfigur glänzt in der Sonne. | |
| Und weiter verstreut im Garten sind Werke internationaler Kunsthandwerker, | |
| hinduistische Götterstatuen, Bienenstöcke, Fledermausnistkästen, ein großes | |
| Trampolin. Die wirbelförmigen Wasserspiele und auch die Eiformen im Garten | |
| sind an Arbeiten des Naturbeobachters und Wasserforschers Viktor | |
| Schauberger angelehnt. Fragt man Nold nach der Bedeutung seines Gartens, | |
| reiht er Namen aneinander, spricht schnell, erklärt sprunghaft: Der Garten | |
| sei ein „Gesamtkunstwerk“, wo „Chiffren miteinander reden: Gaudí, | |
| Schauberger, Goldener Schnitt, Kornkreise, Goethe, Spinoza, Pantheismus, | |
| Martinus“. Letzterer ein Mystiker. Nold könne all das nicht in Kürze | |
| erklären, aber man solle die Bedeutung des Gartens ja auch „intuitiv“ | |
| erkennen. | |
| Drinnen: Die Villa ist lichtdurchflutet, viel Magenta, überall | |
| Designerstücke, Gaudí-Stühle „aus unbehandeltem Holz“, wie Nold betont. | |
| Alles, was hier steht und hängt, ist aufmerksam ausgewählt. Auch die | |
| Anordnung der Kornkreismuster an einer Wand kommt nicht von ungefähr, ist | |
| durch eines der Werke der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama inspiriert. | |
| Auf einer Kommode stehen Spieluhren mit Zwölftonmusik, für jedes | |
| Sternzeichen eine. Will man vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer, kann man durch | |
| einen eiförmigen, türgroßen Durchgang in der weißen Wand steigen. | |
| Projekte: Nolds Wohnhaus ist eines von vielen „Projekten“, die ihm gehören | |
| und die er mit seinem „Team“ betreibt, etwa Seminarräume und Gästehäuser… | |
| Frankreich, Schweden und Deutschland. Wie im Garten geht auch im Haus das | |
| Private in das Öffentliche über. Nur eine kleine, schlichte Wohnung unter | |
| dem Dach ist gänzlich für ihn – und eine Bibliothek mit übervollen Regalen | |
| bis unter die Decke. Den größten Raum im Erdgeschoss nutze die Akademie für | |
| Tonkunst. Viele der Zimmer sind gelegentlich für Besucher geöffnet, manche | |
| vermietet Nold auch. | |
| Neuerungen: „Als ich die Bude kaufte, war sie dunkel und muffig“, sagt | |
| Henry Nold. Der Ausbau der Villa habe einen psychologischen Effekt gehabt. | |
| Der „alte Plunder“, die dunkle Vergangenheit, sollte raus. „Das ist | |
| irgendwie auch der Vater“, sagt er, erinnert sich ungern an seine Kindheit | |
| in Spanien. „Ich bin im Sozialbau groß geworden, im elften Stock mit ’nem | |
| kaputten Fahrstuhl.“ | |
| Kindheit: 1972 zog die Familie von Darmstadt nach Las Palmas. Nold war | |
| sechs Jahre alt. Er sei „in asozialen Verhältnissen“ aufgewachsen. „Essen | |
| gehen, Urlaub machen, das gab’s alles nicht. Meine Schwestern hatten nur | |
| ein Kleid. Ein Kleid!“ Obwohl sein Vater reich war. Knausrig sei er gewesen | |
| – und cholerisch. Wenn man am Tisch geredet hat, habe es Backpfeifen | |
| gegeben für die Kinder, die Mutter „mit ’m Gürtel“. Zum Essen wurde man… | |
| die Küche geschickt. Der Familie wollte der Vater von dem Geld nichts | |
| geben. „Er hat uns gesagt: Ihr seid enterbt.“ | |
| Sein Vater: Erich Nold war Kohlenhändler und bekannter Aktionär, „aufm | |
| Spiegel-Titel 58“, wiederholt Nold immer wieder. Er spricht voller Wut und | |
| doch mit Achtung, wenn es um den Vater geht. „Er ist auf Hauptversammlungen | |
| gegangen“, hat dort für die Rechte von Kleinaktionären gekämpft, mit | |
| „großem Idealismus“. „Er war ein Mensch, dem es um Demokratie geht, um | |
| Mitspracherecht“, sagt er. Aber: „Familie war ihm egal.“ Auch Henry Nolds | |
| Studium wollte der Vater nicht unterstützen. Um es zu finanzieren, | |
| arbeitete Nold als Lagerarbeiter, als Steward, war Schlafwagenschaffner in | |
