| # taz.de -- Debatte Ein Jahr Trump: So anormal wie möglich | |
| > Während Trumps größte Fans weiterhin unerschütterlich an seiner Seite | |
| > stehen, bereitet sein Benehmen einigen Republikanern große Sorgen. | |
| Bild: Trump verbringt die meiste Zeit damit, Konflikte zu befeuern statt sie be… | |
| Als Donald Trump am 20. Januar vor genau einem Jahr als 45. Präsident der | |
| Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt wurde, befürchteten viele | |
| US-Linke, dass die BürgerInnen des Landes sein flegelhaftes Verhalten | |
| alsbald als „normal“ empfinden würden. Diese Sorge war absolut unbegründe… | |
| Denn Trump gestaltet seine Präsidentschaft bisher absichtlich so anormal | |
| wie möglich. Üblicherweise streben US-Präsidenten danach, möglichst | |
| ausgleichend wahrgenommen zu werden. Trump hingegen verbringt die meiste | |
| Zeit damit, Konflikte zu befeuern statt sie beizulegen, was seine Anhänger | |
| beglückt, aber alle anderen zur Weißglut treibt. | |
| Wenn er nicht gerade selbst [1][mit seinen Twitter-Nachrichten] für | |
| Kontroversen sorgt, stecken seine Berater eine Indiskretion nach der | |
| anderen durch und zeichnen damit ein Bild von einem launischen Präsidenten | |
| und chaotischen Zuständen im Weißen Haus. Selbst der historische Tiefstand | |
| seiner Umfragewerte – laut dem renommierten Meinungsforschungsinstitut | |
| Gallup überschritt die Zustimmung für Trump nie die 45-Prozent-Marke, seit | |
| Mai 2017 blieb sie jedoch konstant unter 40 Prozent – konnte ihn nicht zur | |
| Umkehr bewegen. | |
| Sinnbildlich war das kürzlich in der New York Times abgedruckte Zitat eines | |
| seiner ehemaligen Berater. „Nach zwei, drei friedvollen Tagen wurde Trump | |
| langsam ungeduldig, er konnte es kaum ertragen, dass er nicht in den | |
| Nachrichten vorkam.“ Deutlich wird daraus, wie stark das Handeln des | |
| US-Präsidenten von seinem Narzissmus gesteuert wird. Sein unnachgiebiges | |
| Buhlen um Aufmerksamkeit hat die USA in einen Zustand geistiger Erschöpfung | |
| versetzt. | |
| Zu merken war das auch daran, [2][wie der Comedian Michael Che] vor Kurzem | |
| in der Talkshow „Saturday Night Live“ Spekulationen kommentierte, nach | |
| denen die prominente Talkmasterin und Schauspielerin Oprah Winfrey als | |
| Kandidatin in den kommenden Präsidentschaftswahlkampf einsteigen könnte: | |
| „Ich hab die Nase voll von diesen ulkigen Ideen. Ich sehne mich zurück zu | |
| langweiliger Politik und vermisse die Möglichkeit, einfach Nein sagen zu | |
| können, so wie früher, wenn mich Leute gefragt haben, ob ich gehört hätte, | |
| was der Präsident gesagt habe.“ | |
| ## Trumps Geisteszustand | |
| Während Trumps größte Fans weiterhin unerschütterlich an seiner Seite | |
| stehen, ist bei den Parteimitgliedern von Demokraten und Republikanern | |
| enormes Unbehagen zu spüren. Die Demokraten leben in ständiger Furcht, dass | |
| Trump aus einer Laune heraus einen Krieg mit Nordkorea oder dem Iran | |
| entfesseln könnte. Sein jüngster verbaler Ausfall, afrikanische Länder | |
| seien „Dreckslöcher“, steigerte ihre Empörung über Trumps Rassismus ins | |
| Unermessliche. | |
| Was aus der Untersuchung der Verwicklungen von Trumps Wahlkampfteam mit den | |
| Russen beinahe täglich an neuen Details bekannt wird, elektrisiert die | |
| Linken ebenfalls enorm. Sie hoffen inständig, dass bald eine so gravierende | |
| Verfehlung ans Licht kommt, die schlussendlich zu Trumps Amtsenthebung | |
| führt. Nicht zu vergessen Michael Wolff, der in seinem Enthüllungsbuch | |
| [3][„Fire and Fury“] Trumps Geisteszustand infrage gestellt hat, was | |
| wiederum Anlass zur Hoffnung gibt, Trumps vorzeitige Entlassung könnte | |
| mithilfe des 25. Zusatzartikels der US-Verfassung gelingen. Darin ist | |
| festgeschrieben, dass notfalls sein Vizepräsident, das Kabinett und der | |
