# taz.de -- Influencer in der Modeindustrie: Leben für die Reichweite | |
> Tribes, Leader, Mikro- und Makro-Influencer: In der heutigen | |
> Marketing-Welt wird die Persönlichkeit zur Marke und die Reichweite zur | |
> Währung. | |
Bild: Hannah Shaw, bekannt als Kitten Lady, mit der Instagram-Influencerin BriA… | |
Mode und Gesellschaft basieren beide auf einem Wechselspiel aus Imitation | |
und Innovation. Kein Wunder also, dass sich auch die Personengruppen, die | |
in puncto Mode für uns Leitbildfunktion haben, mit der Zeit gewandelt | |
haben. Was die Popstars der 80er, die Supermodels der 90er und die It-Girls | |
der Nullerjahre waren, sind heute die Influencer – also Blogger, die auf | |
sozialen Netzwerken wie Instagram und YouTube Fotos oder Videos aus ihrem | |
durchästhetisierten Leben teilen. | |
Die Bravo steckt voller YouTuber-Poster, die Kardashians sind neben ihrer | |
Reality-TV-Serie vor allem für ihre Instagram-Accounts bekannt und bei | |
Germany’s Next Topmodel winkt nicht der Teilnehmerin, die tatsächlich | |
gewinnt, sondern derjenigen, die im Laufe der Show die meisten Follower | |
sammelt, die große Karriere. | |
Die Modeindustrie war eine der ersten, die das gewerbliche Potenzial der | |
Influencer erkannte. Mittlerweile betreiben in den USA 60 Prozent aller | |
Mode- und Kosmetikmarken Influencer-Marketing, und auch in Deutschland ist | |
die Tendenz steigend. Ob in Form von unverbindlichem Zusenden von | |
Gratisprodukten, bezahlten Posts, Gewinnspiel-Aktionen oder Blogger-Events: | |
Die Zusammenarbeit mit Influencern verspricht eine Glaubwürdigkeit, die bei | |
der Generation Y durch klassische Anzeigen längst nicht mehr zu erreichen | |
ist. | |
Das Produkt fügt sich nahtlos in einen Feed aus Strandaufnahmen, auf | |
Marmortischen arrangierten Kaffeetassen und Outfitfotos ein und wird im | |
besten Fall gar nicht als Werbung wahrgenommen. Viel eher, so predigen die | |
Marketing-Handbücher und -Websites, wirkt Influencer-Werbung wie die | |
Empfehlung eines Freundes oder einer Bekannten. Als gesponserte Inhalte | |
gekennzeichnet wurden bislang längst nicht alle jener scheinbaren | |
Empfehlungen – in Zukunft dürfte sich das aber ändern. | |
Im Sommer vergangenen Jahres erhielten rund ein Dutzend deutscher | |
Instagrammer Abmahnungen vom Verband Sozialer Wettbewerb, weil sie Werbung | |
nicht ausreichend gekennzeichnet hatten. Die Medienanstalten | |
veröffentlichten daraufhin einen Richtlinienkatalog für Influencer und | |
stellten klar: Werbung muss als solche kenntlich gemacht werden – in | |
YouTube-Videos gleich zu Beginn durch eingeblendete Hinweise, auf Instagram | |
durch prominent platzierte Hashtags wie #anzeige. | |
Diejenigen, die sich nicht daran halten, riskieren Geldstrafen – und setzen | |
zudem ihre Authentizität und damit ihr wichtigstes Kapital aufs Spiel. Denn | |
im Modebereich galten Blogger lange als unabhängige Alternative zu den | |
Modezeitschriften, die mit bezahlten Editorials und einer gewissen | |
Loyalität gegenüber Anzeigenkunden oftmals bloß die Machtstrukturen der | |
Industrie widerspiegeln. Jene Glaubwürdigkeit gilt es auch angesichts | |
lukrativer Werbedeals zu bewahren. | |
## „People are the next brands“ | |
„Als Fashion-Blogger ist es ganz wichtig, dass man sich und seinem Style | |
treu bleibt und nicht alle Marken anzieht, nur weil man dafür bezahlt | |
wird“, so Thao Nhi Le. Le ist Kreativdirektorin des Modeblogs Daphale, auf | |
Instagram folgen ihr über 60.000 Personen. Damit gehört sie zur Gruppe der | |
Mikro-Influencer – Personen, denen in den sozialen Netzwerken 1.000 bis | |
100.000 User folgen und die im Vergleich zu ihren prominenteren Kollegen | |
einen deutlich persönlicheren Kontakt zu ihrer Community pflegen. Für einen | |
gesponserten Post gilt bei ihnen ein ungefährer preislicher Richtwert von | |
100 Euro pro zehntausend Follower. So erreichen Marken für wenig Geld | |
