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# taz.de -- Größte Depolitisierung aller Zeiten: Freimachen von der Trump-Hyp…
> Totalitarismus, Kriegsverbrechen, Datenklau – reale Missstände nimmt
> unser Autor kaum noch wahr. Weil ihm der US-Präsident keine Ruhe lässt.
Bild: „Die Hassfigur Trump lenkt mich ab“
Ich gestehe: Ich habe eine Trump-Obsession. Jeder Wochentag beginnt mit der
neuesten Sendung von Rachel Maddow sowie einem Blick in die amerikanische
Presse („Politico“, „New York Times“, „Dissent“, „Jacobin“). So…
schaue ich mir zuerst „Meet the Press“, dann „Fox News Sunday“ an.
Montagmorgens begeistert mich John Oliver, Samstagmorgens Bill Maher.
Dazwischen höre ich Podcasts wie jenen von „The Intercept“.
Seit Jahren empfinde ich zum ersten Mal wieder das dringende Bedürfnis,
täglich die Nachrichten zu schauen. Obwohl sie mich so selten beglücken.
Dieser Impuls ist ein zutiefst masochistischer, ich leide wie ein
Alkoholiker, der stets nur einen heftigen Kater bekommt.
Am Ende des Tages ärgere ich mich über mich selbst, schäme mich manchmal
gar. Denn eigentlich weiß ich, wenn ich mal innehalte, um mein Gaffen zu
analysieren, dass all die Skandale und Erregungen das Wesentliche
verschleiern. Obwohl mir durchaus bewusst ist, dass existenziell wichtige
Prozesse der Refeudalisierung, der Aushöhlung zivilgesellschaftlicher
Errungenschaften, der kulturellen Rückständigkeit im Hintergrund ablaufen,
bin ich wie gebannt von der Frage, ob Trumps Advokat den Kampf gegen das
Pornosternchen verlieren wird. Und ob diese Nebenfigur, die einer
„Sopranos“-Folge entsprungen zu sein scheint, die Seiten wechseln und mit
dem Staatsanwalt zusammenarbeiten wird.
Mit anderen Worten: Ich betrachtete die Politik wie eine jener weltweit so
erfolgreichen US-amerikanischen Serien. Gerade, weil ich Trump nicht
ausstehen kann, will ich alles über ihn wissen. Die intensive Abscheu, die
er in mir weckt, bedeutet, dass ich ihm auf den Leim gegangen bin.
## Erweitert die heimische Oligarchie
Wenn ich mich über weitere alternative facts von Trump empöre, übersehe ich
die inzwischen völlig selbstverständliche und verbreitete Kultur des
Lügens. Ein Beispiel: Mark Zuckerberg log sich neulich mit dem
Gesichtsausdruck eines schlecht konstruierten Roboters zwei Tage lang durch
eine Kongress-Anhörung (Zerknirschung, Einsicht, Entschuldigung,
Beteuerung), bevor Facebook umgehend die Daten von mehr als 1,5 Milliarden
nichteuropäischen Nutzern aus Irland in die USA verlegte, um sie dem
Geltungsbereich der neuen EU-Datenschutzverordnung zu entziehen. Die
Hassfigur Trump lenkt mich davon ab, mich näher mit der totalitären Gefahr
namens Facebook zu befassen.
Während meine gesamte Aufmerksamkeit gefangen ist von der Frage, wie Trump
in die Wüste seiner eigenen Erbärmlichkeit geschickt werden könnte,
erweitert die heimische Oligarchie um ihn herum (wieso eigentlich wird das
Wort „Oligarchie“ mittlerweile nur noch in Zusammenhang mit Russland,
Ukraine und Ähnlichen verwendet?) ihren Einfluss, ihr Vermögen und ihren
Zugriff auf die letzten verbleibenden Allmenden. Etwa jene zwei Millionen
Hektar Land, die kürzlich aus zwei großen Nationalparks im Süden Utahs
herausgeschnitten wurden.
Nach einem Bericht der New York Times konzentrierte sich das United States
Department of Interior, das amerikanische Heimatministerium, von Anfang an
auf die Kohle-, Öl- und Gasressourcen innerhalb der beiden
Naturschutzgebiete. Das Kaiparowits-Plateau, eine abgelegene Region im
Herzen des wunderschönen Grand Staircase-Escalante National Monument,
enthält gewaltige Kohlevorkommen von geschätzten mehr als elf Milliarden
Tonnen, die „technologisch förderbar“ wären. Insgesamt haben die
Bodenschätze in dem nun zum Raubbau freigegebenen Gebiet einen Wert von
zwischen 2 und 18,6 Milliarden Dollar. Kleine Geschenke erhalten die
Seilschaft.
## Dieser dummdreiste Brausekopf
Während ich die medialen Diskussionen um das Bombardement der syrischen
Giftgaslagerstätten verfolge, inklusive der wohl unvermeidlichen Witzchen
über den Walrossschnurrbart des frisch bestellten Ministers für
Kriegstreiberei, der schon in früheren Regierungen dem Massenmord das Wort
redete, vergesse ich fast, dass in der Nachbarschaft mit stillem
Einvernehmen der Nato kolossale Kriegsverbrechen verübt werden: im Jemen
und in den befreiten kurdischen Gebieten. Wenn ich einen Tweet von Trump
eher wahrnehme als die medial kaum beachteten Gräuel im Jemen, dann hat
Trump ein weiteres Mal gewonnen. Je mehr wir ihn dämonisieren, desto besser
steht er da. Diese scheinbare Witzfigur, dieser dummdreiste Brausekopf, ist
das vielleicht erfolgreichste Depolitisierungsprogramm seit
Menschengedenken.
Inzwischen wissen wir, dass ein beachtlicher Teil der Superreichen in den
USA, die eine materielle Ungleichheit von historisch einmaligen
Proportionen zu verantworten haben – der Abstand zwischen den Ärmsten und
Reichsten ist prozentual größer als in der Sklavenhaltergesellschaft des
Alten Rom –, Trump finanziert hat. Man muss die Weitsicht und Strategie
dieser Strippenzieher zähneknirschend bewundern. Sie haben in gut einem
Jahr mehr erreicht, als sie sich erhoffen durften. Zumal sich der
Widerstand zwar formt, aber trotz des großen Hypes den Brandstifter Trump
nicht aus dem eigenen Haus zu jagen weiß.
Wie auch anderswo auf der Welt offenbart sich zudem, dass die
parlamentarische Opposition keine politische Vision hat, die sie der
frustrierten und gespaltenen Nation anbieten könnte. Auf der einen Seite
steht Godzilla, auf der anderen bürokratische Krämerseelen, bewaffnet mit
einem Lineal, um den kleinsten gemeinsamen Kompromiss auszumessen. Dabei
wäre vieles an Widerstand möglich. Das einzig Gute am Phänomen Trump ist
die potenzielle Mobilisierung von entgegengesetzten politischen Energien.
Die zwischen 1980 und 2000 Geborenen haben laut einer US-Umfrage von 2017
eine positivere Meinung über den Sozialismus als über den Kapitalismus.
Darauf ließe sich aufbauen, aber zunächst müssten wir uns von der
Trump-Hypnose freimachen.
Am besten fasse ich mich an die eigene Nase. Der Tag, an dem ich Trump
ignoriere, ist ein gewonnener Tag für wirklichen Widerstand.
26 Apr 2018
## AUTOREN
Ilija Trojanow
## TAGS
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Jemen
zeitgenössische Kunst
Rechtspopulismus
Identitätspolitik
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