# taz.de -- Der Hausbesuch: Mehr Licht für deutsche Gehirne | |
> Ex-„Tatort“-Kommissar Peter Sodann sammelt auf einem sächsischen | |
> Rittergut DDR-Bücher. Jetzt will er in ganz Ostdeutschland Bibliotheken | |
> aufbauen. | |
Bild: Peter Sodan zeigt auf seine Bibliothek im ehemaligen Kuhstall des Ritterg… | |
Das Rittergut Staucha in Sachsen, mit Herrenhaus, Ställen und | |
Nebengebäuden, ist ein saniertes Ensemble sächsischer Baukunst. Auf dem | |
Gelände wohnt auch der Schauspieler Peter Sodann, der nach der Wende als | |
„Tatort“-Kommissar Ehrlicher bekannt wurde, und arbeitet an seinem | |
Lebenswerk. | |
Draußen: Im Erdgeschoss des Herrenhauses gibt es eine „Heimatstube“. Im | |
Saal neben der Eingangshalle finden die Gemeinderatssitzungen und kleinen | |
Veranstaltungen statt. Im ehemaligen Kuhstall wiederum wurde [1][die | |
„Peter-Sodann-Bibliothek“] eingerichtet. Man möge sich im Büro im ersten | |
Stock melden, steht auf einem Schild. Das ist der erste wirkliche Hinweis | |
auf den Ort, denn im Örtchen Staucha selbst fehlt jeder Hinweis auf die | |
Bibliothek. Es stört Peter Sodann nicht, dass man ihn nicht leicht findet, | |
„es ist gut, aus dem Gesichtsfeld zu sein“. | |
Drinnen: Im ersten Stock des ehemaligen Kuhstalls hat Peter Sodann sein | |
winziges Büro. Außer ihm ist niemand da, die Bibliotheksbrigade macht | |
gerade Mittagspause. Die hier tätigen Menschen finanziert Sodann aus | |
eigener Tasche. Öffentliche Förderung, etwa von der Kulturstiftung des | |
Bundes, wurde bisher abgelehnt. Den Mangel verwaltet Sodann halbwegs | |
erfolgreich. Es gibt private Spender. Das Antiquariat wirft ein bisschen | |
was ab wie auch die Veranstaltungen. An den Decken im Kuhstall hängen | |
Wohnzimmerlampen aus sämtlichen Epochen des 20. Jahrhunderts: „Damit etwas | |
Licht in die deutschen Gehirne kommt“, sagt Sodann. Zwischen den Lampen und | |
oberhalb der Bücherregale fliegen Schwalben umher. Ansonsten: Bücher, | |
überall Bücher, knapp eine halbe Millionen – Bücher, die in der DDR | |
erschienen. | |
Verlorene Bibliotheken: Ein „Baedeker Leipzig“ aus dem Jahr 1948 liegt | |
verlassen auf einem Tisch – aber im Prinzip ist alles systematisiert, | |
aufbewahrt in alten Bibliotheksregalen, etwa denen aus der ehemaligen | |
Deutschen Bibliothek in Leipzig. Sodann hat sie samt Mobiliar aufgekauft, | |
für 9.000 Euro. | |
Das Projekt: Nach der Wende fing Peter Sodann an, in der DDR publizierte | |
Bücher zu sammeln, als er mitbekam, wie der Bestand einer Bibliothek | |
komplett auf den Müll gekippt werden sollte. Danach konnte er nicht mehr | |
damit aufhören. Ganze Bibliotheken Verstorbener werden ihm mittlerweile | |
überantwortet, in Kisten verpackt geschickt. „Eine Frau besteht nun darauf, | |
dass ich die Bibliothek ihres Mannes originalgetreu wieder aufbaue, | |
inklusive Einrichtung – aber das kann ich nicht leisten“, sagt er. Im | |
Obergeschoss des alten Kuhstalls hängt ein Hinweisschild: „Zulässige | |
Deckenbelastung max. 500 kg pro Quadratmeter“. Wie viel wiegt ein Buch? | |
„Bücher vernichtet man nicht“ sagt Peter Sodann, sein ganzes Geld steckt im | |
Projekt. Morgens um 6.30 Uhr steht er auf und fängt an, sich um die | |
Bibliothek zu kümmern. Abends um 7 ist er müde, und um 10 geht er ins Bett. | |
Seine Frau arbeitet auch mit. | |
Sein erstes Buch: „Steppke zieht in die Welt“. Es handelt von einem | |