| Kongress erklären, er sei „nicht mehr in der Lage, seinen | |
| Amtsverpflichtungen nachzukommen“. | |
| ## Trumps treue Fans | |
| Diese Hoffnung entspricht allerdings nicht der politischen Realität. Jedes | |
| Verfahren, das zur Absetzung eines amtierenden Präsidenten führt, benötigt | |
| eine Zweidrittelmehrheit im Senat (für die Inanspruchnahme des 25. | |
| Zusatzartikels wäre zusätzlich eine Zweidrittelmehrheit im | |
| Repräsentantenhaus vonnöten). Derartig große Mehrheiten können nicht | |
| generiert werden, ohne dass die Republikaner riskieren müssten, Trumps | |
| treue Anhänger zu verprellen. Während Trumps allgemeine Umfragewerte im | |
| Keller sind, unterstützen ihn spektakuläre 87 Prozent der republikanischen | |
| Wähler. Deshalb ist es für die Republikaner gefährlich, ihn zu verärgern. | |
| Senator Jeff Flake aus Arizona ist hierfür abschreckendes Beispiel: Nachdem | |
| er ein Trump-kritisches Buch veröffentlicht hatte, liefen ihm | |
| republikanische Wähler in Scharen davon und er verzichtete darauf, sich der | |
| Wiederwahl zu stellen. | |
| Genauso bereitet Trumps Benehmen einigen Republikanern große Sorgen. Denn | |
| im November stehen im Kongress Wahlen für das gesamte Repräsentantenhaus | |
| und Teile des Senats an. Die Republikaner, die derzeit die Mehrheit im | |
| Kongress haben, befürchten bereits, dass ein Sieg der Demokraten | |
| unvermeidbar ist. Vor einigen Monaten allerdings bescheinigten politische | |
| Analysten den Republikanern noch einen Vorteil und 24 der in diesem Jahr im | |
| Senat zur Wahl stehenden Sitze. Umgekehrt repräsentiert nur einer der acht | |
| zur Wahl stehenden republikanischen Sitze einen Staat, den Trump verlor. | |
| ## Nur wenige Gesetze durchgebracht | |
| Im ebenfalls von den Republikanern dominierten Repräsentantenhaus müssen | |
| sich die Demokraten einer besonders perfiden Wahlmanipulation der | |
| Gegenseite erwehren: Um den Erfolg einer Partei zu begünstigen, werden | |
| Wahlbezirksgrenzen kurzer Hand neu gesteckt. Einer Prognose zufolge könnten | |
| die Demokraten 2018 bei der Wahl zum Repräsentantenhaus 54 Prozent aller | |
| Stimmen erhalten, aber nur 47 Prozent der Sitze. | |
| Zudem hat die US-Wirtschaft – für viele Wähler wichtigstes Thema – bislang | |
| nicht unter Trumps Eskapaden gelitten. Das Wirtschaftswachstum ist stetig | |
| und die Arbeitslosenquote niedrig. Zwar konnte Trump nur wenige Gesetze | |
| durchbringen oder erneuern, aber im letzten Monat unterzeichnete er eine | |
| Gesetzesvorlage, die den meisten US-Bürgern und Unternehmen Steuersenkungen | |
| bescheren wird. Wäre das aufgrund der Initiative eines gewöhnlichen | |
| US-Präsidenten geschehen, würde das schon genügen, um Wähler zu | |
| beeindrucken. | |
| Dennoch ist es durchaus denkbar, dass selbst scheinbar günstige | |
| Wahlaussichten und eine starke Wirtschaft nicht verhindern können, dass der | |
| anormale Trump für die Republikaner zum Bumerang wird. Führende Abgeordnete | |
| des Repräsentantenhauses unterrichteten ihn vor Kurzem über die | |
| bevorstehenden Wahlaussichten und warnten vor einer krachenden Niederlage. | |
| Ein erstes dahingehendes Alarmsignal kam letzten Monat aus dem eigentlich | |
| stramm rechtsgerichteten südlichen Bundesstaat Alabama. Bei einer | |
| Senats-Nachwahl hatte der Demokrat Doug Jones dort einen Sitz erobert, der | |
| seit 20 Jahren lückenlos von den Republikanern besetzt wurde. | |
| ## Ein Renten-Rekordexodus | |
| Nun kann man Alabama als Sonderfall abtun, schließlich war der Kandidat der | |
| Republikaner, [4][Roy Moore], durch die Anschuldigung in Misskredit | |
| geraten, Unzucht mit minderjährigen Mädchen getrieben zu haben. Aber da die | |
| Demokraten mehreren Umfragen zufolge in den bevorstehenden Kongresswahlen | |
| klar vorne liegen, interpretieren viele der republikanischen Amtsinhaber | |