stilistisch und demografisch passgenaue Zielgruppen an für sie relevanten | |
Standorten – und das Werbefoto liefert der Influencer gleich selbst mit. | |
Für Modelabels stellt dies eine Chance dar – die Influencer hingegen | |
müssen, um ihre Tätigkeit hauptberuflich ausüben zu können, einen | |
komplizierten Spagat meistern: so unabhängig wie möglich, so gesponsert wie | |
nötig sein. | |
„Viele Blogger hassen deshalb den Begriff Influencer“, erklärt Tim Bibo. | |
„Die Werbebranche hat ihn erfunden, implizit steckt in ihm die Frage ‚Was | |
können die für uns machen?‘ – dabei haben viele gerade deshalb mit dem | |
Bloggen angefangen, weil sie etwas Eigenständiges auf die Beine stellen | |
wollten.“ Bibo selbst vermeidet den Begriff deshalb. Auf der Webseite | |
seines Unternehmens Stilnest ist stattdessen von Fashionprofis und | |
kreativen Talenten die Rede, begrüßt werden Besucher mit dem Slogan „People | |
are the next brands“. | |
## Schmuck als Zugehörigkeitssymbol | |
Ins Leben gerufen wurde Stilnest 2013 als Start-up, das mithilfe von | |
3-D-Druck Schmuckstücke aus Feinpolyamid und Gold herstellt. Mit Design | |
kannte sich keines der sechs Gründungsmitglieder so richtig aus, weshalb | |
Stilnest Kooperationen mit Designern, Grafikern und Künstlern einging. Auch | |
Blogger wurden auf das Unternehmen aufmerksam, unter ihnen auch Nilam | |
Farooq, Schauspielerin und YouTuberin, deren Kanal zum damaligen Zeitpunkt | |
knapp eine Millionen Personen abonniert hatten. | |
Nilam entwarf eine Ringkollektion, Stilnest stellte sie her, Nilam | |
begleitete den Prozess per Video und verkündete, als ihre Ringkollektion | |
endlich online erhältlich war, stolz: „Wenn alle Leute sagen, das, was du | |
machen willst, kannst du nicht machen, dann hast du genau eine Möglichkeit | |
– und zwar es allen zu beweisen.“ | |
Mittlerweile kooperiert Stilnest mit über 100 internationalen Bloggern – | |
vertreten waren dabei sowohl solche mit Mikro- als auch mit | |
Makro-Gefolgschaft. Das Unternehmen kümmert sich um Produktion, E-Commerce | |
und Logistik, die Influencer übernehmen Design und Vermarktung. Bibo, der | |
bei Stilnest für das Marketing zuständig ist, erzählt von Fans und | |
Followern, die sich gegenseitig an den Schmuckstücken ihrer Idole erkennen | |
– Ketten und Ringe werden zu Zugehörigkeitssymbolen der Digital Tribes, die | |
sich um Blogger herum bilden. | |
## Bloß der nächste Mythos | |
Die Sogkraft jener Tribes will sich nun auch H&M zunutze machen. Mit /Nyden | |
launcht das schwedische Textilunternehmen in diesem Jahr seine neunte | |
Tochtermarke, deren Kollektionen ausschließlich von Influencern designt | |
werden sollen. Das Prinzip ist dabei ähnlich wie bei Stilnest: Das | |
Unternehmen bietet die nötigen Grundstrukturen, die Influencer dürfen sich | |
an einer Fülle markterprobter Stoffe kreativ austoben. | |
Auch hier sind die Influencer, oder wie es /Nyden-Chef Oscar Olsson | |
bevorzugt ausdrückt, die Tribe Leader, die eigentlichen Marken. So solle | |
die Zielgruppe der Millennials, die sensibler denn je zuvor auf | |
Glaubwürdigkeit und Persönlichkeit reagiere, als Konsumenten gewonnen | |
werden, erklärt Olsson im Gespräch mit dem New York Magazine. | |
In der Zukunft, da ist er sich sicher, wird die ganze Modewelt so | |
funktionieren wie /Nyden, und die Modehäuser mit ihren Kreativdirektoren | |
werden den Tribes und ihren Leadern weichen. Gruppen, in denen diejenigen | |
mit der höchsten Reichweite das Sagen haben, sollen künftig die Kontrolle | |
übernehmen? So weit wird es wohl nicht kommen. Nach „Ich mach das vor | |
allem, weil ich Spaß daran habe“ und der authentischen Vertrauensperson auf | |
dem Screen, die viel mehr beste Freundin als Star ist, ist diese Form des | |
Tribalismus wohl bloß der nächste große Influencer-Mythos, den unsere Zeit | |
hervorgebracht hat. | |
5 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Donna Schons | |
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