Waisenjungen, (wie Sodann einer war, der Vater starb im Krieg). Der Junge | |
geht in die Welt – am Ende findet er an der Nordsee wieder eine richtige | |
Familie, bei der er bleiben kann. „Lies nicht so viel“, hatte die Mutter | |
immer zu ihm gesagt. Das Buch besitze er bis heute, er hat es sich neu | |
binden lassen. Was den Vater angeht: „Sie haben meiner Mutter geschrieben, | |
dass sie ihn in der untergehenden Sonne beerdigt hätten. Aber dazu war gar | |
keine Zeit, sie waren doch schon auf der Flucht.“ | |
Die Russen: Standen 1945 mit ihren Lastwagen vor dem Elternhaus in | |
Weinböhla, Wilhelm-Gustloff-Straße. Als sie hereinkamen, brachten sie eine | |
gerupfte Gans mit, die die Mutter zubereiten musste. Am Ende saßen alle um | |
einen großen Tisch herum und aßen die Gans, dazu gab es Tee mit Früchten. | |
Kommunismus: „Ist schön, aber wenn man nicht beten kann, kann man ihn nicht | |
beschreiten“ sagt er, will damit aber nicht zum Ausdruck bringen, dass er | |
religiös ist. Mit seinem Freund Norbert Blüm hat er sich oft gestritten: | |
„Blüm will den Kapitalismus schönmachen, ich aber liebe den Kommunismus.“ | |
Einst wurde Sodann von der PDS/Die Linke als Kandidat für das Amt des | |
Bundespräsidenten aufgestellt. | |
Die AfD: „Ich bin nicht verbittert, aber sehr traurig.“ Sodann sagt, dass | |
die AfD auch ein Versagen der Linken im Osten ist, von denen, die immer | |
schon „mit einem Bein im Westen gewesen seien“. Doch auch unabhängig davon | |
gibt er zu bedenken: „In jedem Deutschen steckt ein kleiner Blockwart“. | |
Goethe: „Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht klug, ein Volk bleibt | |
immer kindisch.“ (Egmont) | |
Die Lagerhalle: In einem Industriegebiet, zehn Autominuten von Staucha, hat | |
Peter Sodann eine Halle auf einem verlassenen Militärareal angemietet. Ein | |
wüster Ort. Hier wird das Motto der Sodann-Bibliothek wahr: „Das Wissen des | |
Ostens in den Bananenkisten des Westens“. So weit man blickt: Bananenkisten | |
voller Bücher. Alles verpackt in Folie. In einem kleineren Raum stehen | |
Kisten mit Schallplatten aus der DDR. Auch sie will Sodann nicht wegwerfen. | |
„Es gab doch alles in der DDR“ sagt er. | |
Die Herberge: Die „Herberge zum guten Buch“ befindet sich in Fußweite zur | |
Bibliothek im Stauchaschen Rittergut und ist ein Kleinod. Mit individuell | |
eingerichteten, großzügig geschnittenen Zimmern. Es gibt Aufenthaltsräume, | |
eine Gemeinschaftsküche und an den Wänden hängen Sodann-Devotionalien: | |
Fotos von alten Inszenierungen, Filmplakate. Zeugnisse eines bewegten | |
Lebens. Sodann als junger Mann, zu Zeiten der DDR, als „Tatort“-Kommissar | |
nach der Wende. Wer hier absteigt, bekommt ihn garantiert zudem leibhaftig | |
zu sehen. | |
Der Plan: Noch mehr Bibliotheken dieser Art in Ost-Deutschland aufbauen. | |
Alle Bücher sollen gerettet werden. In Sachsen-Anhalt und in Thüringen | |
sollen weitere Häuser stehen. Zu diesem Zweck will Peter Sodann nun eine | |
Genossenschaft ins Leben rufen. Der Fortbestand der Bibliothek soll nicht | |
mehr allein von ihm abhängen, sondern von vielen getragen werden. Ein | |
Anteil, so stellt er sich vor, solle ungefähr 1.000 Euro kosten. Peter | |
Sodann muss an das Danach denken. | |
11 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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