| den Wahlausgang von Alabama als böses Omen. 33 der republikanischen | |
| Abgeordneten im Repräsentantenhaus stehen für eine Wiederwahl nicht zur | |
| Verfügung, weil sie in Rente gehen – ein Rekordexodus. | |
| Obwohl sich der politische Wind ein wenig zu ihren Gunsten gedreht hat, | |
| sieht sich die Demokratische Partei hausgemachten Problemen gegenüber: Wie | |
| es aussieht, gehen sie bei den Präsidentschaftswahlen 2020 ohne einen | |
| Kandidaten ins Rennen, der alle Parteiflügel hinter sich weiß, souverän die | |
| Parteiführung für sich reklamieren könnte und in der Lage wäre, bestehende | |
| innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten beizulegen. | |
| Senator Bernie Sanders, der Sozialist, der 2016 so schlecht weggekommen | |
| ist, macht den Eindruck, es erneut versuchen zu wollen. Genauso Obamas | |
| früherer Vizepräsident Joe Biden, der, im Gegensatz zu Sanders, Populismus | |
| kritisiert und globale Handelsabkommen verteidigt. Erste Umfragen sehen | |
| diese beiden als aussichtsreichste Bewerber, aber vielen Parteimitgliedern | |
| läuft bei dem Gedanken, mit zwei 70-jährigen weißen Männern ins Rennen zu | |
| gehen, ein kalter Schauer über den Rücken. | |
| ## Mehr Frauen und People of Color | |
| Es wird erwartet, dass sich mehrere, womöglich mehr als zehn, jüngere | |
| Kandidaten zusammentun und zur Wahl antreten. Vermutlich wird es erstmals | |
| mehrere glaubwürdige Kandidaten geben, darunter Frauen und People of Color. | |
| Ein mit ideologischen Themen aufgeheizter Wahlkampf, in dem Themen wie | |
| Gender und ethnische Herkunft eine große Rolle spielen werden und die | |
| Partei vor eine Zerreißprobe stellen, scheint unausweichlich zu sein. | |
| Zudem gibt es Gerüchte, dass sich Milliardäre wie der frühere New Yorker | |
| Bürgermeister Michael Bloomberg als unabhängige Kandidaten zur Wahl stellen | |
| könnten. Sollte der Wahlkampf der Demokraten ihrem späteren Kandidaten zu | |
| viele Wunden zufügen oder ein Unabhängiger die Anti-Trump-Mehrheit spalten, | |
| wäre es durchaus möglich, dass der Amtsinhaber ein zweites Mal gewinnt, | |
| ohne die Mehrheit der Stimmen zu haben. | |
| Selbst wenn Oprah Winfrey von einer Kandidatur absehen sollte, ist nicht | |
| davon auszugehen, dass US-Innenpolitik so bald wieder langweilig werden | |
| wird. | |
| Übersetzung aus dem Englischen von Sylvia Prahl | |
| 20 Jan 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/realdonaldtrump | |
| [2] http://www.nbc.com/saturday-night-live/cast/michael-che-15486 | |
| [3] /!5472353 | |
| [4] /!5470381 | |
| ## AUTOREN | |
| Bill Scher | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| US-Demokraten | |
| Republikaner | |
| Arbeiterklasse | |
| USA | |
| Pjöngjang | |
| Donald Trump | |
| Donald Trump | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Buch zum US-Klassenkampf: Weder-noch statt Entweder-oder | |
| In den USA ist wegen Trump ein linker Deutungsstreit ausgebrochen. In ihm | |
| werden „class“ und „race“ allzu schnell gegeneinander ausgespielt. | |
| Nachwahl in Pennsylvania: Demokrat Lamb sieht sich als Sieger | |
| Der Kernbezirk der Republikaner könnte diesmal an die Demokraten gehen. | |
| Conor Lamb liegt mit knapp 600 Stimmen vorne. Es fehlen noch 1.400 | |
| Briefwahlstimmen. | |
| Rede zur Lage der Nation: Trump will Amerikanern Mut machen | |
| Mit typisch amerikanischem Pathos hat Donald Trump seine erste Rede zur | |
| Lage der Nation hinter sich gebracht. Inhaltlich kam wenig Neues. | |
| Ein Jahr Donald Trump: Läuft für ihn | |
| Der US-Präsident hat viel erreicht: Er hat seine Steuerreform und den | |
| gemäßigten Muslim Ban durchgesetzt. Das Land ist ein anderes. | |
| Kolumne Macht: Präsident auf der Siegerstraße | |
| Donald Trump hat politisch viel erreicht. Auch das Enthüllungsbuch und | |
| Ferndiagnosen über seinen Geisteszustand ändern daran nichts. Leider. |