| # taz.de -- Autor über Rassismus und Integration: „Ich sehe meine Farbe nich… | |
| > Der Herzchirurg Umes Arunagirinathan sucht den Dialog mit | |
| > Rassist:innen. Mit seinem neuen Buch „Grundfarbe Deutsch“ will er | |
| > aufklären. | |
| Bild: Möchte mit Rassist:innen sprechen: Autor und Herzchirurg Umes Arunagirin… | |
| „Sie lachen immer so niedlich“, sagt eine ältere Besucherin des Cafés zu | |
| Umes Arunagirinathan. Ihre zweite Frage: „Kommen Sie aus Indien?“ Seine | |
| Antwort: „Nein, ich bin aus Hamburg, meine Eltern kommen aus Sri Lanka.“ | |
| taz: Herr Arunagirinathan, wie fanden Sie diese Frage? | |
| Umes Arunagirinathan: Sympathisch. Andere hätten das anders empfunden, für | |
| mich ist es reine Neugier. Sie hat einen Dialog mit mir gesucht – genau | |
| das, was ich mit meinem Buch erreichen will. | |
| Darin schreiben Sie, dass Ihre Lieblingsfarbe Deutsch ist. Warum? | |
| Ich fühle mich hier heimisch. Deutschland ist ein Ort, an dem ich frei sein | |
| kann. Ein Ort, nach dem ich damals als Kind im Krieg gesucht habe. Wo | |
| Grundwerte existieren, von denen ich profitiert habe. Ich bin auch im | |
| Alltag eher deutsch, zum Beispiel beim Thema Pünktlichkeit. Das war früher | |
| nicht so. Inzwischen ärgere ich mich, wenn Menschen zu spät kommen. Und ich | |
| bin eher auf Sicherheit bedacht, gedanklich immer bei morgen. Mein Bruder | |
| lebt eher in den Tag hinein. Was mein Bruder auch nicht weiß: wie wichtig | |
| Toleranz ist und wie schön es ist, mit anderen Kulturen zusammen zu | |
| wachsen. Ich bin auf Sri Lanka tamilisch geprägt aufgewachsen und habe in | |
| Deutschland erst gelernt, mit anderen Religionen, Kulturen und Sprachen | |
| umzugehen. | |
| Das sind viele positive Werte. Finden Sie, dass die Menschen, die Sie in | |
| Ihrem Buch „Biodeutsche“ nennen, zu wenig stolz darauf sind? | |
| Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mich viel mehr mit Deutschland | |
| identifiziere als viele andere, die hier geboren sind. Vielleicht hat es | |
| auch etwas damit zu tun, dass ich einen Hunger nach Identität und Liebe | |
| hatte. Die Heimat, in der ich geboren wurde, habe ich verloren. Außerdem | |
| empfindet man im Krieg kein Gefühl von Heimat, dazu fehlt dort die | |
| Sicherheit und Geborgenheit. Hier war nach meiner Ankunft auch erst mal | |
| alles fremd. Heute sehe ich meine Farbe nicht, ich sehe nicht, dass ich | |
| dunkelhäutig bin. Das ist mir nur dann bewusst, wenn entsprechende Fragen | |
| gestellt werden. Ich bin dankbar und habe eine Wertschätzung für diese | |
| Gesellschaft. Viele Grundwerte, die wir haben, sind für mich nicht | |
| selbstverständlich. | |
| Wie kam es dazu, dass Sie jetzt so über Ihr Zuhause sprechen können? Sie | |
| sind mit 13 bei der Familie Ihres wenig integrierten Onkels gelandet. | |
| Im Gegensatz zu meinem Onkel bin ich hier groß geworden und damit tief | |
| verwurzelt. Zudem bin ich auch einfach sehr neugierig: Ich wollte das Land | |
| kennenlernen, das mir die Tür geöffnet hat, als ich in Not war. | |
| Dennoch erleben Sie ein- bis zweimal pro Woche [1][Rassismus], haben Sie | |
| kürzlich im NDR erzählt. | |
| Wenn man das so interpretieren will, ja. Wenn ich mich im Zug hinsetzen | |
| will und diese Blicke spüre, bei der Wohnungssuche, wenn Patienten | |
