# taz.de -- Buch zum US-Klassenkampf: Weder-noch statt Entweder-oder | |
> In den USA ist wegen Trump ein linker Deutungsstreit ausgebrochen. In ihm | |
> werden „class“ und „race“ allzu schnell gegeneinander ausgespielt. | |
Bild: Einer der meistgelesenen, moralisch autoritativsten Black Public Intellec… | |
Mit Barack Obama wurde zum ersten Mal in der Geschichte der USA 2008 ein | |
Schwarzer zum Präsidenten gewählt und 2012 wiedergewählt. Bei den Linken | |
keimte kurzzeitig die naive Hoffnung auf, dass der jahrhundertealte | |
Rassismus, der Weiße machtvoll privilegiert und auf dessen Fundament die | |
Vereinigten Staaten gründen und bis heute gedeihen, am Ende doch | |
überwindbar sei. Vier Jahre später liegen diese Hoffnungen mit dem Wahlsieg | |
Donald Trumps in Trümmern. | |
Um die Frage, warum Trump triumphieren konnte, ist im Lager der Linken ein | |
alter Deutungsstreit neu ausgebrochen, der in einem ebenso alten | |
Entweder-oder festzufrieren droht. Es geht bei diesem Deutungsstreit um die | |
Frage, ob die US-amerikanischen Verhältnisse zuallererst durch die Macht | |
des Rassismus spaltend vorangetrieben werden oder ob diese Spaltungsmacht | |
eher der Ökonomie beziehungsweise dem Kapitalismus zuzusprechen ist. | |
Auf der Entweder-Seite steht unter anderem Ta-Nehisi Coates, der sich seit | |
2007 als Reporter des renommierten Magazins The Atlantic zu einem der | |
meistgelesenen, moralisch autoritativsten Black Public Intellectuals | |
Amerikas entwickelt hat. Niemandem gelingt es gegenwärtig wohl | |
sprachgewaltiger, den jahrhundertealten Terror und die Demütigungen, das | |
Unterdrückungs-, Plünderungs- und Entmenschlichungssystem des Rassismus und | |
der Weißen Vorherrschaft aus der Perspektive ihrer schwarzen Opfer zur | |
Anklage zu bringen. Auf Deutsch liegen zwei seiner Bücher im Hanser Berlin | |
Verlag vor: „Zwischen mir die Welt“ (2016), und gerade erschienen: „We we… | |
eight years in power. Eine amerikanische Tragödie“. | |
So eindrücklich Coates die rassistischen Realitäten beschreibt, so | |
unterkomplex und hart am Rande des Essenzialismus bleiben seine | |
Erklärungen, wenn es um die Frage der Gründe des Rassismus geht. Rassismus | |
existiert, weil weiße Menschen schwarze Menschen unterdrücken und | |
ausplündern wollen, so die Erkenntnis, die seine rechercheintensiven Reisen | |
durch die amerikanische Geschichte und Gegenwart zutage fördern. | |
## Klassenspaltung bleibt irrelevant | |
Ein größeres Interesse an den politökonomischen Zusammenhängen, in denen | |
sich Rassismus in seiner physischen und psychischen Gewalt überhaupt erst | |
entfalten kann, zeigt Coates kaum. Dass Rassismus ein ideologisches | |
Konstrukt ist, das sich mit der Entfaltung der Plantagensklaverei | |
entwickelte, dass es sich um ein Instrument der sozialen Kontrolle und | |
Spaltung handelt, mit dem sich eine kleine Herrschaftsschicht weißer | |
Oligarchen die weiße Masse der Habenichtse durch das Heraufbeschwören einer | |
qua Hautfarbe vermeintlich gleich privilegierten Solidargemeinschaft | |
gefügig zu machen sucht, sieht Coates zwar; doch reproduziert er letztlich | |
diese Ideologie nur, anstatt sie als real nicht existenten Mythos zu | |
dekonstruieren. Die Klassenspaltungen und -verungleichungen, denen Weiße | |
ausgesetzt sind, werden irrelevant, weil sie alle als durch ihr Weißsein | |
gleich Privilegierte erscheinen. | |
Coates sieht die Geschicke der Nation durch ein ehernes historisches Gesetz | |
determiniert – US-amerikanische Wirklichkeit als ein sich ewig | |
wiederholender Zyklus von Aufstand und Unterdrückung, von schwarzem Kampf | |
um Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde, auf den am Ende immer der | |
