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# taz.de -- Nabu-Chef über EU-Agrarsubventionen: „Die Nachkriegszeit ist vor…
> Die EU fördere mit ihren Landswirtschaftssubventionen Artenschwund und
> Höfesterben, sagt Olaf Tschimpke. Ein Transformationsfonds müsse
> geschaffen werden.
Bild: Gülle auf einem Feld in Brandenburg
taz: Herr Tschimpke, Sie fordern, dass die Landwirte umweltfreundlicher
arbeiten. Haben Sie etwas gegen Bauern?
Olaf Tschimpke: Überhaupt nicht. Niemand aus dem Naturschutz will, dass die
Bauern verschwinden. Der Nabu ist ja in der Bewegung für eine Agrarwende
die Organisation, die am meisten auf die Landwirte zugeht. Wir sind kein
veganer Antifleischverband, sondern wir machen selber Beweidungsprojekte.
Da müssen am Ende auch Tiere geschlachtet werden.
Aber Sie wollen, dass wir weniger Fleisch essen. Da würden den Bauern doch
Einnahmen verloren gehen. Wovon sollen sie leben?
Wir fordern einen Komplettumbau der EU-Agrarsubventionen. Statt dass nach
dem Gießkannenprinzip jedes Jahr 60 Milliarden Euro größtenteils einfach
nur für den Besitz von Agrarland verteilt werden, wollen wir einen
Transformationsfonds für den nachhaltigen Umbau von Landwirtschaft, Handel
und Konsum. Außerdem sollen 15 Milliarden Euro jährlich in einen neuen
EU-Naturschutzfonds fließen, der gerade Bauern attraktiv für
Naturschutzleistungen bezahlen soll.
Welche Landwirte sollten noch Subventionen erhalten?
Zum Beispiel alle, die auf Ökolandbau umstellen, Blühstreifen oder
Brachflächen anlegen oder die ihre Ställe so umbauen wollen, dass sie
tierfreundlicher sind. Der durchschnittliche Landwirt müsste weniger Tiere
pro Hektar halten als zurzeit. Er müsste auch deutlich weniger
Stickstoffdünger in die Umwelt abgeben, als die Düngeverordnung heute
zulässt. Denn die erlaubt immer noch so viel, dass Pflanzen- und Tierarten
aussterben und das Grundwasser verschmutzt wird. Wir brauchen auch eine
absolute Reduktion der Pestizide und Freiräume für die Natur.
Würden bei solchen Regeln nicht viele Bauern weniger Geld bekommen?
Wir haben das für verschiedene Betriebsarten durchrechnen lassen. Die
meisten Betriebe in Deutschland würden profitieren. Gerade die kleinen. Die
ganz großen, die am Weltmarkt orientiert sind, brauchen sowieso keine
Förderung. Der Staat soll niemanden mehr subventionieren, der für
Billigfleisch Massentierhaltung betreibt, die auf Importe von Futtermitteln
mit einem sehr negativen ökologischen Fußabdruck angewiesen ist.
Öffentliches Geld soll es nur noch für öffentliche Leistungen geben – nicht
dafür, dass die Bauern einfach die Gesetze etwa zum Umweltschutz einhalten.
Ist es keine Leistung für das Gemeinwohl, die Ernährung der Bevölkerung
sicherzustellen?
Das ist kein Grund mehr, die Landwirtschaft dermaßen zu subventionieren.
Die Nachkriegszeit ist vorbei.
Gerade kleine Bauern sehen sich gefährdet durch höhere Umwelt- und
Tierschutzauflagen. Sind Sie mitschuldig am Höfesterben?
Nein. Das System ist schuld. 2 Prozent der Betriebe bekommen 33 Prozent der
EU-Agrarsubventionen. 80 Prozent kriegen weniger als 5.000 Euro im Jahr.
Das schützt nicht die Kleinen.
Wenn unsere Bauern umweltfreundlicher arbeiten, werden ihre Produkte
teurer. Würden wir dann mehr Billigimporte mit niedrigeren Standards von
außerhalb der EU bekommen?
Die Gefahr besteht sicher. Aber: Wir müssen nicht jedes Produkt nach Europa
reinlassen, das mit ökologischem Dumping erzeugt worden ist. Solche
Standards setzen wir bei Tropenholz zum Beispiel schon. Bei Agrarprodukten
könnten wir etwa festschreiben, dass Pestizide im Anbau nur bis zu sehr
niedrigen Grenzwerten erlaubt sind.
Die höheren Lebensmittelpreise wären aber gerade für Arme ein Problem.
Deshalb müssten Hartz-IV-Empfänger mehr für ihre Ernährung bekommen.
Das würde nicht den Geringverdienern helfen, die kein Hartz IV beziehen.
Die müssen wir mit Steuerpolitik unterstützen, das ist eine
sozialpolitische Frage. Wir müssen auch nicht jeden Tag Fleisch essen, das
ja teurer ist als pflanzliche Lebensmittel. Außerdem spielt der
Ernährungssektor doch heute eine vergleichsweise geringe Rolle im
Haushaltsbudget. Aber ja: Wenn wir eine neue Agrarpolitik wollen, müssen
wir das bezahlen. Wenn wir das nicht wollen, sollten wir auch nicht über
Naturschutz reden. Ohne Agrarwende müssen wir das Insektensterben
akzeptieren und bestäuben in 30 Jahren die Pflanzen per Hand.
Warum?