| überrascht sind oder wenn ich in einem Laden einkaufe und gefragt werde, | |
| was ich beruflich mache – weil es nicht ins Bild passt, dass ich mir die | |
| Schuhe leisten kann. | |
| Sprechen Sie das an? | |
| Nein, ich lächle einfach. Was können die mir denn? Ich bin hier zu Hause, | |
| habe meinen Job, zahle Steuern, habe deutsche Patenkinder. Ich bin | |
| inzwischen so selbstbewusst, dass mich das gar nicht stört. | |
| Empfinden Sie in solchen Situationen Wut? | |
| Nein. Aber manchmal kostet es mehr Kraft. Denn immer wenn ich merke, dass | |
| mein Gegenüber Vorurteile hat oder Distanz aufbaut, versuche ich, | |
| unglaublich sympathisch zu sein. Ich möchte nicht das Bild bestätigen, was | |
| es von mir hat. | |
| Sie beschreiben in Ihrem Buch die Situation mit einem rassistischen | |
| Patienten, der Sie nur angeschwiegen hat und zum Abschied aber sagte: „Sie | |
| sind ein guter Junge.“ Wie sind Sie damit umgegangen? | |
| Ich wollte ihn nicht verlegen lassen, obwohl mir das angeboten wurde. | |
| Stattdessen war ich übertrieben freundlich und habe ihn oft besucht. Ich | |
| wollte, dass er am Ende selbst an seiner Haltung zweifelt. Es hat sich | |
| immer wieder bestätigt, dass sich das lohnt. Aber ich kann auch jeden | |
| verstehen, der die Kraft nicht hat. | |
| Woher nehmen Sie die Kraft? | |
| Über die Bestätigung! Außerdem empfinde ich Emotionen – ob Verliebtheit, | |
| Trauer, Wut, Freude – als Energie. Auch Enttäuschung und Frust. Ich habe | |
| für mein erstes Manuskript 24 Absagen bekommen, fünf Jahre hat die | |
| Veröffentlichung gedauert. Aber ich habe weitergemacht, weil jede Absage | |
| eine treibende Kraft ist. | |
| War das auch schon in der Schulzeit so? Sie haben ein Einser-Abi hingelegt, | |
| obwohl Sie mit 13 noch kein Wort Deutsch konnten. | |
| Ich habe da auch Zweifel und Überforderung gespürt. Als mein | |
| Abschiebebescheid kam, habe ich überlegt, aus dem elften Stock zu springen. | |
| Aber im Verlauf habe ich gelernt: Wenn ich für etwas gekämpft habe – gegen | |
| die Abschiebung, für das Abitur, für bessere Noten –, hat es sich gelohnt. | |
| Natürlich stand ich vor dem Abi auch unter extremem Druck. Ohne | |
| Studienplatz drohte die Abschiebung. | |
| Medizin musste es auf jeden Fall sein? | |
| Ja. Meine Schwester ist im Krieg an einer Nierenkrankheit gestorben. Meine | |
| Mutter flüsterte mir früher immer ins Ohr, wie schön es wäre, einen Arzt in | |
| der Familie zu haben. Ich habe ihr am 6. Januar 1991 bei der Abreise | |
| versprochen, dass ich nicht rauche, nicht trinke und dass ich als Mediziner | |
| zurückkomme. 23 Jahre später war ich zum ersten Mal wieder bei ihr und auf | |
| Sri Lanka, zur Beerdigung meines Vaters. Danach habe ich ihr gesagt, dass | |
| ich mich daran gehalten habe. Da hat sie gelächelt. | |
| Sie nehmen Rassismus also nicht als bremsende Kraft in Ihrem Leben wahr. | |
| Ich sehe mich nicht als Opfer. Ein promovierter Herzchirurg, der als | |
| Flüchtling kam, kann erstens kein Opfer sein, außerdem habe ich gelernt, | |
| mit Rassismus umzugehen. Und ich glaube immer noch daran, dass ich auch mit | |
| Rassisten reden kann. Viele wissen gar nicht, dass sie rassistische Dinge | |
| sagen und was sie damit beim Gegenüber auslösen können. Es ist wichtig, sie | |