Backlash weißer Suprematen so sicher wie das Amen in der Kirche folgt. | |
Im Lichte dieses Geschichtsverständnisses erscheint der Aufstieg Donald | |
Trumps zwangsläufig, und folgerichtig bezeichnet Coates ihn als Amerikas | |
„Ersten Weißen Präsidenten“. Mit ihm wurde nicht irgendein Weißer zum | |
Nachfolger Obamas gewählt, das Weißsein (in all seiner traditionsreichen, | |
auf die Unterdrückung und Plünderung der Schwarzen zielenden rassistischen | |
Macht) sei vielmehr alles erklärender Dreh- und Angelpunkt seiner | |
politischen Existenz. Einer Existenz, die ohne die Tatsache der | |
vorhergehenden Regentschaft Obamas nicht denkbar sei und die sich von | |
Anfang an von einem Ziel besessen zeigte – der totalen Negation und | |
Zerstörung des Erbes dieses ersten schwarzen Präsidenten. | |
Klar ist: Mit Trump wurde ein offen rassistisch agierender Mensch zum | |
Präsidenten Amerikas gewählt, ein Mensch, den man als Linke im vollsten | |
Sinne des Begriffs einen Weißen Suprematen nennen kann. Klar ist auch, | |
dass es Weiße waren, die für diesen Wahlsieg verantwortlich sind, Weiße, | |
die Trumps Rassismus entweder teilen oder die diesen Fakt für | |
vernachlässigbar hielten, als sie ihm ihre Stimme gaben. | |
## Klassenkampf von oben | |
Aber reicht es, Donald Trump und seine Fan-Base als perfekte, weil ethisch | |
durch und durch korrupte Verkörperung der Rache der weißen Suprematen zu | |
begreifen? Wo wird dabei der Tatsache Aufmerksamkeit geschenkt, dass Trump | |
mit möglicherweise noch verheerenderen Konsequenzen von Anbeginn seiner | |
Präsidentschaft Teil eines aggressiven Klassenkampfes von oben ist, der in | |
den Vereinigten Staaten gleichzeitig und unabhängig von der Hautfarbe tobt? | |
Kann man dieses Problem für nachgeordnet halten, weil Schwarze | |
überproportional und härter die Folgen dieser Politik zu spüren bekommen? | |
An diesem Punkt kommt die Oder-Seite des linken Deutungsstreits um Trumps | |
Triumph ins Spiel. Unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl hatten der | |
Sozialdemokrat Bernie Sanders und einige Journalisten vor allem zu viel | |
Minderheiten-Identitäts- und Diversitäten-Anerkennungs-Gedöns aufseiten der | |
Demokraten dafür verantwortlich gemacht, dass sich zu viele Weiße | |
(Mitglieder der im Absturz begriffenen Arbeiter- und unteren Mittelklassen) | |
in die rassistischen Arme Donald Trumps geflüchtet hatten. Die Demokraten | |
sollten die Sorgen dieser Weißen wieder ernst nehmen, anstatt sie vom hohen | |
moralischen Ross herab als Rassismus zu disqualifizieren. Und sie sollten | |
sich auf die Probleme der Ökonomie konzentrieren, weil deren | |
Verungleichungsmacht eben durchaus farbenblind auch Weiße treffe. | |
Nicht ganz zu Unrecht hat Coates dazu angemerkt, dass diese Argumentation | |
selbst Ausdruck von Identitätspolitik ist, rücke hier ja vor allem das | |
Leiden von Weißen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Womit Bernie Sanders | |
wiederum nicht viel mehr unter Beweis stelle als seine Verbundenheit mit | |
dem weißen Stamm und seine Blindheit für das Privilegiensystem des | |
Weißseins, als dessen Profiteure laut Coates eben auch „die weiße | |
Arbeiterklasse“ von Beginn der amerikanischen Republik an gesehen werden | |
müsse. | |
Doch auch das grundlegende Argument dieses ökonomischen Ansatzes, wonach | |
der Kampf um eine gerechtere Wirtschaft am Ende auch der rassistischen | |
Verungleichung den Garaus machen könne, hält Coates für einen Mythos, der | |
durch die US-amerikanische Geschichte hinreichend widerlegt sei. Sozial- | |
und Wohlfahrtspolitik habe sich in den USA politisch immer nur durchsetzen | |
