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# taz.de -- Mika Rottenberg im Kunsthaus Bregenz: Kapitalismus in voller Lautst…
> Eine Kritik der Massenproduktion: Mika Rottenbergs Videoinstallationen
> steigern Produktionskreisläufe und Warenzirkulation ins Absurde.
Bild: Installationsansicht Mika Rotteberg im Kunsthaus Bregenz
Aus dem Kapitalismus kommen wir so schnell nicht wieder raus. Das Zitat des
britischen Kulturwissenschaftlers Mark Fisher, nach dem das Ende dieses
Wirtschaftssystems schwerer vorstellbar ist als das Ende der Welt, ist zum
geflügelten Wort geworden. Unweigerlich kommt es in den Sinn, betrachtet
man die Arbeiten der Video- und Installationskünstlerin Mika Rottenberg.
Arbeiterinnen führen in engen, bedrückend knallbunten Räumen monotone
Arbeitsschritte durch, die sich in einer langen Kette von Ereignissen zu
einer immer absurder werdenden Produktionskette verdichten.
In Rottenbergs Videoinstallation „NoNoseKnows“, die bereits auf Okwui
Enwezors marxistisch geprägter Venedig-Biennale zu sehen war, sitzen
chinesische Arbeiterinnen mit kleinen Händen in langer Reihe und fügen
Austern behutsam kleine Fremdkörper ein, damit diese auf die Irritation hin
Süßwasserperlen bilden, während eine Etage über ihnen eine pinocchionasige
Angestellte an Kunstblumen schnuppert und auf den so ausgelösten Reiz hin
Fertiggerichte niest.
In Venedig verbarg sich das Video inmitten des vollgestopften,
überwältigend riesigen Arsenale-Gebäudes hinter einem mit Säcken von
Kunstperlen zugestellten Kabuff. Im Kunsthaus Bregenz dagegen, wo aktuell
Rottenbergs erste institutionelle Einzelausstellung in Österreich zu sehen
ist, ist es offen im Raum platziert.
Das Kunsthaus ist bekannt für seine großflächigen, cleanen Betonräume, die
sich über vier Etagen erstrecken – keine leichte Aufgabe, die
klaustrophobischen Videos hier so wirkmächtig wie auf der Biennale oder den
diesjährigen Skulptur Projekten zu inszenieren.
## Silikonmund im Treppenhaus
An manchen Stellen gelingt es dennoch. Im Treppenhaus etwa, wo man sein
Auge gegen einen Silikonmund pressen muss, um einen Blick auf das zwischen
den lasziv geöffneten Lippen abgespielte Video zu erhaschen. Oder ganz
oben, am Ende des Treppenaufgangs, wenn man nicht wie gewohnt im letzten
Ausstellungssaal ankommt, sondern stattdessen plötzlich vor einem von
unangenehmem Neonlicht beleuchteten Betontunnel steht.
Durch ihn gelangt man zum „Cosmic Generator“, einem Video, in dem unter
anderem die sagenumwobenen Tunnel thematisiert werden, die unter der
Grenzmauer zwischen Mexiko und den USA verlaufen. Auf Handtaschengröße
geschrumpfte Geschäftsmänner in Anzügen krabbeln hier durch ein düsteres
Labyrinth von Schächten – und landen schließlich, in Salatblätter gebettet,
auf einem Chinarestaurant-Präsentierteller.Der Körper als Währung
Das Konzept für das Video, das letztes Jahr bei den Skulptur Projekten zu
sehen war, entstand schon vor Trumps Wahlerfolg – auch wenn es geradezu
unheimlich treffsicher zur aktuellen US-Politik passt. Inspiriert wurde
Rottenberg von den Grenzregionen Calexico und Mexicali, in denen es neben
reichlich Tex-Mex wegen der vielen chinesischen Einwanderer angeblich auch
das beste chinesische Essen in ganz Amerika gibt.
Neben den kleinen Anzugträgern sind in dem Video auch immer wieder
chinesische Arbeiterinnen zu sehen, die in mit Plastikblumen,
Aufblasfiguren und Billigspielzeug überladenen Shops auf Kundschaft warten
und dabei diesen unbeteiligt-gelangweilten Ausdruck im Gesicht tragen, der
sich wie ein roter Faden durch Rottenbergs Videos zieht.
