| # taz.de -- Der Hausbesuch: In Japan wird er gehört | |
| > In der DDR hat sich Henning Schmiedt unsichtbar gemacht. Seine Musik aber | |
| > war da. Später wurde es leiser um ihn – nur in Japan kam er in die | |
| > Charts. | |
| Bild: Henning Schmiedt in seinem Wohnzimmer, das auch sein Aufnahmestudio ist | |
| Er hängt an der Vergangenheit und wiegt sich selten in Gewissheit über die | |
| Zukunft. Zu Besuch bei Henning Schmiedt, 53, freischaffender Pianist und | |
| Produzent in Berlin. | |
| Draußen: Geschäfte, die mit „Briefmarken und Modelleisenbahnen“ werben, | |
| daneben ein Comicladen – das Warenangebot mutet nostalgisch an in dieser | |
| Gegend in Berlin-Friedrichshain. Wer um die Ecke biegt, stößt unverhofft | |
| zwischen den Altbauten auf eine rote Kirche. Henning Schmiedt besucht sie | |
| gerne – wegen des Gefühls der Gemeinschaft, das er noch aus seiner Kindheit | |
| kennt. | |
| Hintergrundgeräusche: Täglich geht Schmiedt eine Stunde spazieren. Als | |
| Musiker, als Freischaffender könne er das tun, wann immer er will. „Ich bin | |
| der festen Überzeugung, dass man beim Gehen die Gedanken sortiert, das | |
| fühlt sich harmonisch an“, sagt er. Er lässt sich auf seinen Wegen von | |
| Hintergrundgeräuschen inspirieren. Auch denen, die bis in sein Wohnzimmer | |
| dringen. Wer genau hinhört, kann sie auch auf den Audioaufnahmen erkennen, | |
| die Schmiedt hier einspielt. | |
| Drinnen: Ein Röhrenmikrofon aus den 50er Jahren steht neben dem Klavier und | |
| dem Mac. „Ich mag es, alte und neue Technologie zu mischen.“ Analoge | |
| Klangverzerrungen seien für das Ohr sehr angenehm. Sie hauchten den | |
| Aufnahmen Leben ein. Ähnlich wie Alltagsgeräusche. „Ich habe in meinem | |
| Leben in vielen Studios aufgenommen.“ Aber es sei etwas anderes, „wenn hier | |
| ein Lkw vorbeifährt. Dann machen die Geräusche die Musik lebendig. Sie | |
| erzählen eine Geschichte.“ Dass diese Art Ästhetik geschätzt werde, habe | |
| Schmiedt erst in Japan gelernt. Etwas Schwermut liegt in seiner Stimme. | |
| „Der Prophet gilt eben nichts im eigenen Land.“ | |
| Kindheit: Geboren ist Schmiedt im Erzgebirge. Einige Schnitzereien in der | |
| Wohnung erinnern daran: Nussknacker, die Familienkrippe. „Das Erzgebirge | |
| ist das Weihnachtsland.“ An seine Kindheit denkt er gerne: „Das war sehr | |
| idyllisch dort. Es wurde viel gesungen, besonders an Weihnachten. Da | |
| spielten die Turmbläser bei Eiseskälte auf den Kirchtürmen.“ | |
| Widersprüche: In der sächsischen Kleinstadt, in der Schmiedt aufwuchs, sei | |
| sein Vater, ein evangelischer Pfarrer, Dreh- und Angelpunkt gewesen. „Hatte | |
| jemand Probleme, kam er zum Pfarrer“, sagt er. Auch wenn das bei der | |
| atheistischen Politik der DDR verwundern mag. „Es war ein permanenter | |
| Widerstreit.“ | |
| Mission Osten: Seine Eltern waren aus Westdeutschland in die sächsische | |
| Kleinstadt gezogen, drei Jahre vor dem Mauerbau. Als Pfarrer sah der Vater | |
| den Umzug als Auftrag. „Mein Vater wollte missionieren“, sagt Schmiedt. | |
| „Auch wenn er wusste, dass es dort nicht einfach wird.“ Mit dem politischen | |
| System sympathisierten sie nicht. „Wir waren in der Fundamentalopposition. | |