| den Semesterferien. | |
| Wege: Vor seinem Studium war Nold Zeitsoldat in Kassel. „Ich wollte einfach | |
| mal sehen, wie’s ist“, sagt er. „Halt genau mal machen, was mir nicht so | |
| gefällt.“ Die Zeit in Kassel sei schön gewesen, inspirierend. „Ich war vi… | |
| im Wald. Ich war schon angehender Vegetarier, ich war ein friedlicher | |
| Mensch, wollte keinen umbringen oder so. Aber ich war in Kassel, und in | |
| Kassel war die Documenta, die Documenta hat mich inspiriert.“ Die Gedanken | |
| von Joseph Beuys hätten ihn geprägt, dessen Beschäftigung mit Geld und sein | |
| Leitspruch: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ | |
| Mystik: Theologie studierte Nold später, in Marburg. „Ich habe mich für | |
| Mystik interessiert.“ Und für Pantheismus. „Wenn man von Gott reden will | |
| oder von einer Gottheit, dann ist es das Universum für mich, alles, der | |
| Kosmos.“ Das theologische Studium jedoch sei ihm zu verschult gewesen, zu | |
| „dogmatisch“. Nach drei Semestern brach er ab. | |
| Banken: „Weil mein Vater mir das aufgedrückt hat, habe ich in Berlin ’ne | |
| Banklehre gemacht“, sagt Nold. Auch diese Zeit habe ihn geprägt, obgleich | |
| er sich nie habe vorstellen können, in einer Bank zu arbeiten. „Ich habe in | |
| Berlin auch richtig tolle Ökos kennengelernt“, sagt er, nennt als Beispiel | |
| den Volkswirtschaftsprofessor Bernd Senf, der sich „mit zinsfreiem Geld | |
| beschäftigt“ hat, Geld als „Blutkreislauf“ betrachte. | |
| Erben: Kurz vor Abschluss der Banklehre starb der Vater. Nold erbte | |
| plötzlich doch. „Es war ein Schock“, sagt er. „Weil ich wusste, ich will… | |
| eigentlich gar nicht“, weil er wusste, wie unglücklich das Geld den Vater | |
| gemacht hatte. | |
| Ausflucht: Obdachlosenprojekte habe er mit dem Geld zunächst unterstützt, | |
| später Permakulturprojekte. Er beschloss, in Ideen zu investieren, die | |
| bleiben. „Ich habe mein Geld in Ökoprojekte gesteckt. Ich wollte raus aus | |
| diesem System.“ Wir lebten in einer „Zeit der Exponentialität, also mehr | |
| Quantität statt Qualität“ – die Qualität, „das Menschliche, die Natur,… | |
| Biodiversität“, sei ihm wichtig, die wolle er bewahren, sagt Nold. | |
| Dogmen: Sein Garten sei ein Gegenentwurf zu einem „nihilistischen | |
| Materialismus“. Es gehe „nicht um Gurus, es geht hier nicht um Kohle, | |
| dagegen bin ich allergisch“, sagt er. Nold spricht hektisch, um zu | |
| erklären, wogegen er sich wehrt: „Goldman Sachs, Deutsche Bank, | |
| Geldschöpfen als solches ist auch ein goldenes Kalb, ist eine Sekte, ist | |
| ein Dogma, das ist fanatischer als jedes muslimische, christliche oder | |
| buddhistische oder hinduistische Dogma, fanatischer.“ Er nennt seinen | |
| Garten „einen undogmatischen Garten“, festlegen will er sich auf nichts. | |
| „Das hier ist ein anthroposophischer Brunnen“, erklärt er, auf einen der | |
| Brunnen deutend, „aber deshalb bin ich kein Anthroposoph.“ | |
| Intuition: Eine Frau aus Karlsruhe, die heute zum ersten Mal in dem Garten | |
| ist, trägt ein Shirt mit Kornkreismuster, hat von dem Garten gelesen. Auch | |
| Patienten aus einer Psychiatrie in der Nähe kämen öfter hierher, außerdem | |
| fänden sich oft Menschen aus einem Hospiz unter den Besuchern. Kürzlich sei | |
| auch jemand von der Europäischen Zentralbank hier gewesen. Irgendjemand ist | |
| immer hier, er spricht mit allen. Zu einem Paar aus Süddeutschland, das in | |
| den Garten kommt, sagt Henry Nold: „Eigentlich kann ich euch nicht sagen, | |
| worum es hier geht. Es liegt wirklich an euch, es herauszufinden.“ | |
| 24 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Lea Diehl | |
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