## Identitätspolitische Kritik an ihrer Arbeit
Der Kosmos, den Rottenberg hier in Bilder übersetzt, ist gewissermaßen
postgeographisch: “Räumliche Distanzen fallen in sich zusammen. Es dauert
länger, die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu überqueren, als ein
Plastikspielzeug aus China an einen der beiden Orte zu verfrachten“,
erklärt sie.
Für die Arbeit erntete sie von manchen Seiten identitätspolitische Kritik,
es hieß, die stereotype Darstellung der chinesischen Arbeiterinnen stünde
ihr nicht zu. Die in Argentinien geborene und in Israel aufgewachsene
Künstlerin hält die Kritik für überzogen, nennt es eine „Trump-Idee“, d…
Künstler Mauern um sich herum errichten und sich nur mit ihrer eigenen
Ethnie beschäftigen sollten – aber: „Jede Form von Kunst sollte produziert
und auch kritisiert werden – das ist gesund.“
Eine Etage unter dem Tunneleingang, vor dem Rottenberg das markante
Milchglas-Plafond des Kunsthauses mit weißen Büro-Deckenplatten verhängt
hat, posieren Bodybuilder, Primaballerinen und beleibte Frauen in einem
leicht heruntergekommenen Love Hotel vor herzförmigen Whirlpools und
Martiniglasbrunnen.
Die Arbeit sei ein Liebesfilm, sagt Rottenberg, und wenn man ihr dabei
zuhört, wie sie voll Bewunderung von den für ihre Videos gecasteten talents
spricht, die ihre von der Norm abweichenden Körper mit den extremen
Muskeln, meterlangen Haaren und krallenartigen Fingernägeln zu Geld machen,
glaubt man ihr das sofort.
## Gefühle stechen Fakten
Neben dem Love Hotel tropft Wasser von oben herab. Am Boden verteilt stehen
auf kleinen Herdplatten positionierte Bratpfannen, die das Wasser auffangen
und mit einem Zischen verdampfen lassen. Die Symbole weiblicher Hausarbeit
sondern Flüssigkeiten ab, und die Frauen in den Videos tun es ihnen gleich:
sie triefen, schniefen und niesen, ihr Schweiß bleibt an den von ihnen
gefertigen Produkten kleben – eine poetische Übersetzung von Marx
Kapitalismuskritik.
Wohin sich die ausgelaugten Körper schleppen, wenn ihr Dienst endgültig
verrichtet ist, zeigt die Installation „Bowls Balls Souls Holes“. Wir sehen
eine Halle, in der eine Gruppe Rentnerinnen mit dicken Filzstiften bestückt
Bingo spielt – mechanisch liest eine Blondine mit aufwendiger
Lockenwicklerfrisur die Zahlen vor, die die Bingomaschine ausspuckt,
mechanisch fährt der Stift auf den Papierschein hinunter und markiert.
Nebenher wirft die Zahlenansagerin immer wieder Wäscheklammern in eine
kleine Öffnung ihres Schreibtischs, die dann durch ein Vielzahl von
Miniaturräumen mit Neonröhren und bunten Raufasertapeten katapultiert
werden und schließlich bei einem Mann in einem kaum merklich größeren Raum
landen, der sie sich geschäftig an seiner Gesichtshaut festklemmt.
Irgendwann beginnt er sich dabei zu drehen, vor dem Fenster seines
Mini-Büros ziehen wie in einem Aufzug die Raufaserwände vorbei, Ekel,
Beklemmung und Reizüberflutung übermannen einen immer mehr – und dann
befinden wir uns ganz plötzlich, kurz bevor alles zu viel wird, in einer
beruhigend klaren und stillen arktischen Landschaft. Rottenbergs Arbeiten
versteht man am besten anhand der körperlichen Reaktionen, die sie in einem
auslösen – emotions over facts, auch wieder so ein Ansatz, der geradezu
unheimlich gut in unsere heutige Zeit passt.
23 Apr 2018
## AUTOREN
Donna Schons
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Installation
Kapitalismus
Berlin Biennale
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Modelabels
Antisemitismus
Körperkult
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