Die jetzige Agrarpolitik vernichtet den Bauernstand und die Natur. In den
letzten 17 Jahren ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 35
Prozent auf 275.000 gesunken. Das ist der Erfolg der EU-Agrarpolitik und
des Deutschen Bauernverbands, der auf diesem System beharrt. Die Betriebe
werden immer größer, es musste immer billiger produziert werden, mehr Tiere
werden auf weniger Fläche gehalten, Hecken wurden gerodet, um riesige
Felder zu schaffen. Das hat sich negativ auf Natur und Landschaft
ausgewirkt: Die Zahl der Insekten nimmt ab, auch die der Vogelarten, das
Grundwasser wird mit giftigen Substanzen belastet.
Der Bauernverband sagt, es gebe keinen Beleg dafür, dass die Bauern die
Hauptverantwortlichen für das Insektensterben seien.
Es gibt doch x Studien, die nachweisen, dass Landwirtschaft der
Haupttreiber des Artenverlusts ist. Bei Schmetterlingen hat man das
untersucht. Man konnte nachweisen, dass die Pestizidgruppe der
Neonikotinoide das Orientierungssystem von Fledermäusen und Vögeln
schädigt. Wo sollen denn in einem Maisschlag noch Blühpflanzen für Insekten
wachsen, wenn er großflächig mit einer einzigen Pflanzenart bewachsen ist
und dann noch permanent mit Pestiziden bearbeitet wird? Die offiziellen
Naturschutzberichte der EU sagen ebenfalls: Landwirtschaft ist der
wichtigste, wenn auch nicht der alleinige Grund für das Artensterben. Auch
beim Flächenfraß, also der Umwandlung insbesondere von landwirtschaftlichen
oder naturbelassenen Flächen in Siedlungs- und Verkehrsfläche, ist eine
Menge zu machen. Aber die Landwirtschaft hat nun mal 50 Prozent der Fläche
Deutschlands.
Das sind nur Indizien, keine Belege, die von allen anerkannt werden.
Bei der Dramatik müsste man allein schon zur Vorsorge umsteuern. Aber die
Daten werden von den Wissenschaftlern und Behörden auch eindeutig
interpretiert – und zwar weltweit. Der Bauernverband sagt zwar: Wir müssen
da erst mal die Ursachen erforschen. Dann gehen wieder 10 Jahre ins Land,
und nichts passiert. Und dann sind wir bei 90 Prozent Verlust der
Fluginsektenbiomasse, statt wie bislang bei 75 Prozent. Das ist eine
Taktik, die nicht funktionieren kann und auch nicht mehr von der
Bevölkerung akzeptiert wird. Alle Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung
eine andere Agrarpolitik will. Den Grünen wird jetzt teils mehr Kompetenz
in der Agrarpolitik zugeschrieben als der Union, die sich immer noch
verbissen an die Position des Bauernverbands klammert.
Sie sprechen viel von Missständen in der Landwirtschaft. Gleichzeitig
sorgen Sie sich um das Image der Bauern. Sind Sie ein Heuchler?
Wenn wir Probleme adressieren, müssen wir auch die Strukturen adressieren,
die sie verursachen. Der Bauernverband ist seit Jahrzehnten dermaßen
unbeweglich und negiert die Probleme. Wir beteiligen uns an der großen
Agrardemo „Wir haben es satt“ am Samstag in Berlin. Da sind auch Hunderte
von Bauern dabei. Auch die Biobauern sehen es schon mal anders. Bei der
Demo beschimpfen wir keinen einzigen Bauern. Wir verstehen Betriebe, die
wirtschaften müssen. Dass manche Landwirte uns anders wahrnehmen, wird vom
Bauernverband bewusst gefördert. Er sucht sich Feindbilder, mit denen er
seine Reihen schließen kann.
Wie wichtig ist das für diese Organisation?
Sehr wichtig. Der Bauernverband hat doch Schwierigkeiten, seinen Laden
zusammenzuhalten. Ihm gehören Biobauern an, bäuerliche Betriebe, aber auch
die konventionellen und agrarindustriellen. Die mächtigsten unter ihnen
verteidigen die EU-Direktzahlungen am stärksten. Und da fällt dann unter
den Tisch, dass zum Beispiel die Zuckerindustrie oder Großmolkereien
Millionenbeträge bekommen, obwohl sie keine besonderen Leistungen für die
Allgemeinheit erbringen.
Manche Bauern werfen Ihnen vor, Sie würden, weil Sie auf Spenden und damit
öffentliche Aufmerksamkeit angewiesen seien, die Landwirtschaft schlechter
darstellen, als sie ist. Was sagen Sie dazu?
Ich verweise auf die Daten zum Artenrückgang, zur Belastung des
Grundwassers. Wir weisen auf dramatische Umweltprobleme hin, das ist unsere
Aufgabe.
Wird die geplante Große Koalition die Wende bringen?
Die CDU/CSU sagt: Wir wollen keine Veränderung, Agrarindustrie soll
weitergehen wie bisher. Knallhart. Die SPD wollte die Direktzahlungen bis
2026 abschaffen. Die haben das nun in einem Formelkompromiss
zusammengeführt, der nach außen die Differenzen verkleistert, und die
Konflikte kommen. Aber Deutschland muss in diesem Jahr mitentscheiden, wie
die EU nach 2020 die Subventionen verteilt. Im Sondierungspapier steht, die
EU solle genauso viel für die Landwirtschaft ausgeben wie bisher.
Der deutsche EU-Kommissar Oettinger und Frankreichs Präsident Macron wissen
längst: Das geht nicht, schon weil der Brexit kommt und deshalb über 12
Milliarden Euro fehlen werden. Da muss man die Agrarpolitik schon
effizienter gestalten, um möglichst viele Kürzungen abzuwehren. Es gibt
auch Signale, dass die Franzosen erstmals eine andere EU-Agrarpolitik
wollen.
17 Jan 2018
## AUTOREN
Jost Maurin
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