| zu sensibilisieren. Ich glaube, dass viele Menschen mit Vorurteilen | |
| reflektieren und lernen können. Natürlich suche ich nicht den Dialog mit | |
| einem gewalttätigen Nazi. Aber mit den meisten kann und muss man reden. Je | |
| jünger wir diese Leute anpacken, desto besser. Deswegen gehe ich auch gerne | |
| in Schulen. Wenn Erwachsene rassistisch sind, ist es schwierig, sie zu | |
| erreichen. Aber wenn deren Kinder Zugang zu dem Thema finden, haben wir | |
| eine größere Chance, die Gesellschaft langfristig offener zu machen. | |
| Sie schreiben, dass Sie Triggerwarnungen [2][beim N-Wort] oder den Begriff | |
| [3][„Black People of Colour“], BlPoC für sinnlos halten. Warum? | |
| Ich will Rassismus nicht verharmlosen, auch Begriffe wie Mohren-Apotheke | |
| nicht. Aber ich möchte nicht mit Verboten arbeiten. Dadurch spalten wir die | |
| Gesellschaft. Ein Verbot ist für viele Menschen eine Einschränkung ihrer | |
| Freiheit. Wer dann etwas weniger sozial als andere ist, ärgert sich – und | |
| distanziert sich noch mehr. | |
| Aber es gibt von Rassismus betroffene Menschen, die sich an bestimmten | |
| Worten stören. | |
| Natürlich, das erkenne ich auch an. Der Schmerz durch Rassismus ist | |
| subjektiv und hängt auch von Erfahrungen und Charakterstärke ab. Aber ich | |
| konzentriere mich auf andere Sachen. Ich glaube nicht, dass man Rassismus | |
| abschafft, wenn man Worte verbietet. | |
| Auch nicht in Kombination mit dem Dialog? | |
| Ganz im Gegenteil. Man stimuliert sogar Rassismus, wenn man in eine | |
| Gesellschaft kommt und anfängt, Dinge zu verbieten. Dann gehen eben viele | |
| Menschen in eine Partei, in der sie angeblich genau das sagen können, was | |
| in der Gesellschaft tabu ist. Bei Lesungen erfahre ich von Menschen – | |
| besonders an Orten, wo weniger Geflüchtete leben –, dass sie sich an | |
| vermeintlichen Verboten stören. Sie sind gar nicht so rassistisch, sie | |
| fühlen sich einfach subjektiv beeinträchtigt. Genau mit denen will ich | |
| reden. Ich liebe diese Gespräche. Wenn die AfD es schafft, unsere | |
| Gesellschaft zu spalten, müssen wir gemeinsam die AfD spalten. | |
| Noch mal zurück zum Begriff „BlPoC“. Sie finden es sinnlos – aber viele | |
| nutzen ihn. | |
| Ich habe eine Freundin aus Ghana, die sich in der Community total wohl | |
| fühlt. Sie ist dort glücklich, und das ist in Ordnung. Aber es ist eben | |
| eine Nische. Sie baut damit eine Parallelgesellschaft. Sie ordnet sich | |
| einer Gruppe unter. Ich bin homosexuell – aber ich möchte nicht einer | |
| Partei beitreten, die nur schwule Mitglieder hat. Wir könnten die Kraft | |
| bündeln, wenn wir uns als Einheit gegen Rassisten stellen. | |
| Ecken Sie mit der Haltung auch an? | |
| Ja. Es gibt Streitgespräche. Auch mit meiner Cousine habe ich über das Buch | |
| gestritten. Aber ich möchte mich nicht als tamilischer Sri Lankaner oder | |
| schwuler, dunkelhäutiger Deutscher sehen. Ich möchte, dass man mich als | |
| Deutscher wahrnimmt. Ich will nicht anders aussehen – aber ich möchte eine | |
| Grundfarbe haben, mit der sich alle identifizieren. Auch die Freundin aus | |
| Ghana oder meine beste Freundin aus Persien. | |
| Ist das auch der Grund, warum Sie das Buch geschrieben haben? | |