lassen, wenn im politischen Kräfteverhältnis den Rassisten das Zugeständnis | |
gemacht wurde, Schwarze aus dem Kreis der Profitierenden auszuschließen. | |
Erledigt sich dadurch das ökonomische Argument als falsch? | |
## Hand in Hand | |
Bernie Sanders irrt, wenn er Rassismus zum nachrangigen Identitätsproblem | |
herunterstuft und damit dessen fundamental ökonomische Gewalt verkennt. | |
Doch muss man ihn deswegen gleich moralisch abqualifizieren? Muss man dem | |
Journalisten George Packer („Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des | |
neuen Amerika“), küchenpsychologisch im historisch Trüben fischend, | |
„weißen“ Eskapismus und Privilegienblindheit unterstellen, weil auch er | |
sich für das Schicksal weißer Abgehängter des ökonomischen Systems | |
interessiert – aus durchaus auch politisch pragmatischen Gründen, handelte | |
es sich bei diesen Menschen doch um wahlentscheidende Wechselwähler. Ist | |
jeder, der nicht zuallererst lautstark die Macht des Rassismus als | |
vermeintlich alles bewegendes Gesetz der Geschichte feststellt, gleich ein | |
Leugner dieser Macht? | |
Coates sagt, ja. Für ihn gilt, dass, wer als Weiße(r) vom Kapitalismus | |
redet, damit automatisch vom Rassismus und dem eigenen Privilegiertsein | |
schweigen will. Eine moralisierende Semantik des Verdachts tritt an die | |
Stelle der histor(iograf)isch und politisch präzisen Analyse der | |
unterdrückerischen Verhältnisse. Kapitalismus und Rassismus sind vom | |
Anbeginn der Moderne Hand in Hand gegangen. Mit dem System Trump tun sie | |
dies auch heute. | |
Linker Kampf um Freiheit und Gleichheit hat immer dann Geländegewinne | |
verbuchen können, wenn er sich über das Machtdiktat der color-line | |
hinweggesetzt hat. Höchste Zeit, sich dieser Geschichte zu erinnern. Und | |
gegen dieses bescheuerte Entweder-oder ein solidarisches Weder-noch zu | |
setzen. | |
8 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Eva Berger | |
## TAGS | |
Arbeiterklasse | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Klassismus | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Arbeiterklasse | |
Identitätspolitik | |
Präsident Trump | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Sozialismus | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sachbuch zu Spaltung in den USA: It’s the Gemeinwohl, stupid! | |
Der US-Philosoph Michael Sandel skizziert, warum der Rechtspopulismus in | |
den USA so erfolgreich werden konnte – und zeigt, wie es anders gehen | |
könnte. | |
Studien zur „Weißen Arbeiterklasse“: Stolz und Einzelkämpfertum | |
Viel wird über die sogenannten einfachen Leute gesprochen. Wer sind sie und | |
was sind ihre Werte? Eine Spurensuche. | |
US-Autor über Umgang mit Rassismus: „Die Debatte ist überdreht“ | |
Der Schriftsteller Thomas Chatterton Williams kritisiert starres | |
Identitätsdenken. Die Antwort auf Rassismus sieht er in einem neuen | |
Universalismus. | |
Ermittlung im Umfeld des US-Präsidenten: Razzia beim Trump-Anwalt | |
Bundesermittler haben das Büro von Michael Cohen durchsucht. Der Tipp soll | |
von FBI-Sonderermittler Mueller gekommen sein. | |
Kommentar Rassismus in den USA: Rassismus überleben | |
Auch 50 Jahre nach der Ermordung Martin Luther Kings ist Rassismus in den | |
USA überall präsent. Nur die Praxis hat sich verändert. | |
Sozialisten in den USA: „Ein Kampf von unten nach oben“ | |
Die Democratic Socialists of America (DSA) sind die größte sozialistische | |
Organisation der USA. Ein Gespräch über die Arbeiterklasse von heute. | |
Debatte Ein Jahr Trump: So anormal wie möglich | |
Während Trumps größte Fans weiterhin unerschütterlich an seiner Seite | |
stehen, bereitet sein Benehmen einigen Republikanern große Sorgen. |