# taz.de -- Neues Archiv für Antirassismus: „Wir müssen von uns erzählen“ | |
> An antirassistischen Bewegungen waren hierzulande auch nicht-weiße | |
> Gruppen beteiligt. Das ist kaum bekannt. Ein neues Archivprojekt möchte | |
> das ändern. | |
Bild: Gut vernetzt: Afrikanische Studentenunion, hier bei einer Tagung in Münc… | |
taz: Herr Bababoutilabo, Sie sind einer der Initiatoren eines | |
Archivprojekts, das die Geschichte Deutschlands aus der Perspektive [1][der | |
Kämpfe gegen Rassismus] erzählen will. Wie kamen Sie dazu? | |
Vincent Bababoutilabo: Ich bin seit Langem bei der Initiative Schwarze | |
Menschen in Deutschland aktiv. Als 2020 die Black-Lives-Matter-Bewegung in | |
Deutschland losging, sind bei mir zwei Gefühle aufgekommen: große Freude | |
und große Skepsis. | |
Worauf bezog sich die Skepsis? | |
Auf das fehlende Wissen um die [2][Bewegungsgeschichte] bei jungen | |
Aktivist:innen, über Spezifika des Rassismus in Deutschland. Das ist | |
sehr weit verbreitet, ich nehme mich selbst nicht aus. Ich bin 34 und es | |
gibt viele Dinge, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Etwa | |
Kino-Stürmungen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes gemeinsam mit | |
der Afrikanischen Studentenunion in den 1960er Jahren, um die Aufführung | |
[3][kolonialrassistischer] Filme zu verhindern. Solche Geschichten zu | |
hören, bestärkt. Man sieht, dass man nicht alleine dasteht, sondern auf | |
Dingen aufbaut, die es schon sehr lange gibt. | |
[4][Das Archiv] soll dieses Bewegungswissen leichter verfügbar machen. Was | |
ist genau geplant? | |
Es gibt einen noch laufenden Dialogprozess zur Aufarbeitung der | |
antirassistischen Bewegungsgeschichte in der BRD und in der DDR. Damit sind | |
vier Community-Koordinator:innen beschäftigt. Ich bin einer davon und unter | |
anderem für Migration und Antirassismus in der DDR zuständig. Wir treten in | |
Kontakt mit Aktivist:innen, Betroffenen von rassistischen Angriffen oder | |
Institutionen, um nach deren Geschichten und politischen Praxen zu fragen. | |
Wer war das zum Beispiel? | |
Bestehende Archive, Initiativen aus der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und | |
Roma, aus der Frauenbewegung, aber auch das Berliner Antifa-Archiv | |
[5][Apabiz]. Ein wichtiger Bereich sind Privatarchive, etwa von | |
Aktivist:innen wie Garip Bali aus der Türkei. Er ist seit den 1970er | |
Jahren berlinweit politisch aktiv. Zu unserem Treffen kam er mit einer Tüte | |
voller alter Flyer und Plakate aus den 1970er bis 2010er Jahren. | |
Was haben Sie bei diesen Gesprächen erfahren? | |
Dass es eine unglaubliche, komplexe Bewegungsgeschichte gibt. Und dass es | |
unter deren Akteuren ein großes Bedürfnis gibt, die eigene Geschichte zu | |
erzählen. Material der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland findet | |
sich teils bereits in Museen. Die Gruppe Tribunal NSU-Komplex auflösen hat | |
enorm wichtiges Filmmaterial gesammelt. | |
[6][Women in Exile], in der sich geflüchtete Frauen in Brandenburg | |
zusammengeschlossen haben, haben viel Wissen über Kämpfe in den Lagern | |
gesammelt. Wie wird solches Wissen weitergetragen? Klar ist, dass wir | |
selbst von uns erzählen müssen. Wir wollen nicht zentralisieren, sondern | |
das, was es schon gibt, aufarbeiten und vernetzen. Wir wollen die | |
vergangenen 70 Jahre darstellen und suchen dafür nach neuen Wegen der | |
Darstellung. | |
Was kann eine solche Meta-Perspektive sichtbar machen, was die schon | |
existierenden Sammlungen nicht zeigen? | |
Sie kann zum Beispiel auch zeigen, wo und warum etwas auseinandergegangen | |
ist. Es ist ja nicht so, als gäbe es eine große Antira-Bewegung, die sich | |
immer einig war. Ich bin auf viele solidarische Momente gestoßen, aber auch | |
auf persönliche Verletzungen. Es gehört zum Rassismus, dass alle | |
unterschiedlich diskriminiert werden. Das macht es auch sehr schwierig, | |
diese Verhältnisse zu überwinden. Dem wollen wir nicht aus dem Weg gehen. | |
Wir wollen uns auch auf Brüche fokussieren, die zur Geschichte dazugehören. | |
Was für Brüche waren das? | |
Zum Teil sehr persönliche. Es gibt die Geschichte einer antirassistischen | |
Zeitschrift, die von einem Verein herausgegeben wurde. Irgendwann | |
realisiert der, dass zwei Drittel seines gesamten Geldes in die Produktion | |
der Zeitschrift fließen – und stellt sie ein. Die Zeitschrift hat aber eine | |
gewisse Bekanntheit erreicht. Deshalb entschieden Aktivist:innen, sie | |
privat weiterzutragen. | |
25 Jahre später wollen nun jüngere Aktivist:innen die Zeitschrift | |
wiederbeleben. Der Streit darum ist regelrecht explodiert. Es war so, dass | |
die Alten die Druckpressen quasi bei sich im Wohnzimmer stehen hatten. Sie | |