| Ja, aber ich habe viele Motivationen. Ich hatte so viel Glück auf meinem | |
| Weg. Das möchte ich teilen, sodass Menschen, die heute zu uns kommen, meine | |
| Geschichte hören und erfahren können, welche Hindernisse und Möglichkeiten | |
| es gibt. Ich möchte die Menschen, die den Ankommenden gegenüber skeptisch | |
| sind, aufklären – und die Ankommenden ermutigen, dies auch wirklich zu tun. | |
| Sie halten mangelnde Integrationsbereitschaft für ein Problem? | |
| Ich erwarte, dass die Ankommenden den Schlüssel nehmen, der ihnen hier | |
| gereicht wird. Konkret heißt das, dass sie die Möglichkeiten für | |
| Integration in Anspruch nehmen sollten: Sprachförderung, Schule, Arbeit. | |
| Wenn sich jemand wehrt, bin ich kritisch. | |
| Reichen dafür denn die Rahmenbedingungen? | |
| Das ist leider unterschiedlich. Bremen ist sehr offen und sozial, | |
| beispielsweise im Vergleich zu Bayern oder dörflichen Regionen. Aber | |
| manchmal muss man eben auch für den Schlüssel kämpfen, wenn er einem nicht | |
| gereicht wird. | |
| Wenn ich an bürokratische Hürden denke, könnte der Staat da aber noch | |
| einiges verbessern. | |
| Das finde ich auch. Aber im Vergleich zu vor 30 Jahren ist es schon | |
| leichter geworden. Als ich ankam, gab es in Hamburg drei Schulen, an denen | |
| ich Deutsch lernen konnte. Heute gibt es mindestens 30. Beim Thema Arbeit | |
| gibt es heute aber immer noch viel zu verbessern: Es kommen so viele junge | |
| Menschen, und hier fehlen so viele Fachkräfte. Ob das Asylberechtigte sind | |
| oder nicht – es ist doch menschlich zu verstehen, dass jemand aus | |
| wirtschaftlichen Gründen herkommt, um seine Kinder zu ernähren, auch wenn | |
| in seiner Heimat kein Krieg ist. Dann soll der Staat diesen Menschen eben | |
| eine Ausbildung zahlen. Anschließend arbeiten sie in der Branche. Wenn wir | |
| das schaffen, die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik mehr zusammen zu | |
| denken, wäre das super. | |
| Würden Sie das Aufenthaltsrecht an Bedingungen knüpfen? | |
| Ja, schon. Man muss der Gesellschaft gegenüber ja begründen, warum jemand | |
| hier sein darf. Nicht jeder Flüchtling muss promovierter Herzchirurg sein. | |
| Aber jeder kann einen Teil beitragen. Und eine Mutter mit drei Kindern muss | |
| natürlich nicht zum Arbeiten gezwungen werden. Die soll die Gesellschaft | |
| tragen. Aber nicht jemanden, der fähig ist, aber faul. | |
| Individuell zu schauen, hieße auch, die Menschen, die direkt aus dem Krieg | |
| kommen, nicht direkt zu überfordern? | |
| Die haben schon so harte Sachen hinter sich – das Arbeiten in Deutschland | |
| ist dagegen leicht. Die Trauer zu verarbeiten, ist zudem ein Prozess, der | |
| leider nicht immer sofort stattfindet. Meistens holt einen das später ein. | |
| Beim Umgang mit mentaler Gesundheit können wir auch noch einiges | |
| verbessern. | |
| Leider ist es so, dass viele keine Empathie dafür haben, dass ein Mensch | |
| von seiner Flucht krank werden kann. Psychische Krankheiten werden | |
| allgemein nicht ernst genommen. Das ist ein Problem, unabhängig von der | |
| Herkunft der Betroffenen. | |
| 14 Apr 2022 | |
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| Alina Götz | |
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