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# taz.de -- US-Autor über Umgang mit Rassismus: „Die Debatte ist überdreht�…
> Der Schriftsteller Thomas Chatterton Williams kritisiert starres
> Identitätsdenken. Die Antwort auf Rassismus sieht er in einem neuen
> Universalismus.
Bild: Vereint im Kampf gegen Rassismus
Nicht erst seit gestern ist in linken, antirassistischen Zusammenhängen
eine Streitfrage besonders beliebt: Wie soll man dem Problem Rassismus
begegnen? Während schon seit Jahren [1][kontroverse Debatten über allerlei
Entwürfe wie etwa „Critical Whiteness“] geführt werden, erfährt das Prob…
derzeit eine neue, globale Relevanz: In den USA wurde ein Präsident
gewählt, der sich explizit gegen „Multikulti“ positioniert. In Europa
dagegen reformiert sich der Rechtsextremismus ästhetisch und strategisch:
Statt von einer „Herrenrasse“ zu schwadronieren, setzen extrem Rechte heute
auf ihre Art und Weise auf die Idee des „Enthnopluralismus“, und erhoffen
sich dadurch bessere gesellschaftliche Anschlussfähigkeit. Der
US-amerikanische Autor Thomas Chatterton Williams wird beim diesjährigen
taz.lab unter dem Motto „Arbeiten an der Postidentität“ über diese
Entwicklungen diskutieren. Die taz führte im Vorfeld ein Gespräch mit ihm.
taz: In der New York Times schreiben Sie, dass der bekannte
afroamerikanische Autor Ta-Nehisi Coates „dem Weißsein Macht gibt“. Was
meinen Sie damit?
Thomas Chatterton Williams: Oft akzeptiert antirassistisches Denken
dieselben Voraussetzungen wie rassistisches Denken: Dass race auf
irgendeine Weise real ist und dass man bedeutende Schlüsse aus biologischen
Charakteristika ziehen kann. Obwohl Coates es anders meint, kann seine
Argumentation solches Denken verstärken. Wenn wir über Rassismus
hinwegkommen wollen, müssen wir uns von einer bestimmten Art, über race
nachzudenken, verabschieden. Wir müssen aufhören, daran zu glauben, dass
Menschen schwarz und weiß sind. Und wir müssen eine neue Sprache finden.
Das heißt zwischen Ideen der rechten „Alt Right“ und linker
Identitätspolitik gibt es philosophische Überschneidungen?
Die extreme Rechte kommt zum Schluss, dass race real und biologisch ist und
dass Weiße speziell und besser sind als Nicht-Weiße. Die Linke betont
ebenso Unterschiede, auch wenn sie nicht die selben Schlüsse zieht. Beide
gehen davon aus, dass sich Menschen tatsächlich voneinander unterscheiden.
Das muss nicht nur hinterfragt, sondern zurückgewiesen werden. Sind Araber
wirklich anders als Schwarze? Die Wissenschaft sagt: Nein. Aber wir leben
weiter so, als wären sie das. Die Linke – wenn es ihr Ziel ist, Rassismus
zu bekämpfen – tut sich keinen Gefallen, wenn sie auf solche abstrakten
Unterschiede pocht und sie verdinglicht.
Nach Donald Trumps Wahlerfolg machte Marc Lilla, Professor an der Columbia
University, linke Identitätspolitik für dessen Sieg verantwortlich.
Ich denke nicht, dass allein linke Identitätspolitik Trumps Erfolg erklärt.
Natürlich gibt es eine Menge Rassismus in den USA, der Trumps Erfolg
begründet. Andererseits sind die Demokraten und die Linke in so viele
Mikrogruppen gespalten. Sie haben es verpasst, eine Koalition herzustellen,
die es Menschen ermöglicht, sich auf einer sinnvollen Weise einander
zugehörig zu fühlen – und nicht wegen physischen Charakteristika, dem
Geschlecht oder der sexuellen Orientierung. Bernie Sanders sprach zwar
Dinge an, die über die Frage der Identität hinausgingen, jedoch tat er sich
schwer dabei, die schwarze Wählerschaft davon zu überzeugen, dass er sich
um sie als Identitätsgruppe kümmert. Auch Clinton scheiterte daran. Viele
waren skeptisch, ob sie ihre Interessen als Gruppe versteht. Letztendlich
wurde jemand Präsident, der sich gar nicht um diese Gruppen schert. Lilla
wollte eigentlich erklären, warum man über die enge Identität hinaus denken
muss.
Sie sagen, wir brauchen eine neue Sprache. Wie kann diese aussehen in einer
Welt, die immer noch rassistisch ist?
Ich bin nicht naiv, das ist keine einfache Aufgabe. Die meisten Menschen
denken nicht auf eine Weise über race nach wie viele Studierende in
Uniseminaren. Trotzdem müssen wir aufhören, Begriffe wie „weiß“ und
„schwarz“ zu benutzen. Es gibt eine gelebte Realität, in der Menschen
schwarz und weiß sind. Und wir müssen darüber nachdenken, was das wirklich
bedeutet. Eine neue Sprache würde auf einem sehr einfachen Level operieren,
wortwörtlich soziale Beziehungen und Konflikte beschreiben, so wie sie sind
– anstatt ständig geradeheraus „weiß“ und „schwarz“ zu sagen.
Sie schreiben auch, dass Coates „Schwarzsein“ und „Weißsein“ fetischis…
Karl Marx führte den Begriff des „Warenfetisch“ ein, um Kapitalismus als
etwas zu beschreiben, worüber man reflektieren, das man aber nicht ohne
Weiteres abschaffen kann. Ist das mit Rassismus ähnlich?
