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# taz.de -- Debatte Konjunktur des Rechtspopulismus: Rechts um! Stillgestanden!
> Der Rechtsruck ist eine soziale und zugleich unsoziale Bewegung: Man
> stellt sich auf die Seite der Ausbeuter und befreit sich von sozialen
> Skrupeln.
Bild: Rechts ist auch ein modisches Spektrum: Nationalistische Füße bei einer…
BERLIN taz | Wir haben uns angewöhnt, die sprunghaften Bewegungen von
Diskursen, Wählerstimmen und politischem Handeln nach rechts als
Auswirkungen von Krisen zu verstehen. Und an Krisen hat die Ökonomie
unserer Tage wahrlich keinen Mangel. Aber die Ausschläge unterscheiden sich
doch zwischen einer „Finanzkrise“ und einer „Flüchtlingskrise“. Die gr…
alle anderen umfassende Krise indes scheint die Umwandlung von einem
sozialstaatlich und demokratisch gezügelten Wohlfühlkapitalismus, der sich
als strahlende Alternative zu unfreien Mangelwirtschaften „im Osten“
inszenierte, zu einem unbarmherzigen, deregulierten „neoliberalen“
Kapitalismus.
Da die Versprechungen von ewig wachsendem Wohlstand und immer mehr
Unterhaltung sich nicht einlösen lassen, zugleich aber das Projekt von
Kultivierung und Entbarbarisierung der Welt als „Moderne“ abgebrochen
wurde, besinnt man sich zunehmend auf Imaginäres, aber Unverlierbares: auf
die „Nation“ und das „Volk“ – Auszeichnungen, die auch jenseits des
ökonomischen Misserfolgs Bestand haben: Es sind Kriegsreligionen für
Menschen, die diesseitige Dinge brauchen, die groß und heilig sind, in
deren Namen jede Gewalt und jede Gleichgültigkeit gerechtfertigt ist und
die Hass gegen schwächere, andere, fremde Menschen legitimieren.
Bei den vielen Erklärungen für den Rechtsruck der europäischen
Gesellschaften darf die der subjektiven Erleichterung nicht fehlen:
Rechtsextremismus fühlt sich gut an, wenn andere Medien des
Sich-gut-Fühlens verloren gehen. Rechtspopulismus und die Neue Rechte
können nicht erklärt werden, ohne die drastischen gesellschaftlichen
Veränderungen in den Blick zu nehmen, die der Neoliberalismus mit sich
brachte.
Wer sich nach rechts wendet, tut es selten allein aus Gründen einer
ideologischen Selbsttherapie oder „Verblendung“. Stets offenbart diese
Bewegung ihren materiellen Gehalt: Man will anderen nichts abgeben, man
verlangt Schutz gegen Konkurrenten, und in der Angst, andere könnten „auf
unsere Kosten“ leben, zeigen sich Gier und Missgunst. Statt Ausbeutung und
Unterdrückung zu beseitigen, stellt man sich um jeden Preis auf die Seite
der Ausbeuter und Unterdrücker, ist ihnen mit Leib und Seele verbunden und
betreibt die Arbeit ihrer Legitimation und ihrer Praxis. Sich als „Volk“ zu
definieren heißt auch, sich von sozialen Skrupeln zu befreien.
## „Die“ Rechte gibt es nicht
Kurzum: Rechtspopulismus, Neokonservatismus und Rechtsextremismus sind
nicht nur erfolgreich, weil sie Ängste und Begierden aufgreifen, Affekte in
Ideologie umwandeln, sondern auch, weil sie unter bestimmten Bedingungen
für den Einzelnen durchaus „nützlich“ sind. Von der Vorstellung allein von
Irregeleiteten, Empörten, die falschen Führern folgen, von falschen
Antworten auf richtige Fragen und wie die Beschwichtigungen noch lauten
mögen, sollten wir uns verabschieden.
Nach-rechts-Gehen ist weder eine bloß persönliche Entscheidung, noch ist es
nur Ergebnis eines konformistischen Zwangs oder einer Verführung. Es ist
eine soziale (und zugleich antisoziale) Bewegung, die von sehr
unterschiedlichen Faktoren bestimmt wird. So wie es unterschiedliche Wege
nach rechts gibt, so fächert sich das rechte Spektrum in unterschiedlichste
Ästhetiken, Phantasmen, Ideologien und Milieus auf: von esoterisch bis
chic, von populistisch bis elitär, von Straßengewalt bis Thinktank, vom
Untergrund bis zum legalen Politikbetrieb, vom besorgten Bürger bis zum
Terroristen, vom Konvertiten von links zum altbekannt Unbelehrbaren – das
macht es schwierig, den Rechtsruck in den Gesellschaften des Westens als
zusammenhängendes Phänomen zu sehen.
Es gibt nicht „die“ Rechte, sondern eine Unzahl von Organisationen,
Erscheinungsformen, Medien und Strategien, und es ist gerade diese
Vielfalt, die dem Selbstwidersprüchlichen und dem Irrationalen
entgegenkommt. Dadurch treten auch gewisse Immunisierungseffekte ein. So
schwächt es zum Beispiel vielleicht eine Partei, wenn sich gewählte rechte
Politiker_innen in den Institutionen der parlamentarischen Demokratie
blamieren; die Bewegung als Ganzes tangiert es nur wenig.
Wem die eine Form des Rechtsextremismus zu vulgär ist, der wendet sich
einer anderen, elitären Form zu, und wer Angst hat, bei der Wende nach
rechts etwas von seinen subjektiven und kulturellen Freiheiten, seiner
sexuellen Identität, seinem Modegeschmack, seinen Musikvorlieben abgeben zu
müssen, dem bietet die „differenzierte“ Rechte nahezu unbegrenzte
Anschlussfähigkeit an.
## Die Demokratie in Europa ist in Gefahr
Das rechte Weltbild ist überdies so konstruiert, dass jede Kritik als
Bestätigung umgedeutet werden kann: Donald Trump kann so viel Kritik auf
sich ziehen, wie die Kultur der Zivilgesellschaft nur hervorbringen kann,
seine Anhänger wird das eher bestätigen. Weder „Entlarvung“ noch Spott,
weder logische Widerlegung noch moralische Empörung scheinen dieser
Bewegung nach rechts wirklich beizukommen. Die Kritik des Rechtspopulismus
und Rechtsextremismus ist also nur so viel wert, wie sie aus dem
analytischen Verständnis heraus eine wirkliche Stärkung dessen erzeugt, was
wir demokratische Zivilgesellschaft nennen, wohl wissend, dass dieser
Begriff sich zunächst einmal in der Negation versteht: Es sind jene
Institutionen, Medien, Personen, Sprachen, Kulturen, Milieus, Bewegungen
und Bilder, die sich der Transformation von Gesellschaft und Staat in eine
völkisch-populistische, oligopolistische Autokratie widersetzen.
Ein Zerfall der westlichen Gesellschaften hat eingesetzt, die Beute soll
unter neoliberalen Kleptokraten, rechtsextremen Warlords und populistischen
Diktatoren aufgeteilt werden. Die Demokratie in Europa ist in Gefahr, und
sie ist in Teilen schon verloren. Gegenüber dieser Erkenntnis ist schon ein
bloßes Einfach-so-Weitermachen ein historisches Vergehen.
22 Apr 2018
## AUTOREN
Georg Seeßlen
## TAGS
Rechtspopulismus
Europa
Rechtsruck
Nationalismus
Der zweite Blick
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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Europäische Union
Wahlen NIederlande
Imperialismus
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