| Ein bisschen waren wir deshalb wie Helden. Aber natürlich hatte das auch | |
| Konsequenzen.“ | |
| Karriere: Zum Beispiel hätte Schmiedt gern Musik studiert. „Eine normale | |
| Karriere war für mich in der DDR nicht möglich. In der Absage stand: Aus | |
| Kontingentgründen. Aber klar war: Ich hatte keine Chance als Verweigerer | |
| und Pfarrerssohn.“ | |
| Dagegen- und zusammenhalten: Zentrum des Widerstands waren die Kirchen in | |
| der DDR. Schmiedt sagt: „Die Kirche hat einen Raum bewahrt, in dem man | |
| sprechen kann. Kirchentage, Friedensgebete, Friedensgottesdienste – das war | |
| alles schon subversiv.“ Ein Friedensgebet, das er später, kurz vor dem | |
| Mauerfall, in der Berliner Gethsemanekirche erlebte, sei ihm besonders in | |
| Erinnerung. „Die Kirche ist umstellt worden von Polizeihundertschaften.“ | |
| Auf der Straße: Kerzen, Schilder mit der Aufschrift: Keine Gewalt. „Und die | |
| Polizisten haben sich einfach Leute rausgegriffen, die aus der Kirche | |
| kamen. Zum Teil sind sie auf die Dächer hoch und die Polizisten hinterher, | |
| die haben richtig Jagd gemacht.“ | |
| Wege: Als der Vater die Pfarrstelle wechselte, zog Schmiedts Familie nach | |
| Rostock, wo er ein Konservatorium besuchte. Die Musik hat ihn 1986 nach | |
| Berlin gebracht. Und dem Wehrdienst wollte er dort entkommen. „Ich war sehr | |
| pazifistisch und wollte die Armee verweigern, aber das ging ja nicht. In | |
| der DDR stand darauf Gefängnis.“ | |
| Unsichtbar: Schmiedt hat sich unsichtbar gemacht, den Musterbefehl | |
| ignoriert, eine Wohnung in Prenzlauer Berg besetzt, sich polizeilich | |
| einfach nicht gemeldet. „Natürlich hätte man mich finden können“, sagt e… | |
| „Das war sehr naiv. Es hat nur deshalb geklappt, weil die Mauer dann | |
| gefallen ist.“ | |
| Eine Sprache: In seiner Jugend sei Schmiedt leise gewesen. „Ich habe immer | |
| das Harmonische gesucht. Ich war nie ein wilder Punk, habe lieber versucht | |
| zu harmonisieren.“ Seine Sprache fand er in der Musik. „In der Musik kann | |
| man viel sagen, ohne es mit Worten sagen zu müssen“, sagt er. Jedenfalls | |
| solange sie keinen Text hat. | |
| Freiheit: Musik bedeutete für Schmiedt Freiheit. Wie für viele andere | |
| Musiker, die er in Ost-Berlin traf, vor allem in der Jazzszene. „Der Hunger | |
| nach Musik war gigantisch. Der Free Jazz dort war weltweit führend“, sagt | |
| er. Als Jazzmusiker sei man auch leichter in den Westen gekommen. „Der Jazz | |
| war etwas, was man vorzeigen konnte.“ So kam Schmiedt auch einmal während | |
| eines Staatsbesuch von Erich Honecker zu einem Jazzfestival nach Belgien. | |
| „Die Kofferräume voll mit Benzinkanistern, wir konnten uns das Benzin dort | |
| doch nicht leisten. Wie eine tickende Bombe sind wir dort rumgefahren.“ | |
| Fernwehprojekte: Seine „Fernwehprojekte“ nennt Schmiedt Musikprojekte mit | |
| international bekannten Künstlern, die nach dem Mauerfall dann kamen. Der | |
| Erste mit dem er auf Tournee ging: Mikis Theodorakis, den er in Berlin | |
| kennenlernte. „Es gab ja damals ganz viele Exilgriechen in der DDR.“ | |
| Mikis Theodorakis: Schmiedt begleitete Theodorakis zunächst auf dem | |
