| # taz.de -- Protokolle aus Iran: Resigniert statt revolutionär | |
| > Die Proteste in Iran dauern an. Die taz hat vier Menschen nach ihrer | |
| > Einschätzung gefragt: Viele sind enttäuscht von der Regierung, fürchten | |
| > aber eine Eskalation. | |
| Bild: Wenn die Proteste sich zur Revolution ausweiten, könnte das dramatische … | |
| Lebensmittelpreise steigen, die wirtschaftliche Lage wird trotz gefallener | |
| Sanktionen nicht besser. Trotzdem gehen bei [1][den aktuellen Protesten] | |
| nicht alle IranerInnen auf die Straße, viele haben Angst, dass die Lage | |
| eskaliert, manche fürchten einen Bürgerkrieg. Ein echter Wandel, sagen sie, | |
| wäre nur mit sehr viel Blutvergießen möglich. Vier Menschen erzählen. | |
| ## Rasool, 27, Touristenführer aus Isfahan | |
| Nachdem der Haushaltsplan für das nächste Jahr bekannt wurde, war die | |
| Situation hier überall angespannt. Die Eier kosteten plötzlich das | |
| Doppelte. Zum ersten Mal von den Protesten gehört habe ich dann in den | |
| sozialen Medien. Erst habe ich mich gefreut, dass etwas passiert. Dann | |
| gerieten die Proteste außer Kontrolle. | |
| Viele meiner Freunde gehen zurzeit auf die Straße, weil sie wütend sind. | |
| Ich gehe nicht mit, weil ich nicht glaube, dass Chaos unsere Probleme lösen | |
| wird. Ich verstehe aber den wirtschaftlichen Druck, der sie auf die Straße | |
| treibt: Seitdem die Sanktionen gefallen sind, haben wir von den | |
| versprochenen Veränderungen nichts gespürt. Die wirtschaftliche Lage ist | |
| für uns alle nur weiterhin schlechter geworden. Ich versuche mit meinem | |
| Tourismusgeschäft etwas für die iranische Wirtschaft zu tun. Aber das ist | |
| nicht einfach: Im nächsten Frühling haben wir Saison, und die Proteste | |
| gefährden unsere Einnahmen und das Bild, das das Ausland vom Iran hat. Eine | |
| Unterstützung von Donald Trump brauchen wir übrigens nicht. Wenn der Typ | |
| etwas super findet, ist es auf jeden Fall falsch! | |
| Bei den Protesten von 2009 ging es um Politik, heute geht es um die | |
| Wirtschaft. Und unsere Regierung versteht immer noch nicht, was in den | |
| Köpfen der jungen Generation vorgeht. Das Beste an diesem Land sind seine | |
| Menschen, und sie verdienen mehr, als das, was ihnen die Regierung gerade | |
| bietet. | |
| Ich hoffe nicht, dass die Proteste sich zu einer Revolution ausweiten, und | |
| glaube auch nicht daran. Das kostet nur Geld, das wir alle nicht haben. | |
| Viele wollen außerdem ihre Familien nicht gefährden. Was wir brauchen, sind | |
| Reformen und junge Menschen an der Regierung! | |
| Protokoll: Milena Hassenkamp | |
| ## Javad, 26, Student aus Kaswin | |
| „Ich will nicht mehr zwischen schlecht und schlechter wählen! Unsere | |
| Regierung ist nicht das, wovon unsere Väter träumten, als sie das Regime | |
| stürzten. Auch sie wollen, dass Chamenei geht. | |
| Vielleicht sind Veränderungen auch unter Rohani möglich. Inzwischen haben | |
| aber alle das Vertrauen in ihn verloren. Die Dinge ändern sich zu langsam | |
| seit dem Ende der Sanktionen, und die Leute spüren die Veränderungen nicht | |
| in ihrem täglichen Leben. Aber deshalb auf die Straße gehen? Die Leute | |
| wissen doch gar nicht, wofür! Wenn wir eine Idee hätten, was wir wollen, | |
| dann wären wir alle auf der Straße und wahrscheinlich friedlich. | |
| Das Regime versucht nach außen zu zeigen, dass die Demonstranten aggressiv | |
| sind, damit sie einen Grund haben, sie zu unterdrücken und gegen sie | |
| vorzugehen. In der Provinz erlebe ich das auch so: Die Menschen sind | |
| wahnsinnig aggressiv gegen Polizei und Revolutionsgarden, die Situation | |
| spitzt sich dort zu. In Teheran stimmt das aber nicht. | |
| Die Demonstranten sollten ihren Protest ruhig angehen und ihn zu etwas | |
| machen, das die Regierung auch will. Dann könnte etwas daraus hervorgehen, | |
| und ich würde auch daran teilnehmen. Wenn das hier zu einer Revolution | |
| werden sollte, dann erwartet uns nichts anderes als in Syrien oder Irak. | |
| Das wissen die Leute. Gerade deshalb sollten wir lieber Schritt für Schritt | |
| etwas verändern, als einen Bürgerkrieg zu riskieren. | |
| Auch wenn die Proteste in meiner Provinz begonnen haben: Gehört habe ich | |
| davon, wie alle, bei bbcpersia auf Telegram, und das hat mich überrascht. | |
| Social Media benutze ich übrigens immer noch, aber nur mit einem Filter. | |
