| # taz.de -- Buch über antirassistische Kämpfe: Wenn Weiße Retter spielen | |
| > Die nigerianisch-irische Autorin Emma Dabiri rechnet in ihrem Buch mit | |
| > Rassismus ab. Ins Gericht geht sie auch mit falsch verstandenem | |
| > Antirassismus. | |
| Bild: Emma Dabiri bei der Verleihung der Royal Television Society Programme Awa… | |
| Was braucht es, um Rassismus zu bekämpfen und echte soziale Transformation | |
| zu erreichen? Aus Alliierten im Kampf gegen Rassismus müssen Koalitionäre | |
| der sozialen Frage werden. Das jedenfalls meint Emma Dabiri in ihrem Buch | |
| „Was weiße Menschen jetzt tun können“. Die irisch-amerikanische Autorin, | |
| die unter anderem für den Guardian und für Vice schreibt, fordert zu einer | |
| radikalen Dekonstruktion der Kategorie race auf. | |
| Emma Dabiri wächst als Tochter einer nigerianischen Mutter und eines | |
| irischen Vaters in Atlanta und Dublin auf. Während Irland sich ganz | |
| „natürlich“ als weißes Land definiert, verfügen die Vereinigten Staaten | |
| über große schwarze Communitys. | |
| In den USA und Irland erlebt Dabiri jeweils sehr unterschiedliche | |
| Vorurteils- und Benachteiligungsstrukturen. Aber hier wie da ist die enorme | |
| Kluft zwischen Schwarz und Weiß weit mehr als eine Frage des Rassismus. Sie | |
| ist immer auch [1][grundiert von Klassenungerechtigkeiten]. | |
| Dabiri liefert in ihrem Buch eine präzise Analyse der Funktionsweise | |
| rassistischer Ideologien innerhalb der kapitalistischen | |
| Klassengesellschaft. Dabei gelingt ihr eine schwierige Gratwanderung: | |
| Obgleich sie unverblümt mit Rassismus und falsch verstandenem Antirassismus | |
| abrechnet, bleibt ihr Buch vor allem eins: konstruktiv im Aufzeigen neuer | |
| Wege. Das ist erfrischend neu und anders. | |
| ## Aktivistische Floskeln | |
| Harsch geht Dabiri dagegen mit dem Onlineaktivismus ins Gericht. Es reiche | |
| eben nicht, floskelhafte Bekenntnisse auf Social Media zu äußern und zum | |
| „Checken“ der eigenen Privilegien aufzufordern. Viel zu oft sei ein solcher | |
| Aktivismus rein performativer Natur, während soziales Engagement ausbliebe. | |
| Bei Dabiri lautet die zentrale Aufforderung daher schlicht: „Spielt nicht | |
| mehr die ‚weißen Retter‘.“ | |
| Der Begriff Ally, also Alliierter, schrecke sie zudem regelrecht ab. „Es | |
| reproduziert eine Machtdynamik, die abstoßend auf mich wirkt.“ Solche und | |
| ähnliche Kritik wurde zuletzt von vielen schwarzen Autoren völlig | |
| unterschiedlicher politischer Couleur vorgetragen. | |
| Etwa von John McWhorter, einem konservativen Professor für | |
| Literaturwissenschaften, der in seinem Buch „Die Auserwählten“ äußerst | |
| polemisch mit Antirassisten und fanatischer Cancel Culture abrechnet. | |
| Dabiris Text ist weniger polemisch, aber ebenso direkt. Im Tonfall erinnert | |
| er an Texte Audre Lordes: Dabiri klingt ein wenig wie eine gute alte | |
| Freundin, die einem die Meinung geigt. | |
| Das Hauptproblem des antirassistischen Aktivismus besteht für Dabiri darin, | |
| dass er sich nicht von der Vorstellung von race lösen könne. Anders als | |
| hierzulande, wo der Begriff „Rasse“ ohnehin sehr problematisch ist, stellt | |
| race in den USA eine zentrale Analysekategorie dar. Aber jede Bezugnahme | |
| auf die Kategorie führe unweigerlich zu Rassismus, weil man | |
| verallgemeinernde Aussagen über eine Gruppe treffe, so die Autorin. | |
| ## Klassen sichtbar machen | |
| Dabiri will darüber hinaus den Spieß umdrehen: Statt die Benachteiligung | |
| von Schwarzen zu adressieren, gelte es, Weiße als Gruppe sichtbar zu | |
| machen. Denn während alle anderen markiert sind – also als „schwarz“, | |
| „indigen“ oder „asiatisch“ –, werden Weiße klandestin als Norm geset… | |
| [2][Weiße sind in diesem Sinne unmarkiert, aber genau das ist Ausdruck | |
| „normativer Machtstrukturen“]. „Wir müssen das Weißsein sichtbar machen… | |
| benennen, es einrahmen, um es zu demontieren.“ | |
| Der nächste Schritt ist das Sichtbarmachen von unsichtbaren | |
| Klassenstrukturen. Dabiri weist darauf hin, wie die Ausbeutung der | |
| Arbeiterklasse von Anfang an durch den Glauben an weiße Suprematie gestützt | |
| wird, der eine doppelte Funktion besitzt: Weiße Suprematie legitimiert die | |
| Ausbeutung Schwarzer, und sie vermittelt selbst dem ärmsten weißen | |
| Arbeiter, dass er immer noch mehr wert ist als ein Schwarzer. Deswegen ist | |
| die weiße Überlegenheit bis heute ein entscheidendes Moment populistischer | |
| rechter Parteien. | |
| Und in gewisser Weise versteht Dabiri, warum ärmere weiße Männer das | |
| Trostpflaster der Suprematie gerne annehmen: „Wir mögen es verabscheuen, | |
| aber wenn ein zartes und zerbrechliches Überlegenheitsgefühl gegenüber | |
| Schwarzen oder anderen als Minderheit bezeichneten Menschen alles ist, was | |
| Donny besitzt, warum sollte er das aufgeben?“ Wie aber könnte man „Donny�… | |
| stellvertretend für andere einfache Männer der Working Class, wirklich | |
| helfen und zugleich seine rassistische Weltsicht zerstören? | |
| Durch Koalitionen, durch temporäre Bündnisse im Kampf für konkrete | |
| Anliegen, so Dabiri. Nicht nur weiße oder schwarze Frauen der Mittelschicht | |
| können Koalitionen schließen. „Wir können beginnen, neue Geschichten zu | |
| erzählen, anstatt auf die Trennungslinien zurückzufallen, die gezogen | |
| wurden, um uns zu spalten, um uns besser ausbeuten zu können.“ | |
| Koalitionen ermöglichen Solidarität, ganz ohne „Einfühlung“ in den ander… | |
| So umgeht man auch eventuelle identitätspolitische Fallstricke, wonach eine | |
| Gruppe wie die der weißen Männer sich sowieso nie in die Gruppe schwarzer | |
| Arbeiterinnen einfühlen könne. Das müssen sie überhaupt nicht. Es genügt | |
| schon, wenn sie gemeinsam über gerechtere Ressourcenpolitik oder bessere | |
| Schulen nachdenken. | |
| 1 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marlen Hobrack | |
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