haben sich früher teils selbst für die Produktion der Zeitschrift | |
ausgebeutet. Und wollten nicht, dass einfach heute jemand Kapital aus ihrer | |
privaten Arbeit der 1990er schlägt. | |
Gab es auch politische Bruchlinien, auf die Sie gestoßen sind? | |
Natürlich. Das Aufkommen der Antideutschen etwa wird da immer wieder | |
benannt. Oder der linke Klassiker – Israel und Palästina. | |
Was ist mit den Konflikten zwischen weißen und migrantischen | |
antirassistischen Gruppen? | |
Dass Gruppen als „weiß“ oder als „PoC“ gelabelt wurden – das ist nach | |
meiner Erkenntnis oft erst im Nachhinein passiert. Ich habe mich mit der | |
Antifa Gençlik in Berlin ab den späten 1980er Jahren befasst, die bis heute | |
als „migrantisch“ gilt. Deren Aktivist:innen sagten mir: „Wir haben | |
alle in der gleichen Bar gechillt wie die weißen Antifas, haben uns in | |
Hausprojekten von weißen deutschen Autonomen getroffen.“ Und bei denen | |
waren sehr wohl auch Schwarze dabei. Das gilt ebenso für viele andere | |
Gruppen. | |
Das Narrativ von der weißen Linken hat so noch nie gestimmt. Wenn man genau | |
hinsieht, sind die nie ganz weiß, auch nicht ideologisch, viel kam aus | |
einem linken Internationalismus heraus. Devrimci Yol etwa, eine | |
linksradikale Bewegung aus der Türkei, hatte starken Einfluss auf Autonome | |
in Westberlin. Diese Gruppen als „weiß“ zu labeln, ist schwierig. | |
Das klingt nun doch eher nach Eintracht als nach Brüchen. | |
Die gab es natürlich auch. Antirassistische Initiativen sind auch in | |
Kritik, etwa an der weißen deutschen Frauenbewegung, entstanden, die sich | |
teils nicht gut mit Kritik auseinandergesetzt hat. Ein Beispiel dafür ist | |
die Gruppe Adefra, in der sich ab Mitte der 1980er afrodeutsche Frauen | |
zusammengeschlossen haben. | |
Was können Sie über Antirassismus in der DDR berichten? | |
Die SED hatte schon früh behauptet, dass Rassismus ein Phänomen | |
kapitalistischer Staaten ist und mit dem Sozialismus entsprechend aufgehört | |
habe zu existieren. Dann gab es ab den 1970er Jahren Fachkräftemangel. Mit | |
einer Rhetorik internationaler Solidarität wurden | |
Vertragsarbeiter:innen abgeworben. Sie waren einem ganz klaren | |
Kontrollregime unterworfen. Vietnamesische Frauen etwa wurden nach Ankunft | |
gynäkologisch untersucht, danach bekamen sie die Pille. Sie sollten nicht | |
schwanger werden. Passierte es doch, drohte ihnen die Abschiebung. Gewollt | |
war nur ihre Arbeitskraft. | |
Gab es Widerstand gegen dieses Kontrollregime? | |
Ja. Mit der Ankunft migrantischer Arbeitskräfte gab es auch mehr Streiks. | |
Die waren nicht verboten, aber auch nicht gern gesehen. Sie wurden sehr | |
häufig durch Abschiebungen beendet. Unter diesen Bedingungen fand in der | |
DDR eine Art Internationalismus von oben statt. | |
Worin bestand dieser „Internationalismus von oben“? | |
Außenpolitisch hat die DDR viel Gutes gemacht. Vertreter:innen von | |
Befreiungsbewegungen aus dem Globalen Süden waren oft zu Gast. Die DDR war | |
solidarisch mit dem ANC (African National Congress; Anm. d. Redaktion), | |
anders als die BRD. Das gehört zur Geschichte dazu. In diesen Kontext | |
gehört die unter anderem von Margot Honecker errichtete „Schule der | |
Freundschaft“ (in Staßfurt, Sachsen-Anhalt, Anm. d. Redaktion). Ab 1982 | |
lebten dort insgesamt 1.200 Schüler:innen aus Mosambik und Namibia, die | |
als Facharbeiter:innen ausgebildet werden sollten. Die haben | |
Jungpioniere getroffen, gemeinsam die Internationale gesungen. | |
Doch vieles, was von Mensch zu Mensch, informell, lief, wurde sanktioniert. | |
Trotzdem entstanden Freundschaften und Liebesbeziehungen, aber die wurden | |
häufig bestraft. Die Schüler:innen sollten hinter den Gittern ihrer | |
Schule bleiben. Die Schule war internationalistisch gedacht, aber sie war | |
ein Kristallisationspunkt des Rassismus in der DDR. | |
Es gibt heute die „Initiative 12. August“. Die kämpft für das Gedenken an | |
Opfer rassistischer Morde in der DDR. Benannt ist sie nach dem Tag, an dem | |
die beiden kubanischen Vertragsarbeiter Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret | |
1979 in Merseburg gelyncht wurden. Und ein anderer Fall ist der von Carlos | |
Conceição. Der kam als Jugendlicher aus Mosambik an die Schule der | |
Freundschaft und wurde am 19. September 1987 in Staßfurt umgebracht. | |
10 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Brandanschlag-im-Jahr-1991-in-Saarlouis/!5845925 | |
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[4] https://versammeln-antirassismus.org/ | |
[5] https://www.apabiz.de/ | |
[6] https://www.women-in-exile.net/ | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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