Heißt das, man reproduziert etwas gegen seinen eigenen Willen? Wenn das so
ist, dann ist das eine gute Beschreibung. So wie die Gesellschaft gerade
ist, können wir race nicht einfach ignorieren. Aber man kann in mehr oder
weniger sinnvollen Weisen damit umgehen. Coates fetischisiert Weißsein. In
seinem Essay „The First White President“ schreibt er, Weißsein sei ein
Amulett der Macht, das von Generation zu Generation weitergegeben werde. So
ein Satz geht darüber hinaus, dass meine Mutter weiß und mein Vater schwarz
sind, und die Gesellschaft race auf eine Weise fetischisiert, dass meine
Eltern sich bewusst sein müssen, dass Menschen sie anschauen und bestimmte
Schlüsse ziehen – ganz egal was meine Eltern über sich selbst denken.
Coates ist kein Rassist wie Richard Spencer von der „Alt Right“, aber beide
sind sich darüber einig, dass Weißsein besonders ist. Es ist problematisch
über race zu sprechen, als wäre es etwas exaktes. So ein Denken mag
emotionale Resonanz finden, intellektuell ist es unhaltbar.
Welche Rolle spielt Klasse wenn wir über race sprechen?
Wenn man in den USA über race spricht, spricht man meistens auch über
Klasse. Weil sich Schwarzsein und Armut häufig überschneiden. Die Bilder,
die über schwarzes Leben geschaffen und reproduziert werden, sind aber
Bilder, die auf die besorgniserregenden Aspekte des schwarzen Lebens
konzentrieren, auf den Aspekt der Armut etwa. Das wird dann zum Bild, dass
die Welt davon hat, was es bedeutet, in den USA schwarz zu sein. Dabei ist
das nicht die Totalität der schwarzen Erfahrung und war dies auch nie.
Wo treffen sich race und Klasse und wo gehen sie auseinander?
Es gibt nichts genetisches, dass dich als schwarze Person sozial
benachteiligt. Aber natürlich gibt es soziale Aspekte von race, die Armut
unter bestimmten Gruppen verfestigen. Trotzdem sollten wir darüber
nachdenken, wo wir race und Klasse entwirren müssen. In vielen Diskussionen
werden beide Begriffe synonym benutzt. Auf eine Weise, dass man denken
könnte, dass alle schwarzen Männer von der Polizei erschossen würden. Dabei
sind das arme, schwarze Männer. Wenn ich mich in den USA bewege, habe ich
kein erhöhtes Risiko, von der Polizei erschossen zu werden. Statistisch
gesehen ist eine solche Gefahr nicht der Fall, wenn eine Person ein
bestimmtes Einkommen und einen bestimmten Bildungsstandard hat. Wenn
Menschen die Bezeichnung „schwarz“ aber trotzdem auf einer solch abstrakten
Weise verwenden, verdeckt das die Probleme statt sie sichtbar zu machen.
Das ist auch der Fall, wenn man dem Weißsein automatisch eine privilegierte
Postion zuweist. In diesem Fall bleibt der Fakt ungeachtet, dass so viel
weißes Leben arm ist.
In den USA scheinen viele dieser armen Weißen Trump gewählt zu haben,
obwohl der Präsident gegen ihre ökonomischen Interessen handelt.
Bevor die USA gegründet wurde gab es sehr arme weiße Bedienstete aus Irland
oder England, die an der Seite von Schwarzen und Native Americans
arbeiteten. Diese Menschen sind aber nicht auf Basis einer klassenbasierten
Ablehnung des Systems zusammenkommen, weil die Weißen den „psychologischen
Lohn des Weißseins“ bevorzugten. So formuliert es der einflussreiche
schwarze Denker W. E. B. Du Bois. Das heißt, sie waren weiterhin arm,
hatten aber das Versprechen, dass sie nie so weit unten landen würden wie
die Schwarzen. Diese Dynamik wirkt auch in der heutigen Politik. Dieses
Problem lässt sich nur dann lösen, wenn man Menschen dazu bewegen kann,
aufzuhören in ihren engen Identitätskategorien zu denken.
Braucht es einen neuen Universalismus?
Ja. Das Problem mit Universalismus war bisher, dass man die Prinzipien der
Aufklärung nicht immer in korrekter Weise in Kraft gesetzt hat. Thomas
Jefferson hatte diese wundervolle, universelle Philosophie, dass alle
Menschen gleich geschaffen wurden. Er erkannte Schwarze aber nicht als
Menschen an. Die universellen Prinzipien selbst sind aber trotzdem gut. Man
kann vielleicht einwenden, dass Menschen sie nie auf eine Weise umsetzen
werden können, wie sie umgesetzt werden sollten. Weil Menschen aus so
vielen Gründen scheitern. Aber es gibt dennoch nichts besseres als die
Idee, dass es ein objektiv Gutes und Richtiges gibt, dass wir unsere
Vernunft nutzen können, um Dinge zu erkennen und so an einer guten und
gerechten Welt arbeiten. Kultureller Relativismus ist eine gefährliche
Sache. Er kann eine Menge böser Dinge rechtfertigen.
War der Partikularismus linker Identitätspolitik trotz allem nicht
notwendig?
Es kann sein, dass die ganze Debatte einen Dreh hatte, der dazu führte,
dass das Leben von bestimmten Menschen anerkannt wurde. Viele hätten sich
sonst wohl nicht darum geschert. Zugleich ist es offensichtlich, dass die
Debatte überdreht ist und nun korrigiert werden muss. Auch weil wir in den
USA durch sehr tribalistische Zeiten gehen, die tribalistischsten meiner
Lebenszeit.
Wird auf Trump eine progressive Regierung folgen?
Die Talentfreiheit der Linken ist verstörend. Ich denke, Trump könnte
wieder gewinnen.
20 Apr 2018
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## AUTOREN
Volkan Ağar
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