| Klavier, später war er sein Arrangeur. „Die Leute in Griechenland sind | |
| ausgeflippt. Dort war Theodorakis ein Volksheld, er hat versucht, den | |
| Griechen eine Identität zu geben“, sagt er. „Das war so, wie wenn Scooter | |
| Goethe singt. Die Leute fanden das fantastisch.“ Schmiedt begeisterte nicht | |
| nur dessen Musik – bei der er erst später verstand, wie politisch die Texte | |
| waren. Ihn faszinierte auch Theodorakis’ Persönlichkeit: „Das ist ein | |
| Riese, eine Größe, auch in Person.“ Über ihn hat Schmiedt später viele | |
| andere Musiker kennengelernt: Zülfü Livaneli etwa. | |
| Selber machen: „Ich hatte irgendwann das Gefühl: Ich will selber was | |
| machen.“ Als Slowmusic bezeichnet er seine Kompositionen, „in Deutschland | |
| würde man von Post-Classic sprechen.“ Seine Klavierstücke, sagt Schmiedt, | |
| beziehen sich auf Schumann und Mendelssohn. Aber, „das hat in Deutschland | |
| komplett gefloppt“. | |
| Mysterium: Was dann kam, beschreibt Schmiedt als Mysterium: Nachdem eine | |
| seiner CDs bei einem japanischen Musiklabel gelandet war, kam er in Japan | |
| plötzlich in die Charts. „Sogar in die Jazz-Charts, obwohl die Musik gar | |
| kein Jazz ist.“ Die Anfrage des Labels in brüchigem Englisch habe er | |
| zunächst für eine Spam-Mail gehalten. | |
| Japan: Die Menschen dort schätzten seinen Stil. Eines seiner späteren | |
| Alben, „Torse“, nahm Schmiedt für ein gleichnamiges Café auf. „Die Leute | |
| kommen deswegen von überall her.“ Das Album gebe es nur dort zu kaufen, | |
| eingepackt in einer Pappschatulle mit getrockneten Blumen. Noch ein Renner | |
| in Japan: Spieluhren mit seiner Klaviermusik. | |
| Zufall? So richtig erklären kann er sich den Erfolg in Japan nicht. Aber | |
| Schmiedt sagt, Zufälle gebe es im Leben keine: „Es gibt einfach Dinge, die | |
| passen zusammen. Das ist wie in der Musik, da gibt es eine bestimmte | |
| Resonanz, Dinge, die miteinander funktionieren, die resonieren miteinander. | |
| Das ist eine physikalische Gesetzmäßigkeit.“ Man dürfe aber auch den | |
| Überlandbonus nicht vergessen, den er durch seine deutsche Herkunft habe. | |
| Und: „Die Japaner lieben einfach Klaviermusik.“ | |
| Weißer Tee und Fukushima: Während Schmiedt japanischen Tee aufbrüht, | |
| erklärt er, dass er seit der Atomkatastrophe in Fukushima immer darauf | |
| achte, wo der Tee herkommt. Auch in Fukushima hat Schmiedt schon gespielt. | |
| „Diese Gegend ist nach der Atomkatastrophe komplett gemieden worden. Ich | |
| habe damals eine neue CD rausgebracht und mein Label gefragt: Kann ich in | |
| der Gegend Konzerte machen?“ Schmiedt erinnert sich, wie dankbar die | |
| Menschen dort waren. „Man muss sich vorstellen, die Leute waren wie | |
| stigmatisiert. Ich habe erlebt, dass mir Bauern zu Konzerten einen ganzen | |
| Bauernhof geschenkt haben, also Tiere, Eier, Gewürze, die brachten einfach | |
| alles, was sie hatten, mit.“ Die Atomkatastrophe und der Tsunami hätten den | |
| Menschen dort bewusst gemacht, „wie klein und wie schutzlos sie sind“. | |
| 8 Jul 2018 | |
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| Lea Diehl | |
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