| # taz.de -- Essayband von Mely Kiyak: Krise, für wen eigentlich? | |
| > Soll man lachen oder weinen? In kurzen Essays spitzt die Kolumnistin Mely | |
| > Kiyak die Diskussionen um Migrationspolitik zu. | |
| Bild: Zwei Betroffene: Frauen auf der Flucht, Przemyśl, Polen am 1. März | |
| Gnadenlos ehrlich, zynisch – manchmal vielleicht etwas zu zynisch – und | |
| doch stets humorvoll beschäftigt sich die [1][Kolumnistin Mely Kiyak] in | |
| ihrem neuen Buch „Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“ mit Fragen rund | |
| um die Geflüchteten- und Migrationspolitik. | |
| Dabei ist es vor allem die Doppelmoral der Politiker*innen wie auch | |
| der großen Medienhäuser, die sie umzutreiben scheint: Angefangen von den | |
| „Flüchtlingen, die neuerdings Migranten heißen“, über die | |
| Migrantenliteratur als „unansehnliche, pummelige Cousine aus dem | |
| Zonenrandgebiet der echten deutschen Literatur“ bis hin zu sexuellen | |
| Übergriffen, die deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie von | |
| Ausländern verübt werden. Über all diese Themen und noch mehr echauffiert | |
| sich Kiyak in ihren kurzen Essays. | |
| Obwohl sie das Buch weit vor [2][Putins Angriff auf die Ukraine] schrieb, | |
| lassen sich ihre Betrachtungen mit Blick auf die aktuelle Krise noch weiter | |
| zuspitzen. Wenn man diese Krise denn als solche bezeichnen will, denn auch | |
| das hat Kiyak in ihrem Buch sehr treffend erkannt: Für wen ist das | |
| eigentlich eine Krise? Ja wohl für die Geflüchteten und nicht für Europa. | |
| Erinnert sich zufällig noch jemand an den ehemaligen Bürgermeister der | |
| nordrhein-westfälischen Stadt Schwerte, Heinrich Böckelühr, und seinen | |
| Plan, [3][die 21 der Stadt zugeteilten Flüchtlinge in der KZ-Außenstelle | |
| Buchenwald unterzubringen]? Er begründete das 2015 damit, dass „in Schwerte | |
| kein Nachholbedarf an Erinnerungskultur“ bestehe und die „menschenwürdige | |
| Unterbringung von Flüchtlingen“ im Vordergrund stehe, die in der | |
| Einrichtung gegeben sei. | |
| ## In ganz Deutschland besteht Nachholbedarf | |
| Lässt man den Fakt außen vor, dass es damals strikte Ortszuweisungen für | |
| Geflüchtete gab, sie sich also nicht frei in Deutschland bewegen konnten – | |
| ganz zu schweigen von den nachfolgenden Strapazen beim Asylverfahren –, | |
| hätte im Jahr 2022 niemand daran gedacht, ukrainische Geflüchtete in einem | |
| ehemaligen KZ unterzubringen, denn das ist schlichtweg geschmacklos. Ganz | |
| nebenbei, Herr Böckelühr, [4][besteht in ganz Deutschland noch immer | |
| Nachholbedarf in Sachen Aufarbeitung des Nationalsozialismus.] | |
| Mely Kiyak schreibt dazu: „Der Hammer für überschuldete und hilfsbedürftige | |
| Kommunen wäre natürlich die Mehrzwecknutzung der Leichenkeller in den | |
| Krankenhäusern. Da steht doch sicher das eine oder andere Kühlfach leer. | |
| Mit einer Wolldecke kann man das überleben. Wer sein Zuhause verloren hat, | |
| ist gewiss froh über ein Einzelbett.“ Sie bringt hier die Problematik in | |
| einer solchen Absurdität auf den Punkt, dass man beim Lesen nicht weiß, ob | |
| man lachen oder weinen soll. Schließlich hat der Krieg in der Ukraine | |
| bewiesen, dass es anders geht. | |
| [5][Hunderttausende Ukrainer*innen sind inzwischen in Deutschland | |
| angekommen], viele von ihnen wurden in privaten Unterkünften aufgenommen | |
| sowie in Hotels und Kirchen. Auch wenn die zivilgesellschaftliche | |
| Hilfsbereitschaft um einiges höher scheint als bei den syrischen | |
| Geflüchteten 2015, so gab es ähnliche Bürgerinitiativen doch auch schon vor | |
| ein paar Jahren und genau das kritisiert Kiyak: „Irgendwann wird die | |
| Bürgerhilfe als selbstverständlich betrachtet. Im Hinblick auf kommende | |
| Flüchtlinge ist das fatal.“ | |
| Sind wir da jetzt angekommen, bei der fatalen Unterstützung seitens der | |
| Bürger*innen? Oder gelten für nicht-europäische Geflüchtete einfach andere | |
| Regeln und sie müssen sich eben mit der Unterstützung begnügen, die sie | |
| bekommen können? | |
| Obwohl Kiyak ihre Gedanken zu diesen Missständen weitgehend gut | |
| verständlich und pointiert äußert, kommt doch hin und wieder die Frage auf, | |
| für wen sie eigentlich schreibt. Soll ihre Essaysammlung ein Weckruf für | |
| die deutsche Politik sein? Eine Aufforderung an die heteronormative, weiße | |
| Zivilbevölkerung vielleicht? Oder doch eine Art Hommage an die Betroffenen? | |
| Es bleibt unklar. | |
| 24 Apr 2022 | |
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| [4] /Historikerstreit-20/!5835129 | |
| [5] /Ukrainische-Gefluechtete-in-Deutschland/!5844894 | |
| ## AUTOREN | |
| Nora Rauschenbach | |
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