| Wir müssen alle vorsichtig sein, jetzt noch mehr als vorher: Die | |
| Cyberpolizei nimmt keine Rücksicht auf Menschenrechte. | |
| Protokoll: Milena Hassenkamp | |
| ## Farshad, 34, Händler aus Teheran | |
| Die Proteste haben mich überrascht, als ich gerade in China war. Ich kaufe | |
| dort seit Jahren Leder und andere Textilien ein, um sie dann an iranische | |
| Schuhfabriken zu verkaufen. Das läuft momentan gut, aber wer weiß, was in | |
| ein paar Monaten ist. Ich sehe, wie viele Firmen ums Überleben kämpfen. Ich | |
| selbst habe schon verschiedene Unternehmen gehabt und musste sie alle | |
| wieder schließen. Ich verstehe jeden, der gerade auf die Straße geht. Auch | |
| ich bin unzufrieden mit Rohani. Letztes Jahr habe ich ihn noch gewählt, | |
| weil ich seinen Versprechen geglaubt hatte, dass er das Land wirtschaftlich | |
| öffnen und uns Iranern mehr Freiheiten bringen würde. | |
| Heute glaube ich nicht mehr, dass Wahlen das Land verändern können. Dieses | |
| Gefühl hatte ich zum ersten Mal 2009, als ich wählen gegangen bin, um eine | |
| weitere Amtszeit von Präsident Ahmadinedschad zu verhindern. Als er dann | |
| doch wiedergewählt wurde, war ich sicher, dass das nur mit Wahlbetrug | |
| möglich war. Das Wahlergebnis war der Beginn der Grünen Revolution. Auch | |
| ich bin drei Tage lang aus Protest mit auf die Straße gegangen. Dann ging | |
| die Repression los, und ich bin zu Hause geblieben. Damals hätte ich mir | |
| aber nie vorstellen können, den Iran zu verlassen. Ich liebe mein Land. | |
| Seit ein, zwei Jahren denke ich aber: Man lebt nur einmal, vielleicht | |
| sollte ich das Land verlassen. Ich träume von einem säkulären Regime. Einer | |
| Regierung ohne Korruption und Vetternwirtschaft. Von Freiheiten für alle. | |
| Das wäre im Iran aber nur mit sehr viel Blutvergießen möglich. Das Regime | |
| wird dem Volk jedenfalls nie die Macht überlassen. | |
| Ich erkenne, dass es vielen so wie mir geht. Bei den aktuellen Protesten | |
| geht es um mehr als um die wirtschaftliche Lage. Die Leute sind müde von | |
| diesem Regime. Sie sehen keine Zukunft in diesem Land. Ich hoffe, es kommt | |
| zu keinem Bürgerkrieg. | |
| Protokoll: Ralf Pauli | |
| ## Samira, 29, Sprachlehrerin aus Karadsch | |
| Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet, aber jetzt, wo er da ist, | |
| passiert alles zu schnell. Vor allem Teenager demonstrieren, aber sie | |
| sprechen nicht gern darüber. Sie haben Angst, dass jemand Wind davon | |
| bekommt. Auch manche meiner Schülerinnen sind dabei. Ich sage ihnen: Passt | |
| auf, tragt wenigstens eine Maske, bleibt weg von den Panzern! | |
| Ich selbst mache noch nicht mit. Beim Telegram-Messenger habe ich mein | |
| Profilbild geändert, um meine Solidarität zu zeigen. Zumindest das. Ich | |
| befürchte, dass sie dieses Mal hart durchgreifen. Wenn sie 80 Millionen | |
| Leute töten müssen, um ihre Macht zu erhalten, machen sie das. | |
| [2][Wir haben Rohani gewählt, weil wir wollten, dass alles besser wird.] | |
| Aber der Präsident kann einfach nichts tun, er ist nur eine Figur im Spiel | |
| der Macht. Vor zwei Tagen habe ich mit meinem Vater gesprochen, einem sehr | |
| religiösen Mann, aber selbst er sagt: Die Leute haben das Recht, gegen | |
| Rohani zu demonstrieren. Aber natürlich nicht gegen das System, so sieht er | |
| es. Unsere Eltern wollen einen islamischen Staat, wir nicht. | |
| Es ist anders als 2009. Es gibt nun Aufruhr in Dörfern, deren Namen ich | |
| nicht mal kannte. Damals war alles in Teheran. Wir wollten unsere Stimme | |
| zurück, wir forderten keinen Regimewechsel. Diese Aktionen jetzt begannen | |
| mit sehr vielen Emotionen. Das ist ein Problem, denn ich glaube nicht, dass | |
| emotionsgeladene Dinge zu etwas Gutem führen. Die Demonstranten greifen | |
| auch Sicherheitskräfte an, und ich bin gegen Gewalt. Damals wurde ich | |
| selbst von Basidsch-Milizionären geschlagen, aber Rache auszuüben ist nicht | |
| okay. Gebäude anzünden schon. | |
| Als einzigen Ausweg sehe ich, dass der Sohn des Schahs zurückkommt. Er ist | |
| der Einzige, der ein zweites Syrien verhindern kann. Und er hat einen guten | |
| Vorschlag: Per Referendum sollen alle IranerInnen entscheiden, welche | |
| Staatsform sie wollen. | |
| Protokoll: Sebastian Erb | |
| 3 Jan 2018 | |
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